TEIL 2: Diabetes und andere Spitalsgesellen
Erfahrungen von Peter P. Hopfinger
In ganz Österreich werden jährlich rund 17.000 Hüftprothesen implantiert, was sich – abgesehen vom Spitalsaufenthalt und anderen Nebenkosten – mit rund 350 Millionen Euro bei der heimischen Krankenkasse zu Buche schlägt. Anders betrachtet werden rund 210 Patienten von 100.000 Bewohnern künstliche Hüft-Gelenke eingepflanzt und bei den Knieprothesen sind es mit 202 Patienten pro 100.000 nur unwesentlich weniger.
Kein Wunder also, wenn man in etwas mehr als einer Woche mehrere Schicksalsgenossen im Spital kennenlernt. Den wichtigsten Lebensbegleiter hat man allerdings selbst mitgebracht – den Diabetes, der mich schon mehr als 25 Jahre begleitet. Auf ihn müssen sich auch die Mediziner einstellen. So wird während der Operation nicht nur der Zuckerwert ganz genau im Auge behalten, er spielt auch postoperativ eine große Rolle. Mit hohen Zuckerwerten im Blut verläuft der Heilungsprozess schleppend bis gar nicht. Und wer zusätzlich noch ein paar Zentner zu viel auf die Waage bringt, hilft seinem lädierten Körper nicht wirklich, sich zu regenerieren.
Die knapp 30jährige Sonja* sitzt seit 10 Jahren im Rollstuhl, ist insulinpflichtig zuckerkrank, schwer übergewichtig und seit Jahren in psychiatrischer Behandlung. Die offenen Wunden in ihrem Fuß wollen wegen jenseitiger Zuckerwerte nicht heilen und das arme Ding bangt jeden Tag der Entscheidung entgegen: Amputation oder nicht? Sie dauert mich zutiefst.
Ein seltsamer Zeitgenosse ist Oleg*, Mitte 30, der sich als russisch-israelischer Staatsbürger mit Österreichbezug vorstellt, der alle Menschen extrem aggressiv anredet, in Brasilien vermutlich deshalb zusammengeschlagen wurde und jetzt trotz der Wiederherstellung auf das heimische Gesundheitssystem schimpft. Nach vier Tagen muss er das Spital verlassen und sich anderswo Hilfe suchen. Aber da er ja nach eigenen Angaben ein Vermögen in der Schweiz und in Belize gebunkert hat, wird ihm das wohl gelingen. Interessant war noch, dass er sich selbst als Guru sah, der anderen Menschen Heilungsanweisungen gab. Ich glaube, er rauchte einfach zu viel Gras oder schmiss andere illegale Substanzen ein.
Von dramatischen Erlebnissen berichtet eine Rollstuhlfahrerin. Jutta*, die mit einem komplizierten Knöchelbruch eingeliefert wurde, hat im Garten des Spitals einen leblosen Körper gefunden. Der Patient stürzte (sich?) aus einem Fenster und löste mit seinem Freitod einen großen Polizeieinsatz aus.
Menschen wie ich haben noch einen weiteren Spitalsgenossen, der nicht nur während der Operation ernst genommen werden will: der Diabetes verlangt während solcher Eingriffe unbedingte Aufmerksamkeit. Das geschieht auch durch den Narkosearzt und war mir mehr als recht. Doch nach dem Aufwachen geht´s mit der Zuckerkontrolle so richtig los. Zu nächtlicher Stunde stürmt da schon gern die diensthabende Schwester ins Zimmer, dreht abrupt die große Beleuchtung auf und kräht fröhlich: „Guten Morgen, ich werde sie jetzt stechen, Blutzuckerkontrolle!“
Ich verbitte mir das nach dem ersten Mal energisch, ersuche, nur das Nachtlicht aufzudrehen und zeige meine aktuellen mit dem Libre 2 gescannten Werte problemlos am Smartphone her. Die Schwestern – so mein Eindruck – sind ebenso erleichtert wie ich, dass sie sich nicht darum kümmern müssen.
Ich habe wegen des Blutverlustes nach der OP zwei halbe Liter fremdes Blut bekommen und – sobald ich halbwegs klar denken konnte – Prof. Dr. Kinga Howorka angerufen, um mir Tipps für den Umgang mit meinen Insulindosen (basal und prandial) zu holen. Ihr lakonischer Kommentar: „Am Besten, Du verdoppelst beide Raten.“ Weil ich seit mehr als einem viertel Jahehundert nicht nur komplianter Patient, sondern auch empowerter und gut geschulter Klient bin, folge ich Howorkas Rat nur teilweise und bin sicher, damit einigen heftigen Unterzuckerungen (Hypos) entgangen zu sein. Sei´s drum: Ferndiagnosen sind halt auch nicht immer einfach.
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Fragen, Ihre Erfahrungen oder anderes erreichen mich unter hopfinger(at)diabetes-austria.com