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Univ.-Prof. Dr. Monika LECHLEITNER - Die Menschenfreundin

Lächeln befreit. Deshalb ist es gut, dass es TV-Unterhalter wie Harald Schmidt gibt, der in der Abhandlung brisanter Themen keinen Tabubruch scheut. Zur Nikotinsucht von Kindern fiel Schmidt etwa ein: „Bereits jeder dritte Zwölfjährige raucht. Die Industrie hat sofort reagiert – ab jetzt gibt es Nikotin-Pflaster mit lustigen Dino-Motiven.“

Sarkasmus löst freilich keine Probleme. Deshalb ist wichtiger noch, dass es Menschen wie Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner gibt, die in Katastrophenmeldungen den Auftrag sehen, zu helfen.

Von Wolfgang Höllrigl

Lächeln befreit. Deshalb ist es gut, dass es TV-Unterhalter wie Harald Schmidt gibt, der in der Abhandlung brisanter Themen keinen Tabubruch scheut. Zur Nikotinsucht von Kindern fiel Schmidt etwa ein: „Bereits jeder dritte Zwölfjährige raucht. Die Industrie hat sofort reagiert – ab jetzt gibt es Nikotin-Pflaster mit lustigen Dino-Motiven.“ Über Drogenmissbrauch witzelte er: „In London haben inzwischen 90 Prozent der Banknoten Spuren von Kokain. Jetzt wissen wir auch, warum die Queen auf den Scheinen immer so lächelt.“ Und über zunehmende Fettleibigkeit scherzte der Showmaster: „Ein italienischer Professor hat einen Gürtel entwickelt, der bei Übergewicht blinkt – Startenor Pavarotti wird man deshalb in Zukunft nur mehr als Lichtorgel erleben.“ 

Sarkasmus löst freilich keine Probleme. Deshalb ist wichtiger noch, dass es Menschen wie Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner gibt, die in Katastrophenmeldungen den Auftrag sehen, zu helfen. Seit Jahresbeginn ist die 50-jährige Internistin aus Tirol Präsidentin der „Österreichischen Diabetesgesellschaft“ – und damit Frontfrau der Medizin im Kampf gegen einen Tsunami: der Zuckerflut im Blut. 

Eckdaten dazu: Rund 500.000 ÖsterreicherInnen sind zuckerkrank; jährlich kommen 25.000 neue Fälle dazu. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht in Diabetes „die Epidemie des 21. Jahrhunderts“ mit derzeit 200 Millionen Betroffenen rund um den Globus; Tendenz: rasant steigend. Präsidentin Lechleitner ist angetreten, diese Epidemie hier zu Lande zu stoppen. Und die Ärztin weiß: Um Unmögliches zu schaffen, muss man alles mögliche tun.

Ein kleiner Exkurs zeigt die Wucht der Herausforderung, denn Evolutionsmediziner fanden heraus: Moderne Menschen sind noch immer auf ein Leben als Jäger und Sammler programmiert, weil ihre genetische Ausstattung sich in den 10.000 Jahren seit der Steinzeit kaum verändert hat. Damals vollbrachten sie Höchstleistungen, wenn sie Nahrung suchten, wilden Tieren nachstellten und Unterkünfte bauten. Diejenigen, die aufgrund ihrer Gene nicht dazu fähig waren, starben aus. So entstand in den Überlebenden im Laufe der Jahrhunderte ein biologisches Rüstzeug, das immer weiter vererbt wurde. Es bürgt für optimale Abläufe im Körper – aber eben nur, solange ein Individuum sich jeden Tag bewegt. Auf eines ist das Erfolgsmodell Homo sapiens gar nicht eingestellt: Bewegungsarmut. Heute jedoch findet sich ein großer Teil der Weltbevölkerung in Industriegesellschaften wieder, für die seine genetische Mitgift nie vorgesehen war: Milliarden Menschen verbringen sie meiste Zeit ihres Tages im Sitzen oder im Liegen. 

Studien zeigen das Resultat: Etwa 65 Prozent der 50- bis 59-jährigen Frauen und 60 Prozent der Männer desselben Alters sind kaum noch in der Lage, drei Stockwerke hochzugehen. Von den 30- bis 59jährigen Frauen und Männern treiben mehr als die Hälfte überhaupt keinen Sport. Mehr als 65 Prozent der über 40 Jahre alten Männer sowie mehr als 70 Prozent der Frauen dieser Altersgruppe gelten als inaktiv. 

Aufgrund ihrer Steinzeitgene bekommt ihnen dieses Lotterleben schlecht. Sie nehmen zwar etwa ein Drittel weniger Kalorien zu sich als ihre nimmersatten Vorfahren. Jedoch verbrennen sie, aufs Körpergewicht bezogen, nur noch 38 Prozent so viel Energie. Der Körper spült das Übermaß an Kuchen, Wurstbroten und Weizenbieren nicht einfach wieder hinaus. Vielmehr macht er daraus – es könnte ja eine Hungersnot kommen – störende Fettpolster an Bauch und Po. 
Wohin der archaische Regelkreis führt, haben Forscher an den Pima-Indianern studiert, die in Mexiko und in den USA leben. Die US-Pima verputzen jeden Tag 500 bis 600 Kilokalorien mehr als die genügsameren Stammesgenossen im ärmeren Mexiko. Die Folge: Sie sind im Durchschnitt um 26 Kilo schwerer und haben eine der weltweit höchsten Diabetes-Raten. Jeder zweite der Pummel-Pimas ist zuckerkrank. 

Den Ausbruch des Stoffwechselleidens führen Evolutionsmediziner als Paradebeispiel dafür an, wie der menschliche Organismus noch auf Steinzeit gepolt ist. Der Körper vermag nur eine kleine Menge an Traubenzucker (Glukose) in Muskeln und Leber zu speichern; dieser Vorrat ist schon nach einem Fasttag erschöpft. Deshalb braucht der Körper Regelkreise, die den Glukosevorrat in Hungerszeiten schützen. 

Für unsere Vorfahren war es ein Vorteil, dass nur aktive Muskeln dem Blutstrom Glukose entziehen können. In Zeiten von Big Macs, Chips und Autofahren aber gerät dieses System zum Nachteil: Die inaktiven Muskeln sind unfähig, Glukose aus dem Blut zu fischen, wodurch die sich dort immer stärker konzentriert. Um den hohen Blutzuckerspiegel zu regulieren, bildet die Bauchspeicheldrüse in gewaltigen Mengen das Hormon Insulin. Doch durch die überschießende Ausschüttung werden die eigenen Zellen resistent gegen das Hormon. Der Zuckerstoffwechsel bricht zusammen, der Mensch erkrankt an Diabetes Typ 2 (neun von zehn Betroffenen). Übersteigt die Glukosekonzentration einen Schwellenwert, so drohen schwere Gefäßschäden, Erblindung und Zuckerkoma. 

Ein ebenso simples wie erfolgreiches Mittel gegen die Zuckerkrankheit (Typ 2) ist es, die Kranken körperlich zu mobilisieren. In der chinesischen Stadt Daqing wurden Müßiggänger, deren Glukosehaushalt schon gestört war, dazu verdonnert, sich regelmäßig körperlich zu regen. Dafür durften sie weiterhin essen und trinken, wie es ihnen gefiel. Nach sechs Jahren war ihr Diabetes-Risiko um 46 Prozent gesunken. Vergleichspersonen, die faul blieben, aber ihre Ernährung umstellten, erzielten nur eine Reduktion von 31 Prozent.

Natürlich kennt die Top-Diabetologin Professor Lechleitner das rutschige Terrain ihrer Performance als Präsidentin. Trotzdem wirkt sie eher erwartungsfroh als angespannt. Selber gertenschlank, weil in der Freizeit gern sportlich unterwegs (Schifahren, Biken), merkt sie gleich einen ersten Fettlawinenschutz an: „Der wichtigste Ansatz ist, die Freude an der Bewegung schon bei Kindern zu fördern. Dazu müsste der Turnunterricht reformiert werden. In Richtung Lebensstilberatung statt Leistungsturnen mit Salto vorwärts und rückwärts.“ 

Es wäre ein Umbruch an Österreichs Schulen, eine Abkehr von den Besten zum Bekenntnis, das Beste zu wollen, ein Schulterschluss von Pädagogik und Gesundheitspolitik. Doch Utopien schrecken die Internistin nicht ab, und das hat wohl mit ihrer persönlichen Geschichte zu tun: Seit Monika Lechleitner 1979 an der Uni Innsbruck sub auspiciis praesidentis promovierte, hat sie als Medizinerin alles erreicht. Zwar blieb das Privatleben (ledig, kinderlos) dabei auf der Strecke: „Aber ich habe Neffen, die sind ein guter Familienersatz.“ Und die Heilkunde ist ohnehin die Liebe ihres Lebens. 

Die Lovestory im Stenogramm: Lechleitner wollte ursprünglich Kinderärztin werden. „Die Interne war das Gegenfach, und das hat mich fasziniert. Der Rest hat sich schicksalhaft ergeben.“ Als Internistin an der Uniklinik betreut sie viele Senioren – und wächst zur Spezialistin für Geriatrie. Und weil die Zuckerkrankheit mit dem Lebensalter zunimmt, zählt die Tirolerin bald auch zum A-Team der heimischen Diabetologen. 
Freilich war nicht alles Bestimmung. Denn Lechleitner hat zu ihrem Aufstieg viel beigetragen und die Leidenschaft für den Beruf ausgekostet, die im Herzen brannte wie eine Myokarditis. Indizien dafür sind vier Diplome als Zusatzfachärztin (für Nephrologie, Intensivmedizin, Endokrinologie und Stoffwechsel), ein postgraduate Managementkurs an der Uni Salzburg, Mitarbeit in einem Dutzend wissenschaftlicher Fachgesellschaften (Forschungsgebiete: Diabetes, Adipositas, Geriatrie, Innere Medizin), Vorträge auf Kongressen an 20 Wochenenden im Jahr, Karrieresprünge zur Professorin (1995) und zur Leiterin der Internen Abteilung am Landeskrankenhaus Hochzirl im Sommer 2005. 

Doch erstaunlicher noch als der Erfolg der Spitzenärztin ist ihr menschliches Format. Professor Lechleitner zählt nicht zu den Medizinern, deren Ego eine eigene Postleitzahl braucht. Sie strahlt die behagliche Wärme eines Kachelofens aus und menschelt sogar, wenn sie aus der Schule plaudert. Von ihren Patienten in Hochzirl, dem einzigen akut geriatrischen Zentrum in Westösterreich, spricht sie wie von Freunden: „Da gibt es welche, die mit 85 noch Schifahren gehen und dann halt einen Schenkelhalsbruch haben. Unsere Wiedereingliederungsrate beträgt 80 Prozent. Damit wird die teuerste Behandlung – die von Pflegefällen – zumindest hinausgeschoben.“ Mit Diabetikern freut sie sich über große Meriten („Die Spätkomplikationen sind dramatisch gesunken, damit haben wir den Patienten viel von ihrer Angst genommen“) ebenso wie über kleine: „Zuckerkranke am Steuer verursachen nicht mehr Unfälle. Das zeigt, dass sie ihr erhöhtes Risiko durch umsichtiges Verhalten im Straßenverkehr ausgleichen.“ Und für diabetische Senioren würde sie am liebsten die Welt verändern: „Die stürzen öfter. Aber leider ist unser Alltag genauso altenfeindlich wie kinderfeindlich. Stichworte dazu sind Teppiche und Gehsteige.“ 

Monika Lechleitner hat glaubhaft „nicht Medizin studiert, um reich zu werden.“ Umso mehr genießt sie das warme Gefühl im Sonnengeflecht, wenn Patienten einen auf Händen tragen. Doch welche Ziele kann eine Frau noch haben, die ohne Protektion als Professorin und Primaria im Beruf ganz oben angekommen ist? „Man kann zum Beispiel“, sagt die neue ÖDG-Präsidentin, „seine Erfahrungen in eine Position einbringen, in der es um Entscheidungsfindung geht.“ Nachsatz: „Und um ein partnerschaftliches Konzept mit der Politik.“ 
Lechleitner ist als Ärztin kompetent. Und als Menschenfreundin beherrscht sie die Kunst, andere zu umarmen ohne ihnen in die Hände zu fallen. Gute

Voraussetzungen für ihr Nahziel als Präsidentin: „Die Umsetzung des Diabetesplans.“ Für Laien verständlich, geht es darum, alle Zuckerkranken im Lande zu erfassen (Diabetesregister), sie optimal zu betreuen (Schulung, Beratung in Sachen Ernährung und Bewegung) und bestmöglich zu behandeln (Leitlinien). Es geht um Millionenbeträge für Schadensbegrenzung und Vorsorge. Und es geht darum, Sozialversicherungsträger, Ministerium und Ärztekammer auf einen Nenner zu bringen, damit der Zähler Diabetes nicht explodiert. 
Die Funktionsperiode von ÖDG-Präsidenten dauert zwei Jahre. Menschenfreundin Lechleitner lächelt. Lächeln befreit.

Auf ein Wort – private Fragen an Prof. Lechleitner

Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Unpünktlichkeit – wenn jemand zum Beispiel gleitende Dienstzeit nach eigenen Vorstellungen durch hohes Engagement wieder wettmacht.
Was ist für Sie das größte Unglück? Schicksalhafte schwere Erkrankungen.
Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück? Vielleicht eine gewisse Ausgewogenheit und Zufriedenheit. Aber da müsste man länger drüber diskutieren.
Wo möchten Sie leben? Ich bin in Innsbruck sehr zufrieden.
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten? Verlässlichkeit, Toleranz, die Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen...
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten? Die selben wie bei einem Mann.
Ihr Hauptcharakterzug? Ich bin berechenbar.
Ihr Motto? Jeder hat sich einen Vertrauensvorschuss verdient.
Ihr größter Fehler? Ich nehme mir zu wenig Zeit für mich selbst.
Ihre Lieblingsbeschäftigung? Bewegungsaktivität in der Freizeit und Lesen.
Was verabscheuen Sie am meisten? Menschenverachtung.
Wie möchten Sie sterben? Zufrieden mit mir und der Welt...