Wenn Elefanten baden und Touristen im Donnernden Rauch aufsteigen
Sambia, Botswana und Namibia: 2500 Kilometer rund ums Okavango-Delta
Von Peter P. Hopfinger
Womit assoziiert unsereins heute Afrika? Mit Armut? Mit Despoten á la Mugabe? Mit Aids? Mit Hungersnöten oder mit den letzten Wildreservoires der Erde? Wer es sich leisten kann und es wagt, der Wiege der Menschheit einen Besuch abzustatten, wird reich belohnt. Sternenhimmel wie im Mittelalter ohne Lichtverschmutzung, Naturerlebnisse wie im 19. Jahrhundert und ein persönliches Gefühl, als hätte man unsere Erde zum ersten Mal erlebt. Auch Menschen mit Diabetes können dabei sein.
In Afrika ist es kein Hahn, der zu früher Stunde mit einem Kikeriki weckt. Wesentlich früher geben Nilpferde Laute von sich, die schwer zu beschreiben sind – es klingt wie manch männliches Stöhnen während des Liebesaktes, mit dem ein Hippo sein Revier markiert. Zudem verteilt es sorgfältig wedelnd sein Stoffwechselprodukt in der Landschaft. Kuschelig werden Flusspferde nie. Allerdings kuscheln sie gerne miteinander. In flachen Gewässern liegen sie im Dutzend herum und dösen in der Sonne. Was aussieht wie faules Gähnen, ist allerdings meist eine Drohgebärde: „Komm mir nur nicht zu nahe – das sind meine Frauen, mein Pool, alles Meins – bleib, wo du bist oder besser: Geh weg!“ Nicht nur deshalb will man das Tier nur auf geführten Touren sehen. Außerdem ist es das tödlichste Tier Afrikas, das den meisten Menschen zu einem vorzeitigen Ableben verhilft.
Mit der Beobachtung der Tiere im afrikanischen Busch ist das so eine Sache. Reinhard „Rhino“ Gromann, unser Guide, erklärt das genauer: „Lange bevor du ein Tier siehst, hat es dich schon gehört oder gerochen. Wer hier im Busch überleben will, braucht scharfe Sinne. Großstädter haben diese meist nicht mehr. Deshalb rate ich meinen Gästen immer: Schaut genau, wo ihr hin geht. Bleibt im Fahrzeug ruhig, dann nehmen die Tiere nur ein großes Ding wahr. Wenn man heftig gestikuliert, werden die Tiere unruhig und verschwinden. Damit gehen die schönsten Fotos verloren.“
Die Bestätigung erleben wir prompt beim nächsten Wildwechsel. Eine Herde Kudus grast neben der Fahrbahn, nur dreißig Meter entfernt. Die Tiere schauen zu unserem Fahrzeug, das von „Rhino“ abgebremst wird, damit wir Fotos machen können. Jeder schnappt sein Fotografiergerät, will sich in die beste „Schussposition“ bringen. Einer ruft: „Gib mir doch die andere Kamera!“ Unruhe im Fahrzeug.
Bis alle Fotografen soweit sind, haben die Kudus längst reagiert. Sie zeigen uns ihre Hinterteile, schauen noch misstrauisch hinter einem Busch hervor und grasen dann außerhalb unserer Blicke weiter.
Wir lernen rasch und werden mit abenteuerlichen Begegnungen belohnt. Eine Gruppe Elefanten geht vor unseren Augen in einem kleinen See baden. Sichtlich genussvoll plantschen die Dickhäuter im kühlen Wasser und genehmigen sich anschließend eine kosmetische Staubdusche.
Ein Halbwüchsiger ist besonders gut drauf. Zuerst balgt er sich noch vergnügt mit seinem etwa gleichaltrigen Kumpel, aber dann glaubt er, sich mit einem der älteren und wesentlich größeren Tiere messen zu müssen. Der graue Riese ignoriert die Stänkerversuche des Jüngeren nicht einmal, was den wiederum sehr frustriert. Empört trompetend verlässt der Teenager den Pool und will seinen Frust an ein paar Gänsen auslassen. Doch ein paar Flügelschläge und sein Zorn geht wieder ins Leere.
Es ist einfach nicht sein Tag. Aber wir, meint „Rhino“, können froh sein, dass wir auf der anderen Seite des Teiches stehen, sonst hätte eventuell unser Landcruiser für die schlechte Laune des Jungbullen herhalten müssen.
Die Rüsseltiere bewegen sich dabei keineswegs so schwerfällig, wie ihre Statur vermuten lässt. Elefanten weisen trotz ihres unbeweglich wirkenden Körperbaus ähnliche Bewegungsmuster auf wie die vergleichsweise leichtfüßigen Pferde. Das haben Forscher um John Hutchinson vom Royal Veterinary College in London herausgefunden, als sie an 15 Elefanten die Koordinationsmuster von einzelnen Gliedmaßen und Gelenkbewegungen untersuchten. Die Beobachtungen der Wissenschaftler könnten zur Früherkennung von Skelettmuskelerkrankungen genutzt werden.
Eine Bewegungsanalyse zeigte, dass die Tiere den Spielraum ihrer Gelenke beinahe komplett ausnutzen und fast genauso beweglich sind wie trabende Pferde. Beide Elefantenarten unterscheiden sich hierbei nicht voneinander. Diese Beobachtungen sprächen dafür, dass der stark vereinfachte Vergleich von Elefantenbeinen mit statischen Säulen, die nur dazu dienen, Gewicht zu stützen, nicht gerechtfertigt sei, erklären die Forscher.
Was die Forscher mit ihrer Arbeit dokumentieren, erleben wir in Afrika hautnah. Vier Meter große Elefanten tarnen sich fast unsichtbar hinter nur mannshohen Gebüschen, tauchen fast lautlos neben unserem Fahrzeug auf. Meist hält der Chef einer Herde einen Vorderfuss leicht angewinkelt auf dem Boden. Dann „hört“ er damit, in dem er Vibrationen in weiter Entfernung wahrnimmt. Außerdem lernen wir, dass auch Elefanten Links- oder Rechtshänder sind – sie drehen ihren Rüssel ausschließlich in eine Richtung. Faszinierend.
Zurück zu den Safari-Ereignissen.
Die einzelnen Resorts unterscheiden sich im Wesentlichen darin, ob man als Gast in einem gemauerten Häuschen oder einem geräumigen Zelt wohnt, wenn man das sogenannte Upgrading-Paket erworben hat. Wer das nicht hat, muss täglich sein vom Veranstalter bereit gestelltes Zelt neu aufbauen und genießt auch nicht den Luxus einer privaten Dusche und Toilette. Beides findet zwar Open Air hinter dem bewohnten Zelt statt, aber natürlich schützt ein Zaun vor Blicken und man muss auch nicht mit anderen „teilen“.
Hunderte Vogelarten und jede Menge wilde Tiere – deswegen fährt man wohl auf so einen Trip und tatsächlich bekomme ich so viel davon zu sehen, dass meine Augen fast ermüden. Auch nächtliche Ausflüge werden organisiert, bei denen man mit ein wenig Glück auch Leoparden auf der Pirsch erspähen kann, dafür aber in Kauf nehmen muss, dass man trotz Decke ordentlich friert.
Mitunter kommt man aber flugs von der Situation des Beobachters in die des Beobachteten. So geschehen, als wir die Furt eines Flusses überqueren wollten und – obwohl es bei der Hinfahrt problemlos geklappt hatte – prompt stecken blieben. „Rhino“ machte sich auf den Weg ins nächste Dorf und empfahl uns: „Bleibt lieber im Auto, man weiß ja nie…“. Natürlich wurde gewitzelt („Schau, ein Krokodil“) und vor allem die Männer unserer Gruppe waren obercool. Aber, ich gesteh´s: nach 15 Minuten begann ich meinen Insulinvorrat zu checken, Manfred ortete mit seinem GPS unsere Position und die anderen schauten im Minutentakt auf die Uhr. Freilich löste sich die leichte Spannung sofort in Wohlgefallen auf, als ein paar Halbwüchsige auf uns zutrabten und lachend mit ausgestrecktem Finger auf uns zeigten.
Reinhard war im nächsten Dorf gut angekommen, hatte auch ein Fahrzeug aufgetrieben, das uns aus unserem Schlamassel ziehen konnte und wir kletterten barfuss und mit hochgekrempelten Hosen aus dem Toyota durchs knietiefe Flußwasser ans feste Land. Natürlich zum Riesengaudium der jungen Dorfbewohner.
Ein anderes Highlight war zweifellos der Mokoros-Trip ins Okavango-Delta. Mokoros sind ursprünglich Einbäume, die allerdings heute schon aus Kunststoff hergestellt werden. Zwei Passagiere haben in einem Mokoro Platz, auf dem Heck steht der Bootsführer und stakt das Boot mit einem echt hölzernen Stab durch die feucht-nasse Landschaft des Okavango-Deltas. Unglaubliche Papyruswälder wachsen vor uns in die Höhe und ich lerne, dass der Kern eines Papyrushalmes wie Marshmellows, luftig und süßlich, schmeckt. Er ist die Energie spendende Nahrung unserer hart arbeitenden Bootsführer, die übrigens Bestandteil einer durchaus vernünftigen Regelung sind. Nur junge Männer der Ortschaften, die rund um einen Nationalpark angesiedelt sind, dürfen Jobs wie Bootsführer oder Guide übernehmen. Das Geld, das sie damit verdienen, geht an die Dorfgemeinschaft. Damit wird nicht nur die Dorfgemeinschaft gestärkt, sondern auch das Bewusstsein, dass die Nationalparks und ihre tierischen Bewohner zu erhalten und zu schützen sind.
Das war nicht immer so. Als wir entlang des Caprivi-Streifens zum Camp am Kwando-Fluss fahren, pausieren wir auf einer Anhöhe, auf der man noch ausgezeichnet die gemauerten Reste einer Militärbasis erkennen kann. Als in den 80er-Jahren zwischen den Ländern Namibia und Botsuana ein Stellvertreter-Krieg zwischen Russland und Amerika geführt wurde, kamen dort nicht nur jede Menge Menschen ums Leben. Die missbrauchten Soldaten bekamen natürlich auch keinen Nachschub und schossen so ziemlich jedes Tier ab, das essbar war. Erst Anfang dieses Jahrtausends hat sich der Tierbestand von diesem Massaker wieder halbwegs erholt.
Mittlerweile treiben sich aber in dem von mir besuchten Gebiet wieder rund 100.000 Elefanten und unzählige Antilopen, Gnus, Löwen, Leoparden und natürlich auch Nilpferde herum. Als Hauptstadt der Esel bezeichnet sich allerdings die von uns öfter besuchte Metropole Maun. Dort findet man neben Spar-Supermärkten und dem alpenländischen Megaseller Red Bull (sowohl gezuckert als auch zuckerfrei) auch jede Menge Apotheken und Kliniken mit westlichem Standard, bei denen alle eventuell fehlenden Medikamente und andere Utensilien gegen harte Währungen nachgekauft werden können.
Das letzte fantastische Erlebnis meiner 14tägigen Reise erlebte ich am Ausgangspunkt in Livingstone. Im Victoria Falls Hotel, das direkt an den berühmten Fällen liegt, laufen tagsüber Giraffen, Zebras und Antilopen durch den Hotelpark.
Unsere Gruppe besucht die berühmten Wasserfälle zu Fuß, aber ich lasse es mir nicht nehmen, einen Ultra-Light-Flieger zu buchen. Ich habe Glück. Mein Pilot, der mich für eine Viertelstunde als Flugschüler unter seine Fittiche nimmt, ist Deutscher und wir können uns gut über die Helm-Mikrophone verständigen. Jörg so heißt er, hebt unseren Drachenflieger mit Motor mit viel Gefühl in die Luft und zeigt mir den „Rauch, aus dem der Donner kommt“ – so die wörtliche Übersetzung des afrikanischen Namens Mosi-oa-Tunya der Wasserfälle – aus einer fantastischen Perspektive. Der Name stammt vom Sprühnebel, der bis zu 300 m aufsteigt und noch in 30 km Entfernung zu sehen ist. Dieser entsteht, weil die Wassermassen des Sambesi sich auf einer Breite von 1708 m über eine 110 m abfallende Felswand ergießen. Damit sind die Viktoriafälle der breiteste einheitlich herabstürzende Wasserfall der Erde. Bei Hochwasser fließen bis zu 10.000 m³/s Wasser den Wasserfall hinunter, im Gegensatz zu den 170 m³/s während der Trockenzeit. Ich erkenne die verschiedenen Kanten, die sich die Wassermassen im Lauf der Jahrtausende gegraben haben, darf zwischendurch einmal kurz selbst fliegen und sehe noch einmal Elefanten und Nilpferde, die sich oberhalb der Fälle im Wasser tummeln. Unglaublich: Jörg erzählt mir während des 15-Minuten-Fluges (kostet 100 US-Dollar), dass bereits im September die Kanten des Wasserfalles trockenen Fußes zu begehen sind.
Am nächsten Tag geht’s in einem relativ langen Flug via Johannesburg und Frankfurt wieder Richtung Wiener Heimat.
Wenige Wochen danach schickt mir Reinhard „Rhino“ Grohmann ein Mail mit einer Einladung. Ich soll doch im März wiederkommen, um mit dem legendären Löwenflüsterer Lloyd die großen Katzen bei der Jagd zu beobachten. Leider! Das wird sich für mich nicht ausgehen.
Aber wen das oder ein anderer spannender Afrika-Trip interessiert, hier ist Reinhards Email reindl(at)iafrica.com