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Wie das Gehirn unser Körpergewicht steuert

(Mainz) Professor Jens Brüning, Direktor am Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung in Köln, erhält den diesjährigen Heinrich-Wieland-Preis für seine bahnbrechenden Forschungen, wie das Gehirn Aufnahme, Speicherung und Energieverbrauch in unserem Körper steuert. Jens Brüning hat gezeigt, dass bestimmte Regionen des Gehirns insbesondere im Zusammenspiel mit dem Hormon Insulin, eine zentrale Rolle bei der Kontrolle des Körpergewichts spielen.

„Jens Brüning ist einer der weltweit führenden Experten, die erforschen, wie das Gehirn den Energiestoffwechsel unseres Körpers steuert. In den letzten 20 Jahren hat seine wegweisende Forschung die Grundlage geliefert, um die Schlüsselfunktion des Gehirns bei der Regulation des Stoffwechsels zu identifizieren und seine Kontrolle von Blutzucker, Appetit und Körpergewicht aufzudecken“, sagt Professor F.-Ulrich Hartl, Vorsitzender des Gremiums unabhängiger Wissenschaftler, das die Preisträger auswählt. Professor Michael Manns, Vorstandsmitglied der Boehringer Ingelheim Stiftung, ergänzt: „Die Erkenntnisse von Professor Brüning bedeuten Hoffnung für Millionen von Menschen, die zum Beispiel an Diabetes leiden. Sie sind außerdem ein Musterbeispiel dafür, wie wichtig Grundlagenforschung für Fortschritte in der Medizin ist.“

In einer seiner ersten, vielbeachteten Arbeit hatten Brüning und sein Team die erste genveränderte Maus gezüchtet, mit der man Typ 2 Diabetes untersuchen kann. Diabetes entwickelt sich, wenn Körperzellen nicht mehr auf das Hormon Insulin reagieren oder wenn der Körper nicht genug Insulin produziert. Insulin ist das einzige Hormon, das den Gehalt von Glukose, die Energiewährung des Körpers, senken kann. Entsprechend spielt Insulin eine zentrale Rolle im Energiehaushalt des Körpers. Beim gesunden Menschen bewegt sich der Gehalt an Glukose im Blut, der sogenannte Blutzuckerspiegel, nur innerhalb gewisser Grenzen. Er steigt stark, wenn wir etwas essen und fällt schnell, wenn wir uns körperlich stark anstrengen. Nach einer Mahlzeit wird ein großer Teil der Glukose, die ins Blut gelangt, von den Muskeln aufgenommen, wo sie früher oder später genutzt wird. Überschüssiger Zucker hingegen wird von der Leber aufgenommen, die ihn in den Langzeitspeicher Fett verwandelt. Zu viel oder zu wenig Zucker im Blut – wie bei Diabetikern – kann zu Ohnmacht, schweren bleibenden Nierenschäden oder sogar zum Tod führen.

Brüning war der erste, dem es gelang, den Rezeptor für Insulin in bestimmten Geweben, wie Muskeln, Leber oder Gehirn gezielt auszuschalten. So konnte er genauer als bis dahin möglich beobachten, wie und wo Insulin wirkt. Lange dachte man, dass die Ursache für Diabetes und verwandte Stoffwechselstörungen eher im Rumpf des Körpers liegen. Doch die Arbeiten von Brüning haben gezeigt, dass Insulin und komplexe Feedback-Mechanismen im Gehirn eine viel größere Rolle spielen als bis dato für möglich gehalten. Weltweit sind mehr als ein Drittel aller Erwachsenen übergewichtig, so die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation. Ihr Anteil ist in den letzten Jahrzehnten dramatisch gestiegen. Die meisten kennen das – ein paar Kilo landen schnell auf den Hüften, sie wieder loszuwerden ist schwer. Oft wird dies mangelnder Willensstärke zugeschrieben. Doch die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Biologie der entscheidende Faktor ist. Dank Brüning und seinem Team wissen wir heute, dass das Gehirn unseren Stoffwechsel über ein fein-abgestimmtes System aus Hormonen, ihren Kontrollsignalen und bestimmten Gehirnzellen reguliert. Brüning hat einige der wichtigsten Komponenten dieses Systems identifiziert, herausgefunden, wo genau im Gehirn sie sitzen und wie sie bei gesunden und kranken Menschen zusammenarbeiten.

So entdeckte er zum Beispiel die zentrale Rolle der nur rund 3.000 sogenannten AgRP-Zellen im Hypothalamus, einer Gehirnregion, die an den meisten hormonell gesteuerten Prozessen beteiligt ist. Mit neuartigen Techniken konnte er zeigen, dass diese kleine Gruppe von Zellen bestimmt, wie viel wir essen und wie viel Glukose die Leber aus unseren Fettreserven freisetzt. Diese Zellen steuern auch, wie empfindlich unsere Körperzellen auf Insulin reagieren. Zusätzlich entdeckte er, dass die AgRP-Zellen bei Fettleibigkeit nicht mehr auf Insulin reagieren. Aufgrund dieser sogenannten Insulin-Resistenz können sie ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen. Brünings umfangreiche Erkenntnisse über diese Zellen haben neue Möglichkeiten eröffnet, um Medikamente gegen Fettleibigkeit zu entwickeln, die durch Insulin-Resistenz entsteht.

Jüngere Ergebnisse seiner Arbeit könnten das lange bekannte Phänomenen erklären, warum Kinder von fettleibigen Müttern ein höheres Risiko haben, selbst an Diabetes oder Fettleibigkeit zu erkranken: Wenn Mäusemütter während der Säugeperiode sehr fetthaltig ernährt werden, reiften bei ihren Jungen bestimmte Schaltkreise im Gehirn, die Appetit unterdrücken, nicht richtig aus. Da die Säugeperiode bei Mäusen dem letzten Drittel der Schwangerschaft beim Menschen entspricht, unterstreichen auch diese Ergebnisse die direkte Bedeutung von Jens Brünings Grundlagenforschung für unsere Gesundheit.

Quelle: idw - Informationsdienst Wissenschaft