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„Wir sind viele – und brauchen eine starke Vertretung“

Joe Meusburger hat seine Krankheit zum Beruf gemacht. Genauer gesagt: Zur Berufung. Und nach 59 Lebensjahren als Typ 1 Diabetiker weiß der 63-jährige Vorarlberger ganz genau, wovon er spricht.

Von Elisabeth Schneyder

Vor der Diagnose, die Joe Meusburgers künftigen Lebensweg beträchtlich beeinflussen sollte, stand übermächtiger Durst: „Ich habe sogar Mamas grässlichen Wermut-Tee getrunken“.

Der Hausarzt stellte fest: Diabetes Typ 1. Kein Honiglecken für ein kleines Kind in den 1960er Jahren: Spitalsaufenthalte von bis zu vier Wochen pro Jahr – zwecks Neu-Einstellung. Dazwischen Krisen. Riesige Spritzen, die täglich ausgekocht werden müssen. Nadeln, die regelmäßig in der Apotheke nachzuschärfen sind, damit man sich Tag für Tag damit stechen kann. Strenge Verbotslisten auf Din-A4-Papier. Keine Süßigkeiten. Kaum Kohlenhydrate, dafür aber viel fettes Zeug auf dem Teller. Dürres „Luftbrot“ mit massig Butter, Haferflocken... und, oh Gott: „Lieber verhungern, als schon wieder Haferschleimsuppe!“

Erzählt der inzwischen pensionierte Diabetes-Berater heute davon, klingt’s heiter. Doch wer genauer nachfragt, erkennt schnell, dass eine Kindheit wie diese mit Spaß ganz und gar nichts zu tun hatte: „Ich hab’ nichts Anderes gekannt, hab’ sehr früh selbst mein Insulin gespritzt und bin so aufgewachsen. In der Schule haben die anderen Kinder,zuckerkranker Mäusebussard’ und ähnliches zu mir gesagt. Ich habe nur einmal täglich gespritzt, mit einem Universal-Insulin (Novolente), war also einmal zu niedrig und einmal viel zu hoch. Man konnt’ ja nur mit dem Essen gegensteuern. Und auf Schiwoche durfte ich nicht, weil niemand die Verantwortung übernehmen wollte. Da haben es Kinder ja bis heute oft nicht besser“.  Aber, zum Glück: „Die Therapie ist jetzt vergleichsweise ein Luxus!“

Heute geht es dem geschiedenen Vater eines 37-jährigen Sohnes gut: „Mit Tresiba Langzeitinsulin und NovoRapid zur Korrektur komme ich bestens über die Runden. Ich habe lange eine Pumpe gehabt, pausiere damit aber jetzt. Mein CGM-Gerät Dexcom G4 hilft mir, Hypos zu vermeiden. Meine Werte sind im Zielbereich, die Nieren in Ordnung, ... Wenn nicht mehr dazu kommt, werd’ ich 100!“, scherzt Joe Meusburger gutgelaunt.

 Der Weg zu diesem Wohlbefinden war nicht leicht: Eine Operation wegen Netzhautablösung hinterließ das rechte Auge blind. Und eine Krise mit kurzem Blackout verursachte einen – zum Glück glimpflich endenden – Autounfall.

Doch eine überaus erfreuliche Wendung sorgte für Veränderung zum Besseren in allen Lebenslagen – spät, aber mit seitdem anhaltendem, beglückenden Effekt: „Erst als ich 32 war, hat mir die großartige Diabetes-Spezialistin Kinga Howorka gezeigt, was alles möglich ist. Sie hat mich regelrecht befreit mit ihren strengen Schulungen. Eine tolle Ärztin – oft kopiert, aber nie erreicht! Ärzte wie sie, die wirklich immer für einen da sind, drohen leider auszusterben.“

Meusburger selbst hat Engagement für andere Diabetiker nie missen lassen: Er ließ sich zum Diabetes-Berater ausbilden, baute die entsprechende Ambulanz am Krankenhaus in Feldkirch mit auf, arbeitete sich in der österreichischen Diabetikervereinigung zum Bundesvorsitzenden hoch und knüpfte hilfreiche Kontakte, wo immer er nur konnte.

Sein Credo: „Wir brauchen eine starke Patientenvertretung! Es gibt hierzulande so viele Diabetiker, aber nicht mal 10.000 Mitglied in den verschiedenen Selbsthilfe-Gruppen. Und es gibt zu viele kleine Selbsthilfegruppen statt einer starken, großen Organisation, die viel mehr bewirken könnte“. Der begeisterte Motorradfahrer, der heute lieber mit dem Hund spazieren geht, als sich – wie früher – aufs Rad oder die Schipiste zu stürzen, wird auch als Pensionist nicht müde, sich um Verbesserungen für Menschen mit Diabetes zu bemühen: „Es ist wichtig, sich selbst damit auseinanderzusetzen. Toll, was sich in den vergangenen 25 Jahren getan hat! Es gibt so viele neue Technologien. Aber mit der Technik muss man auch richtig umgehen können!“

Und Meusburgers Wünsche richten sich nicht allein an die Betroffenen, die „endlich an einem Strang ziehen“ sollten, sondern ebenso an Mediziner und Verantwortliche in öffentlichen Stellen: „Wir brauchen mehr Information, zum Beispiel auch darüber, wo man gute Spezialisten findet. Ich wünsche mir Schwerpunktpraxen wie die von Prof. Dr. Howorka in jedem Bundesland und bessere Versorgung im ländlichen Bereich. Und ein Disease-Management Programm für Typ 1 Diabetiker! Was wir in 30 Jahren aufgebaut haben, darf nicht verloren gehen, weil man die Ambulanzen jetzt entlasten und alles in den niedergelassenen Bereich verlagern will“.

Foto: privat