Zuckerkranke Diabetologen – wie machen denn die das?
Von Peter P. Hopfinger
Auch Ärzte erkranken an Diabetes. Nicht nur im fortgeschrittenen Alter an Typ-2-Diabetes, sondern manche auch im jugendlichen Alter an Typ-1-Diabetes. Und mitunter wird bei diesen Erkrankten das eigene Schicksal zum Motor und zur Motivation als Mediziner anderen zu helfen und dabei auch die eigene Krankheit zu erforschen. Wir haben einigen Diabetologen, die selbst zuckerkrank sind, gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Und werden diese Damen und Herren in loser Reihenfolge auf unseren Seiten vorstellen.
Priv.-Doz. Dr. Gerd Köhler von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie der MedUni Graz und Typ-1-Diabetiker
War die eigene Erkrankung Ursache für das Medizinstudium? Oder auch andere Gründe?
Vor der Manifestation war mein Berufswunsch Fluglotse. Das ist mit Diabetes nicht möglich. Da ich mir bezüglich meines Berufswunsches nicht sicher war, habe ich die höhere technische Bundeslehranstalt für Elektrotechnik besucht und abgeschlossen. Da die Technik nicht mein Ding war, habe ich Medizin studiert. Die eigene Erkrankung spielte sicher eine gewisse Rolle.
Wurden Sie selbst in der Kindheit, der Schule, während des Studiums oder gar als fertiger Arzt wegen Diabetes diskriminiert oder stigmatisiert?
Nein, ich bin immer offen damit umgegangen und wurde von meiner Umgebung unterstützt.
Wissen Ihre Patienten, dass Sie selbst an Diabetes erkrankt sind und wie nehmen diese das auf?
Das kann ich nicht pauschal beantworten. Einige wissen es, andere nicht. Solche Dinge ergeben sich im Gespräch.
In den vergangenen Jahrzehnten gab es viele Innovationen. Welche drei halten Sie persönlich für wirkliche Meilensteine und warum?
Ich beziehe mich hier auf den Diabetes mellitus Typ 1:
Sensoren: Bei gut eingestelltem Diabetes mellitus Typ 1 sind Hypoglykämien kaum zu vermeiden. Sensoren können diese Problematik deutlich entschärfen.
Moderne Insuline: Wenn keine Insulinpumpe verwendet wird, ist ein stabiles Basalinsulinwirkprofil essentiell. Die früher verfügbaren NPH Basalinsuline führten durch die unterschiedliche Wirkung von Tag zu Tag und ihr spezifisches Wirkprofil immer wieder zu Hypoglykämien oder Glukoseanstiege am Morgen. Mit den modernen Basalinsulinanaloga treten diese Probleme wesentlich seltener auf. Kurzwirksame Insulinanaloga erhöhen den Komfort.
Closed Loop Systeme: Da ich in absehbarer Zeit nicht mit einer Heilung des Diabetes mellitus Typ 1 rechne, hoffe ich auf eine Weiterentwicklung Richtung voll automatisierter Technik.
Vergleichen Sie Ihren persönlichen Einstieg ins Leben mit Diabetes mit heute. Was ist für Sie persönlich der größte Fortschritt?
Glukosesensoren
Die Zahl der Patienten steigt und steigt. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Viele nützliche Innovationen.
Dr. Birgit Mallinger-Taferner ist Internistin am LK Villach und Typ-1-Diabetikerin
Diabetologin mit Diabetes?
Gerade deshalb. Diabetes hat viele Gesichter und es ist gut, eines davon – nämlich mein eigenes - besser zu kennen.
War die eigene Erkrankung Ursache für das Medizinstudium? Oder auch andere Gründe?
Ohne Diabetes wäre ich wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen, Medizin zu studieren. Die Entscheidung für das Fach der Inneren Medizin habe ich aber erst im Turnus getroffen. In dieser Zeit habe ich Kollegen/innen und Patienten getroffen, die mich bestärkt, unterstützt und überzeugt haben, dass ich gerade wegen meines Diabetes viel erreichen kann.
Wurden Sie selbst in der Kindheit, der Schule, während des Studiums oder sogar als fertiger Arzt wegen Diabetes diskriminiert oder stigmatisiert?
Nein.
Allerdings habe ich mich davor gefürchtet, dass mich andere stigmatisieren und diskriminieren könnten und mich deshalb vor der Erkrankung und vor Menschen, die darüber Infos haben wollten, versteckt. Es hat lange Zeit gedauert, bis sich mein Umgang und Zugang zu meinem eigenen Diabetes geändert hat. Jetzt bin ich mutig genug, zu meinem Partner Diabetes zu stehen.
Wissen Ihre Patienten, dass Sie selbst an Diabetes erkrankt sind und wie nehmen diese das auf?
Ich denke schon, dass sie es wissen. Genau weiß ich das aber gar nicht. Ich mache jedenfalls kein Geheimnis daraus. Wenn es jemand weiß habe ich das Gefühl, dass es sogar positiv aufgenommen wird. Es hat dann was von unbewusster Teambildung.
In den vergangenen Jahrzehnten gab es viele Innovationen. Welche drei halten Sie persönlich für wirkliche Meilensteine und warum?
Gleich vorweg - das sind wirklich meine 3 persönlichen Meilensteine, die mich selbst betreffen und nicht die gesamte Diabetologie: CGM Systeme, (loopende) Pumpen und das Smartphone. Die Kooperation zwischen diesen 3 Teilen hat mein Leben unendlich erleichtert, verbessert und sicher gemacht. Es bedeutet für mich Lebensqualität und mir wird dadurch ermöglicht, das Leben mit Diabetes besser zu meistern. Es ist noch immer anstrengend, aber im Vergleich zu früher ist das Gewicht der Diabeteslast deutlich leichter geworden.
Vergleichen Sie Ihren persönlichen Einstieg ins Leben mit Diabetes mit heute. Was ist für Sie persönlich der größte Fortschritt?
Eltern dürfen heute bei ihren Kindern bleiben, wenn sie mit einer Erkrankung im Krankenhaus liegen. Das war bei mir nicht so. Ich war alleine. Die Kinderärzte und die Diabetesteams versuchen heute mit ihren kleinen Kunden altersentsprechende Gespräche zu führen und sie eher zu begleiten und als nur zu ermahnen. Bei mir gab es zu Beginn noch keinen Pen, keine patiententauglichen Zuckermessgeräte oder Stechhilfen, die Basis-Bolus-Therapie stand noch am Anfang. Die Wörter Zwischenmahlzeit, Spätmahlzeit und Lanzette verursachen bei mir heute noch Gänsehaut und Unbehagen. Aus Schmerzgründen sage ich jetzt - die Stechhilfe war ein unglaublicher Fortschritt.
Die Zahl der Patienten steigt und steigt. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Breiter aufgestellte Präventionsprogramme für Adipositas und Diabetes. Suffizientere und qualitativ hochwertige Strukturen aufbauen um von Beginn der Erkrankung an Diabetiker bestmöglich zu betreuen.
Prim. Dr. Christian Schelkshorn ist Leiter der 1. Med. Abteilung Landesklinikum Korneuburg - Stockerau und Typ-1-Diabetiker
War die eigene Erkrankung Ursache für das Medizinstudium? Oder auch andere Gründe?
Ja sicher hat die Manifestation des Diabetes Typ im 14. Lebensjahr mich in meiner Berufswahl sehr beeinflusst. Ich bin damals am Beginn mit einer eher sehr autoritären Einstellung gegenüber dem Thema Diabetes konfrontiert worden. Vielfach du darfst das nicht und jenes nicht, du musst dich einem engen zeitlichen Korsett anpassen, Beispiel Spritz und Essenszeiten sowie definierte BE Mengen/Mahlzeit. Der BZ Verlauf war zu Beginn ein richtiger Blindflug, da wir außer Harnzuckerstreifen, keine Kontrollmöglichkeiten hatten. Eine Hypoglykämie wurde bei geringen Symptomen als Zeichen einer guten nicht zu hohen BZ Entwicklung beschrieben. Nach einer schweren Hypoglykämie mit Fremdhilfenotwendigkeit habe ich dann erstmals mit der Diabetologie am KH HIETZING, damals noch LAINZ Kontakt gehabt und wurde erstmals mit einer anderen Sichtweise auf den Diabetes bekannt gemacht, eine Sichtweise, wo die SCHULUNG der Betroffenen und Ihrer Angehörigen gerade als neue Strategie begonnen wurde. Da reifte bei mir der Gedanke, dies auch beruflich umsetzen zu wollen. Hier fand ich eine Möglichkeit meine Interessen, mit Menschen direkt zusammenzuarbeiten und Sie im Umgang mit Ihren gesundheitlichen Fragen aktiv zu unterstützen, zu verwirklichen.
Wurden Sie selbst in der Kindheit, der Schule, während des Studiums oder gar als fertiger Arzt wegen Diabetes diskriminiert oder stigmatisiert?
Ich kann hier ganz offen und ehrlich sagen, NEIN!
Wissen Ihre Patienten, dass Sie selbst an Diabetes erkrankt sind und wie nehmen diese das auf?
Ich denke viele wissen es, ich verschweige es nicht, aber ich möchte es auch nicht an die große Glocke hängen. Es ist sicher von Vorteil manche Fragestellungen und manche Ängste unserer Patienten besser zu begreifen, allerdings ist die Qualität der diabetischen Therapie nicht davon abhängig, ob der betreuende Diabetologe selbst betroffen ist oder nicht.
In den vergangenen Jahrzehnten gab es viele Innovationen. Welche drei halten Sie persönlich für wirkliche Meilensteine und warum?
- Verbesserung der Medikation, beginnend mit Insulinen (rascherer Wirkungseintritt, stabilerer Wirkungsverlauf und zeitliche Flexibilität) bis hin zu Typ 2 Medikamenten, die positive Zusatzeffekte aufweisen (Herz und Niere)
- Entwicklung von Glukosesensoren und
- Insulinpumpen, die langsam beginnen sensorgesteuert den BZ zu stabilisieren
Vergleichen Sie Ihren persönlichen Einstieg ins Leben mit Diabetes mit heute. Was ist für Sie persönlich der größte Fortschritt?
Sicher die Möglichkeit durch Glukosesensoren einen kontinuierlichen Überblick über den BZ Verlauf zu haben und ergänzend eine Warnung vor hohen und zu tiefen BZ Auslenkungen zu bekommen.
Die Zahl der Patienten steigt und steigt. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ganz eindeutig müssen wir versuchen unsere Qualitätsfortschritte in der Begleitung unserer Patienten hinsichtlich BZ Verlauf und Vorsorge vor den bis heute gefürchteten Folgen einer schlechten diabetischen Einstellung in die Breite zu tragen. Wir müssen einerseits Bewusstsein bei den Betroffenen fördern und andererseits Möglichkeiten schaffen, dass unsere Diabetiker auch flächendeckend Zugang zu guter Betreuung haben. Dafür bedarf es vieler Änderungen in unseren aktuellen Betreuungssystemen in Ordinationen und Ambulanzen, die Rahmenbedingungen müssen sich den Möglichkeiten und den zunehmenden Erfordernissen anpassen. Ich hoffe sehr, dass es uns in den nächsten Jahren gelingt auch die Patienten ganz aktiv auf diese Reise mitzunehmen.