Skip to main content

Wenn Zucker die Lust vergällt...

„Oft ,melden’ sich sexuelle Probleme schon lang vor der Diabetes-Diagnose“, weiß die renommierte Sexual- und Psychotherapeutin Elia Bragagna.

Was Sie über Sex und Diabetes wissen sollten.

Von Elisabeth Schneyder

„Oft ,melden’ sich sexuelle Probleme schon lang vor der Diabetes-Diagnose“, weiß die renommierte Sexual- und Psychotherapeutin Elia Bragagna. Auch als Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychosomatik hat sie in ihrer Praxis häufig mit Menschen zu tun, die noch nicht einmal ahnen, dass ihre Zuckerwerte bedrohlich aus dem Lot geraten sind: „In vielen Fällen stellt sich erst bei der Abklärung der Ursachen von Potenzschwäche, Lubrikationsstörungen oder wiederkehrenden Pilzerkrankungen heraus, dass die betreffenden Patienten Diabetiker sind“. Der beruhigende Nachsatz der Expertin: „Wird rechtzeitig behandelt, lassen sich diese Probleme lösen und Folgeschäden verhindern“.

Was Diabetes zum Sex-Killer macht, fasst Bragagna so zusammen: „Diabetes mellitus vermindert die genitale Durchblutung sowie das entsprechende Empfindungsvermögen, stört die neurovaskulär-muskuläre Funktionseinheit und die hormonelle Balance“. Womit klar wird, warum Zucker sowohl „seine“ Standkraft, als auch „ihre“ Scheidenflora und lustvolle Befeuchtung der Vagina unterbindet: Sind die Gefäße bereits durch Diabetes geschädigt und die Durchblutung im Genitalbereich dadurch verringert, bleiben Penis und Vagina unterversorgt und können nicht mehr wie gewohnt auf sexuelle Reize reagieren. Dazu kommt, dass das vom Diabetes beeinträchtigte Hormonsystem Depressionen begünstigt. Bei Frauen verursacht Östrogenmangel obendrein Scheidentrockenheit, die Schmerzen beim Verkehr mit sich bringt, und macht anfällig für genitale Infektionen.

Dass all diese quälenden Probleme ganz und gar nicht selten sind, belegen die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien: 42 bis 88 Prozent der Diabetikerinnen ringen mit Sexualstörungen. Je nach Alter, Erkrankungsdauer und schlechtem Therapiemanagement sind 35 bis 90 Prozent der zuckerkranken Männer von erektiler Dysfunktion betroffen. Und 18 Prozent der österreichischen Diabetiker leiden an einer behandlungsbedürftigen Depression.

Die Tatsache, dass frühe Diagnose, kompetente ärztliche Beratung und gute Einstellung der Zuckerwerte der beste Weg sind, die genannten Probleme zu lösen und weitere Schäden hintanzuhalten, ist bekannt. Auch der Zusammenhang von Sexualstörungen und Diabetes ist erwiesen.

Es ist also, so Bragagna, überaus wichtig, über sexuelle Gesundheit zu sprechen. Doch leider bleibt diese Offenheit sehr oft sehr lange aus: „Probleme mit dem Sex werden häufig nicht mit Diabetes assoziiert. Männer sehen zwar, dass ,er’ nicht mehr steht, tun dies aber gern als vorübergehend oder stressbedingt ab, greifen zu Potenzpillen und konsultieren erst den Arzt, wenn keine Erektion mehr möglich ist. Allerdings: Sind die Blutgefäße dann einmal bereits zerstört, ist das furchtbar, weil dann nur höchst selten noch etwas zu machen ist. Dann helfen in der Regel nur noch Vakuumpumpe, Kügelchen oder Spritzen“. In diesen Fällen können auch Potenzpillen nichts mehr ausrichten. Denn diese zielen ausschließlich auf gesteigerte Durchblutung ab, die jedoch nicht mehr erfolgen kann, weil die feinen Gefäße im Genital nicht mehr reagieren können.

Auch Frauen sprechen Lustverlust, Scheidentrockenheit und Schmerzen beim Verkehr mitunter viel zu lang nicht an, warnt die Medizinerin: „Viele haben weiterhin Sex, obwohl ihnen gar nicht danach ist. Einfach nur, weil sie den Partner nicht verstören und das Dilemma nicht ansprechen wollen – Geschenksex, quasi. Dass eine Krankheit Ursache der Probleme sein könnte, ist ihnen nicht bewusst“.

Wer guten Kontakt zu seinem Körper hat, merke jedoch sehr wohl, „dass da etwas nicht stimmt“. Schließlich komme Diabetes Typ-2 ja nicht „aus heiterem Himmel“, betont Bragagna – und nennt das gewichtigste Beispiel: „Übergewicht führt in 85 Prozent der Fälle zu Diabetes!“ Wichtigste Maßnahme zur Vorbeugung, aber auch in der Therapie, sei demnach gezielter Gewichtsabbau: „Das viszerale Fett muss weg. Hierzu gibt es gute Studien und klare Vorgaben. Als strenger Grenzwert für den Bauchumfang gelten über 94 Zentimeter beim Mann und über 80 Zentimeter bei der Frau“. Mit gezielter Umstellung der Ernährung, Fettabbau und Muskelaufbau sei dem Problem am besten beizukommen.

Bei guter Einstellung der Zuckerwerte und bewusstem Lebensstil stehe erfüllter Lust trotz Diabetes nichts im Wege. Kompetente Beratung sei hierfür essenziell. In diesem Punkt nimmt die Expertin auch die Ärzte in die Pflicht: „Eine Studie hat ergeben, dass nur 33 Prozent der Diabetiker auf ihre sexuelle Gesundheit angesprochen werden. Aber diese Zusammenhänge müssen erklärt werden, damit die Patienten sie verstehen und entsprechend handeln können“. Denn wer weiß und ernst nimmt, was in seinem Organismus geschieht, pflegt ihn auch und behält seine Werte im Auge. Dann bleibt das eigene Körpergefühl erhalten, Folgeerkrankungen können verhindert werden und erfüllender Sex kann langfristig störungsfrei genossen werden – Diabetes hin oder her.

Mehr Info und Rat zu Sexualstörungen: www.sexmedpedia.com