Time in Range, der neue Hba1c?
Von Mag. Christopher Waxenegger*
Jeder Mensch mit Diabetes, egal ob Typ-1, Typ-2, Gestations- oder MODY-Diabetes, kennt den Begriff Hba1c. Der umgangssprachlich auch als „Langzeitzucker“ beschriebene Blutwert spiegelt die Einstellung in den letzten drei bis vier Monaten wieder und erlaubt somit retrospektive Aussagen zur durchschnittlichen Höhe des Blutzuckerspiegels in diesem Zeitraum. Seit geraumer Zeit gesellt sich nun ein zweiter wichtiger Parameter hinzu, welcher in Zukunft wohl noch weiter an Bedeutung gewinnen wird: die Time in Range.
Kontinuierliche Blutzuckermessung
Patienten mit Diabetes müssen in regelmäßigen Abständen ihren Blutzuckerspiegel überprüfen bzw. sofort, falls Symptome einer Unterzuckerung auftreten. Vor allem bei jenen mit Typ-1 Diabetes oder insulinpflichtigen Typ-2 Diabetes sind im Verlauf des Tages etliche Messungen notwendig, um die zu spritzende Insulinmenge (Bolus) an den jeweiligen Blutzuckerwert anzupassen. War dies bis vor wenigen Jahren mit wiederholt blutigen Stichen in die Fingerbeere verbunden, schafft mittlerweile die sogenannte kontinuierliche Blutzuckermessung (CGM; Continuous Glukose Monitoring) Abhilfe.
Im Zuge der CGM wird vom Patienten mittels Autoinjektor ein hauchdünner Draht im Unterhautfettgewebe platziert (Ausnahme: Eversense®). Der Draht misst alle paar Minuten die Zuckerkonzentration und sendet den Wert an einen Empfänger (Smartphone mit App oder eigenes Gerät). Dieser Empfänger zeigt den aktuellen Wert in Zahlen an. Zusätzlich wird der Blutzuckerverlauf als Kurvendiagramm dargestellt, wodurch dem Benutzer nicht nur ein punktueller Wert, sondern ein Trend (steigend, fallend oder gleichbleibend) zur Verfügung steht. Dies erlaubt, bei entsprechender Schulung, ein individuelles Monitoring und damit eine individuelle Anpassung der Behandlung.
Besonders Kleinkinder, Kinder und Jugendliche profitieren aufgrund ihres variablen Tagesablaufs besonders von dieser neuen Technologie. Vorteilhaft ist zudem das kontaktlose (Cloud-basierte) übertragen von Informationen an Zweitgeräte, wie das Handy der Eltern. Diese haben damit immer einen guten Überblick über den momentanen Blutzuckerwert ihres Kindes und können bei Bedarf rasch reagieren.
Zeit im Zielbereich
Die Time in Range (TIR), also die Zeit im Zielbereich, ist durch die Möglichkeit der kontinuierlichen Blutzuckermessung in den Fokus der Diabetologen gerückt. Der angesprochene Zielbereich der TIR liegt dabei zwischen 70 und 180mg/dl. Je länger der Blutzucker sich innerhalb dieser zwei Werte bewegt, desto höher ist die prozentuelle TIR und desto besser ist der Diabetes des Patienten eingestellt. Studien brachten in Erfahrung, dass eine TIR von 70 Prozent in etwa einem Hba1c-Wert von 7,0 entspricht. Dementsprechend gilt für die meisten Diabetiker ein TIR-Zielwert von mindestens 70.
Jedes der am Markt befindlichen CGM-Systeme besitzt zu diesem Zweck ein eigenes Analyseprogramm. Dieses kann über mobile Geräte oder den PC aufgerufen und nach Eingabe des persönlichen Passwortes eingesehen werden. In der Regel werden die Daten via USB-Anschluss vom Empfänger übertragen und im virtuellen Raum gespeichert. Das Analyseprogramm errechnet den geschätzten Hba1c-Wert, die TIR und einiges mehr. Mit Erlaubnis des Patienten hat ebenso das behandelnde Diabetes-Team immer einen guten Überblick und kann spezielle Empfehlungen aussprechen.
Glukosevariabilität
Ein weiterer relevanter Parameter ist die Glukosevariabilität, sprich, das Profil des Blutzuckerverlaufs. So können beispielsweise Menschen einen schlechten Hba1c-Wert haben, weil ihr Blutzucker nach kohlenhydratreichen Mahlzeiten sehr stark ansteigt, obwohl die nüchtern gemessenen Werte ansonsten im Zielbereich sind. Solch ausgeprägte Schwankungen des Blutzuckerspiegels sind mit einer erhöhten Rate an Hypoglykämien und Langzeitschäden verbunden. Aus diesem Grund sollte die Glukosevariabilität generell ≤36 Prozent sein.
Fazit
Fortschritte in der Technik erlauben die kontinuierliche Bestimmung des Blutzuckers bei Menschen mit Diabetes. Dies hat dazu geführt, dass neuartigen Parametern wie der TIR und Glukosevariabilität mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Insbesondere für die TIR konnte in zahlreichen Studien ein direkter Zusammenhang mit dem Hba1c-Wert ermittelt werden. Ersetzt werden kann der Langzeitzucker zwar nicht, TIR und Glukosevariabilität stellen jedoch ohne Zweifel eine Bereicherung für die Diabetestherapie dar. Noch nie zuvor konnten derart viele Daten individualisiert für die Behandlung genutzt werden. Man darf zurecht gespannt sein, was die Zukunft für Menschen mit Diabetes noch so alles bereithält.
*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.
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