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Univ. Prof. Dr. Kinga HOWORKA - Eine Frau wie ein Tornado

Der Blitzableiter auf einem Kirchturm ist das denkbar stärkste Misstrauensvotum gegen den lieben Gott, meinte Karl Kraus. Zu einem Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Kinga Howorka keinen Blitzableiter mitzunehmen, ist hingegen eine Unterlassungssünde. Denn die Internistin mit der blonden Farrah-Fawcett-Mähne heißt nicht nur mit Vornamen wie Wirbelstürme in der Karibik; auch die Person und Persönlichkeit vermitteln elementare Kraft.

Ihr Tonfall hat Nachdruck, ihr Blick 1000 Volt, manchmal überholt sie sich im Interview selbst und begegnet einer Frage mit drei Antworten und einer Gegenfrage. Dafür hat Würze, was sie sagt. Hohlsätze, gut durchgekaut und eingespeichelt, sind nicht ihr Geschmack. Erster Eindruck: Eine Ärztin aus Leidenschaft. Eine Frau wie ein Tornado. 
Auf den zweiten Blick zeigen sich die beiden großen E, auf denen die gebürtige Polin eine tolle Karriere aufgebaut hat: Ehrgeiz und Empathie, sprich: die Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen. Die beiden Säulen machten die einstige ausländische Studierende zur weltweit anerkannten Professorin (seit 1999). 

Ehrgeiz war das Überlebensmittel, als Kinga Howorka 1975 als Medizinstudentin nach Österreich kam. Denn sie sollte in einer Fremdsprache studieren: "Also habe ich in extrem kurzer Zeit deutsch gelernt." Und sie musste in einer Studienrichtung bestehen, die damals noch akzentuiert frauenfeindlich war. Im Blick zurück erinnern sich reife Semester ans Reizklima in den Hörsälen damals. Einige traurige Highlights waren für weibliche Studenten sehr demütigend und mitunter abschreckend. 

Aber Kinga Howorka ist zu elegant, um Arrogantia in Weiß konkret anzuschwärzen. Alte Narben berührt sie nur sanft und sagt: "Die Medizin war damals eine Männerwelt. Dabei musste frau lernen, damit umzugehen.“ Und: "Was dich nicht umbringt, macht dich härter." Der Beweis: Nach zehn Semestern promoviert sie summa cum laude. Der Mittelwert angehender Mediziner lag damals bei zehn Jahren. 
Brillant am ersten Etappenziel angekommen, gab Frau Doktor 
dem zweiten E ihrer Charakterstruktur Raum: der Empathie, die sich in Mitgefühl zeigt und Ärzte zu Wegbegleitern macht. Und eine Qualität, die sich offenbar nicht verdrängen lässt. 

Howorka merkt es, als sie nach dem Studium auf einer Planstelle der Universitätsklinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie landet: "Ich wollte mich immer austauschen mit Patienten, aber jene einer Kieferambulanz begegnet man ja meist praktisch nur im Zustand „mit offenem Mund“. So können sie ja kaum reden. Und nach einem Jahr wusste ich, das ist nichts für mich." Nach einem Jahr auf der Wiener Poliklinik entschied sie sich für innere Medizin und erhielt eine Ausbildungsstelle an der 1. Medizinischen Abteilung am AKH in Wien. Allerdings wurde sie -- wie damals üblich – von dieser zunächst „verschont“ weil „verschickt“ auf „Außenstellen“: es folgte ein Jahr im Rehab-Zentrum Bad Hall und später noch ein Semester in Felbring ("Keine leichte Zeit, weil ich in Wien frisch verheiratet war"). 
Anfang der achtziger Jahre wurde sie von profunder Forschung in Diabetologie fasziniert. Stichworte dazu: Blutzuckerselbstmessung statt Harnteststreifen, Pumpentherapie, Schulung für Diabetiker. 

Die junge Internistin tauchte ein in die Aufbruchstimmung, sog neue Studien auf wie ein Schwamm und spürte – empathisch – die Schwachstelle in der Behandlung von Zuckerkranken: "Damals wurde die Therapie noch rigoros vom Arzt gestaltet, der schrieb fixe Zeiten fürs Essen und die Injektionen vor. Eine Qual für Menschen, die solche Vorgaben aus beruflichen oder persönlichen Gründen nicht einhalten konnten. Denn die bekamen dann auch noch zu hören, dass mit ihnen was nicht stimmt." 

Schlimmer noch: Acht bis zehn Prozent der Bevölkerung leiden unter dem sogenannten ADS (für: Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom) und können daher mit Zeit, mit Gegenständen und Vorschriften nicht gut umgehen. Auch Ärztin Howorka selbst und ihren Kindern ist das Phänomen nicht fremd. Also wusste sie: "Wenn man dieses Syndrom genetisch verankert bekommt und dazu noch Diabetes, hat man extrem schlechte Karten." 
Es sei denn, die Karten werden neu gemischt. 

Kinga Howorka hat's durch ein Schulungsprogramm geschafft, das nicht nur FIT (für: Funktionelle Insulintherapie) heißt, sondern auch „fit for fun“ macht. Das Kompendium zielt auf "competent patient leadership" ab. Im Klartext: Der Patient bekommt kompetente Infos über den besten Umgang mit seiner Erkrankung. Und mit diesem Rüstzeug übernimmt er Selbstverantwortung und Selbststeuerung der Therapie. Dank FIT entscheiden Typ 1-Diabetiker selbst, was, wann und wie oft sie essen; für den Typ 2 gibt's zusätzliche Module wie den Schlankkurs oder Lehrreiches über Bluthochdruck und Blutfette. 

Das Programm, aus Empathie entstanden, hat das Zeug zum Lebenswerk. Dafür spricht der Erfolg von Howorkas Sachbüchern zum Thema (Verkausauflage: 80.000 in 5 Sprachen), dafür sprechen bisher 13 internationale Seminare für Ärzte und Therapeuten zur Verbreitung von FIT (darunter 3 in den USA), dafür spricht die Begeisterung von Patienten, die sogar aus den USA anreisten, um in Wien das bestmögliche Leben mit ihrem Leiden zu lernen. Am meisten aber sprechen dafür dokumentierte Zahlen. 

Die Qualität von Diabetes-Therapie wird weltweit gern an den Ergebnissen bei Schwangerschaften gemessen, weil die Auswertung von Spätschäden 20 Jahre Beobachtung voraussetzt. Die Fakten dazu: 60 Prozent aller Babys von Diabetikerinnen kommen zu groß auf die Welt und/oder leiden nach der Geburt an Unterzuckerung. Howorkas Erfolgsquote bei ihren Patientinnen dank FIT: neun Prozent. 60 Prozent aller Diabetikerinnen entbinden durch Kaiserschnitt. Howorkas Rate: 25 Prozent. Überzeugend schließlich auch die jüngste gute Nachricht für die entschlossene Professorin: Eine aktuelle Studie verglich die Behandlungsqualität an 14 größten, überwiegend ambulanten Diabeteszentren in Österreich und Deutschland. Gemessen wurden Parameter wie HbA1c-Werte, Blutdruck, Blutfette und Rate der strukturierten Schulungen. Sieger: Kinga Howorka’s Schwerpunkt-Praxis (mit ausschließlich ambulatorischem Betrieb). 

Trotzdem fühlt sich die Diabetologin nicht am Ziel. Denn da ist ihr Ehrgeiz, der gebietet: "Wir arbeiten ständig daran, unseren Standard noch zu verbessern." Und da ist ihre Empathie, die fragen lässt: "Warum wird competent patient leadership’ eigentlich immer noch nicht ausreichend in der Lehre an den Unis vermittelt?" 
Mag sein, der Weg ist das Ziel. Andrerseits sagen Asiaten: "Anerkennung ist eine Pflanze, die vorwiegend auf Gräbern wächst." Und so gesehen ist Kinga Howorka bereits weiter als ein ganzer Kontinent glaubt.

Auf ein Wort – private Fragen an Prof. Howorka

Ihr Hauptcharakterzug? Empathie (die Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen).
Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück? Das ganzheitliche Zusammensein mit einem lieben Menschen. 
Was ist für Sie das größte Unglück? Mir das vorzustellen, würde mich darauf focusieren. Also tu' ich's lieber nicht, denn ich habe schon einiges Unglück hinter mir. 
Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Da frage ich mich eher: Welche Fehler entschuldige ich nicht? 
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten? Ich bin im Augenblick sehr verliebt, daher alle dieses Mannes. 
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten? Grundsätzlich sehe ich das nicht geschlechtsspezifisch. Denn es geht immer darum, das Beste zu machen – aus sich und für andere. 
Ihr Traum vom Glück? Ist im Augenblick erfüllt (siehe oben). 
Ihr größter Fehler? Die verdammte Neigung, Dinge nicht sofort fertig zu stellen. 
Ihr Motto? Die Frage: Was könnte gut daran sein? Auch an Dingen, die auf den ersten Blick nicht gut erscheinen. 
Ihre Lieblingsbeschäftigung? Chronisch Kranken "competent patient leadership" 
zu vermitteln, also Selbstverantwortung und Selbststeuerung. 
Was verabscheuen Sie am meisten? Empathielosigkeit, denn die führt zu Verbrechen. 
Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen? Ich würde gern singen können. 
Wo möchten Sie leben? Im Augenblick am Schafberg in Wien, aber das kann sich ändern. 
Wie möchten Sie sterben? Nicht alleine, am besten umarmt.

Fotos: Veronika Kub

 

http://www.diabetesfit.org/