Typ-1-Diabetes bei Kleinkindern: Erhöhter Blutzucker schon vor Autoimmunität
Stoffwechselveränderungen können bei Typ-1-Diabetes früher im Krankheitsverlauf auftreten als bislang angenommen – sie können dem Auftreten der Autoimmunität vorausgehen oder sich auch parallel dazu entwickeln.
(11.4.2023) - Bisher ging man davon aus, dass der Prozess der autoimmunen Zerstörung der Betazellen im Pankreas zunächst unerkannt im Hintergrund verläuft. Erhöhte Blutzuckerwerte wären danach Folge des Autoimmunprozesses. Diese These scheint nicht korrekt zu sein. Das berichtet eine internationale Arbeitsgruppe mit Beteiligung des Helmholtz Munich Instituts für Diabetesforschung.
Bei der Untersuchung der Autorengruppe ging es um die Frage: Wann und warum manifestiert sich ein Typ-1-Diabetes bei Kindern? Forscher aus 5 Ländern haben dafür an 7 Standorten die klinische Primärpräventionsstudie „POInt“ („Primary Oral Insulin Trial“) aufgesetzt.
Langfristiges Ziel des Vorhabens im Rahmen der „Globalen Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes“ (GPPAD) ist, die Ursachen für die Bildung der Inselautoantikörper zu erkennen und frühzeitig zu verhindern. Dies sollte, so die Hypothese, ein Erfolg versprechender Weg sein, um der Entstehung eines Typ-1-Diabetes vorzubeugen, bei dem insulinproduzierende Betazellen der Bauchspeicheldrüse durch eine fehlerhafte Reaktion des Immunsystems zerstört werden.
Die POInt-Studie untersuchte jetzt über einen längeren Zeitraum mehr als 1 000 Kinder ab ihrem 4. Lebensmonat mit einem erhöhten Risiko für Typ-1-Diabetes. In der Studie wurde Säuglingen mit einem erhöhten Risiko für einen Typ-1-Diabetes über längere Zeit in einem doppelblinden Setting Insulinpulver mit der Nahrung verabreicht, um so eine Toleranz des Immunsystems gegenüber Insulin zu erreichen. Gleichzeitig wurden auch von Anfang an in mehrmonatigen Abständen die prä- und postprandialen Blutzuckerwerte und die Inselautoantikörper der Kinder überwacht. Das ermöglichte den Forschenden, den Zusammenhang zwischen Blutzuckerwerten und erster Entwicklung von Inselautoantikörpern zu analysieren.
Zeitpunkt des Anstiegs des postprandialen BZ diagnostisch wegweisend
Es stellt sich heraus, dass Stoffwechselveränderungen früher im Krankheitsprozess auftreten als bisher angenommen: Die Auswertung zeigte, dass die Blutzuckerkonzentrationen kurz nach der Geburt entgegen bisheriger Annahmen keinen stabilen Zustand erreichen. Stattdessen fallen sie im 1. Lebensjahr ab und steigen im Alter von ungefähr 1,5 Jahren wieder an. Der Blutzuckerstoffwechsel verläuft also früh im Leben dynamisch und spiegelt dabei laut der Arbeitsgruppe den Häufigkeitsgipfel der Inselautoantikörperentstehung wider. Dies deute auf eine Phase von Aktivität und Anfälligkeit der Inselzellen hin.
Auch wurde eine starke Veränderung der postprandialen Blutzuckerwerte kurz vor dem ersten Nachweis von Autoantikörpern beobachtet. Dies lässt ein initiierendes Ereignis vermuten, das die Funktion der Betazellen beeinträchtigt. Dieses Ereignis geht, so die Autoren, der Autoimmunreaktion voraus und trägt zu ihrer Entwicklung bei.
Da sich die Betazellfunktion nach der ersten Antikörperbildung weiter verschlechtere, scheine es sich um eine dauerhafte Schädigung der Inselzellen zu handeln: Veränderungen der Blutglukose könnten somit künftig als Indikator für eine Fehlfunktion der Inselzellen und den möglichen Beginn von Autoimmunität gegen die Betazellen dienen, so die Autoren. Ob die Gabe des oralen Insulinpulvers einen Einfluss auf die Entstehung der Autoimmunität nehmen kann, wird noch evaluiert.
DOI: 10.3238/PersDia.2023.03.24.07