Züge, Autos, Flugzeuge: Wie Lärm Diabetes fördert
Lärm gilt heute als zweitstärkster umweltbedingter Risikofaktor nach Luftverschmutzung. Neue Forschungsergebnisse legen nahe, dass mit steigendem Lärmpegel auch das Diabetesrisiko wächst.
Dass Lärmbelastung die Gefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht, steht schon lange fest. Die metabolischen Effekte sind dagegen noch nicht sehr gut untersucht, räumte Dr. Ute Kraus, Helmholtz-Zentrum München, ein. Kohortenstudien zeigen Zusammenhänge zwischen Verkehrslärm und Diabetesinzidenz, wobei von Flugzeugen und Autos erzeugter Lärm anscheinend stärker wirkt als der von Zügen.
Für Straßenlärm fanden alle Studien eine signifikante Korrelation, bei Fluglärm ist das Bild inkonsistent. Frauen scheinen insgesamt anfälliger für ungünstige Lärmeffekte zu sein. Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Metaanalyse von 15 Studien mit fast 450 000 Teilnehmern, darunter 17 430 Patienten mit Diabetes, ergab eine 6%ige Zunahme der Diabetesinzidenz pro 5 dB Lärmpegelanstieg, wobei hier der Fluglärm deutlich schlechter abschnitt als der Straßenlärm (29 % Zunahme versus 12 % pro 5 dB).
Sympathikus aktiviert – Stresshormone ausgeschüttet
Wie könnte ein Kausalzusammenhang zwischen Lärm und Diabetesrisiko aussehen? Zentraler Faktor dürfte Stress sein, der einerseits durch Sympathikus-Aktivierung die Adrenalin/Noradrenalin-Ausschüttung aus dem Nebennierenmark verstärkt. Andererseits setzt er über die Hypothalamus-Hypophysen-Achse Kortisol aus der Nebennierenrinde frei, erklärte Dr. Kraus.
Die Stresshormone greifen direkt und indirekt in den Glukosestoffwechsel ein: Sie stimulieren Lipolyse, Glykogenolyse und Glukoneogenese und supprimieren zugleich Insulinausschüttung und Insulinwirkung. Die erhöhten Blutzuckerspiegel stören auf lange Sicht die Rückkopplungsmechanismen und die Insulinsensitivität sinkt.
Es kommt zu Schlafrestriktion und Schlaffragmentierung
Ungünstig wirken sich auch die lärminduzierten Schlafstörungen aus. Sie fördern die Sekretion appetitanregender Hormone wie Ghrelin, während weniger von den „Appetitbremsen“ GLP1 und Leptin ausgeschüttet wird. Studien zeigen, dass Menschen, die nur vier Stunden schlafen, im Schnitt 650 kcal mehr pro Tag zu sich nehmen als Langschläfer, die auf acht bis neun Stunden kommen.
Da der Körper der Kurzschläfer im Vergleich aber nur unwesentlich mehr Energie verbraucht, resultiert eine positive Energiebilanz – sprich: Gewichtszunahme. Schlaffragmentierung wirkt sich übrigens fast so negativ aus wie Schlafrestriktion. Beide reduzieren außerdem Betazellfunktion und Insulinsensitivität und steigern dadurch das Diabetesrisiko noch weiter.
In einer kleinen Studie haben Schweizer Forscher das experimentell untersucht. Sie setzten 27 junge gesunde Erwachsene vier Nächte lang zwei Lärmszenarien unterschiedlicher Intensität aus. Danach hatte sich bei allen die Glukosetoleranz verschlechtert, Insulinspiegel und Nüchternblutzucker waren deutlich gestiegen. Probanden mit starker Lärmbelastung hatten sich auch nach einer ruhigen Nacht noch nicht wieder erholt. „Der Wirkmechanismus ist zwar plausibel, die Zahl der Studien aber noch gering“, kommentierte Dr. Kraus abschließend.
Quelle: Deutscher Diabetes Kongress 2019