Werte und Zahlen: Diabetiker als Rechenkünstler
Von Peter Illetschko
Haben Sie sich schon einmal gefragt: Warum habe ausgerechnet ich Diabetes?
Sicher, oder? Nur Mut: Sie sind nicht allein. 700.000 Menschen sind hierzulande nach Angaben der Österreichischen Diabetischen Gesellschaft (ÖDG) erkrankt. Weltweit werden es wohl 425 Millionen, Tendenz steigend. Die biochemische Antwort auf Ihre Frage ist übrigens einfach: Beim Typ2, der bei 95 Prozent der Diabetiker festgestellt wird, kann das kohlenhydrathaltige Essen mit dem körpereigenen Insulin nur ungenügend in lebenswichtige Energie umgewandelt werden. Viele Patienten brauchen Medikamente, die diesen Prozess unterstützen, eine Ernährungsumstellung, und sie sollten mehr Bewegung als zuvor machen, denn auch das hilft beim Umwandeln von Kohlenhydraten in Energie. Beim Typ 1 Diabetes hält der menschliche Körper die Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse für Fremdkörper – und zerstört sie. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung. Patienten müssen ein Leben lang künstliches Insulin spritzen. Die Gründe für den Ausbruch der Erkrankung sind vielfältig und nicht so leicht zu eruieren: Genetische Veranlagungen, Lebensstil, Umweltfaktoren, Stress und Schockerlebnisse werden genannt. Typ-2-Diabetiker sind nicht selten übergewichtig, ein Eigenverschulden für die Erkrankung kann man trotzdem nur bedingt feststellen. Zu viele Faktoren sind am Typ 2 beteiligt. Für jeden Diabetiker beginnt mit der Manifestation das Ringen mit Werten und Zahlen wie dem Langzeitwert Hba1c *, einer Chiffre, die nicht jeder verstehen muss.
Was, um Himmels Willen, bedeutet Hba1c *?
Für das Lesen von Blutbefunden braucht man unbedingt ärztlichen Beistand. Wer könnte sonst Kürzel lesen und ihre Bedeutung für Patienten interpretieren? Nehmen wir als Beispiel die Cholesterin-Werte: Aufgrund der Zuckerkrankheit, die ohnehin ein Herz-Kreislauf-Risiko mit sich bringt, sollte der LDL-Wert (das “böse” Cholesterin) niedriger als bei Patienten ohne Stoffwechselerkrankung sein. Häufig wird der Wert 100 mg/dl angegeben. Im Zentrum jedes Diabetiker Blutbefundes steht aber natürlich ein ganz anderes Kürzel: Hba1c *, ins Verständliche übersetzt heißt das „Langzeitwert“ oder „Blutzuckergedächtnis“. Dabei handelt es sich um einen Gradmesser für die Blutzuckereinstellung der vergangenen drei Monate. Er zeigt die Menge an Zuckerhämoglobin an, also jenen Zucker, der am roten Blutfarbstoff bindet. Das macht er übrigens bei jedem Menschen - gesunde haben maximal 5,6 Hba1c *. Diabetes liegt übrigens demnach erst vor, wenn der Wert bei 6,5 und darüber liegt. Wer unter 7,0 Hba1c * hat, gilt als „gut eingestellt“.
Alles gut, wenn der Hab1c * niedrig ist?
Kurz gesagt: Leider nein. Diabetiker, die künstliches Insulin spritzen oder insulinotrope Medikamente schlucken (Glinide, Sulfonylharnstoffe), Medikamente, die die Insulinausschüttung fördern, können in einen Unterzucker (Hypoglykämie) geraten. Viele Patienten haben schon unter 80 mg/dl Probleme. Warum sie dorthin gelangen? Sie berechnen z.B. zu viel Insulin für die Menge an Kohlenhydraten (Broteinheiten), die sie essen. Oder sie unterschätzen die Intensität des Sports, den sie betreiben: Auch dadurch wird Zucker abgebaut. Die unterschiedlich spürbaren Anzeichen sind Verwirrtheit, Schwitzen, Zittern, Herzrasen. Wer viele „Hypos“ hat, kann Herz-Kreislauf-Probleme bekommen und „erkauft“ sich bei gleichzeitig hohen Werten nach dem Essen einen guten Durschnittswert Hba1c *. Insofern muss gesagt werden: Wer unter 7,0 Hba1c * und wenig Hypos hat, nur der ist gut eingestellt.
Was kann ich also tun in dieser verzwickten Lage?
Zu allererst einmal: nicht jammern, Hilft nichts. Außerdem gilt: Zuckerkranke sollten ihr Glukose-Gleichgewicht halten und so lange wie möglich mit ihren Werten im Zielbereich sein. Was das bedeutet, lernt man in Schulungen. In der Regel heißt Zielbereich, man bewegt sich mit den Werten zwischen 80 und 140 mg/dl. Der Blutzuckerwert kann zwei bis drei Stunden nach dem Essen über dem Zielwert liegen, nicht länger, sollte aber auch nicht zu stark absinken (Hypo-Gefahr). Was dabei hilft? Regelmäßiges Essen, nicht zu große Mengen Kohlenhydrate in einer Portion zu sich nehmen, ausgiebige Flüssigkeitszufuhr – und regelmäßige Kontrolle des Blutzuckers. Ärzte beruhigen übrigens: Selbst wenn der Blutzucker einmal zu hoch sein sollte, also bei etwa 180 bis 200 nach drei Stunden liegt, kann man als Patient noch ohne nachhaltige gesundheitliche Folgen gegenregulieren.
Was heißt nun wieder “Zeit im Zielbereich”? Hört das Kämpfen mit Zahlen nicht auf?
Die letzte Frage ist schnell beantwortet: Nein. Zur ersten, komplexeren Frage: Diabetologen empfehlen heute, zusätzlich zum Hba1c auch den Faktor „Time in Range“ (Zeit im Zielbereich) zu beobachten. Dank neuer Glucose-Monitoring -Systeme ist das einfach umsetzbar: Sie bestehen zum Beispiel aus einem Sensor, der nicht dicker als ein Haar ist und sich an der Unterseite eines kreisrunden Kunststoffteils befindet, und einem Scanner im Messgerät. Der Sensor wird durch eine Stempelung in das Unterhautfettgewebe im Oberarm eingeführt – in Normalfall nahezu schmerzfrei. Der Sensor bleibt dort dank des an der Haut festgeklebten Kunststoffs, und zwar 14 Tage lang. Danach wird der Arm gewechselt und ein neuer Sensor verwendet. Mithilfe dieses Systems wird kontinuierlich der Zuckergehalt der Gewebsflüssigkeit gemessen. Nach dem Auslesen kann man Verläufe und Spitzen sehr gut erkennen. Am Display des Messgeräts lässt sich schließlich auch die Zeit im Zielbereich eruieren. Idealerweise sollte daneben 75 Prozent stehen.
*Das Zuckerhämoglobin Hämoglobin A1c (HbA1c) entsteht, wenn der Blutzucker (Glukose) an Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) bindet. Etwa 4-6% des roten Blutfarbstoffes sind an Glukose gebunden. Je höher die Blutzuckerwerte sind und je länger sie erhöht bleiben, desto mehr HbA1c entsteht.