Tatort Esstisch: Lebensmittelfälschern auf der Spur
Die Ausmaße des weltweiten Lebensmittelbetrugs sind gewaltig. Es ist viel mehr als bloßer Etikettenschwindel: Lebensmittelfälscher spielen von den Umsatzzahlen her in der Liga der Drogenhändler. Sie sind skrupellos – und einige nehmen sogar den Tod ihrer Opfer in Kauf…
Ende Februar 2017 klickten in Gioia Tauro zwölf Mal die Handschellen, im Monat vorher sogar 33 Mal. Die Verhafteten waren Mitglieder der ´Ndrangheta, des wohl reichsten und mächtigsten Mafia-Netzwerks Italiens. Drogenhandel, Geldwäsche, Terrorismus, Mord – kaum ein Kapitalverbrechen, das dem Clan nicht vorgeworfen wird. Doch das einträglichste Geschäft des Netzwerks mit den meisten Opfern weltweit hat kaum einer wirklich am Schirm: Es geht dabei unter anderem um Olivenöl…
Die kalabrische Gemeinde Gioia Tauro an der „Stiefelspitze“ Italiens beherbergt zahlreiche Lebensmittelfabriken, einen der größten Containerhäfen Europas und genügend Menschen, die bereit sind, für Geld im rechten Moment wegzuschauen – die perfekte Basis für ein 16-Milliarden-Euro-Geschäft mit gefälschtem Essen alleine in Italien. Ganz vorn als Umsatzbringer liegt Olivenöl: Für mehr als 50 Euro pro Liter gehen die teuersten Sorten der höchsten Qualitätsstufe „nativ extra“ über die Theke. Ein gefälschtes Produkt, bei dem aus Pressrückständen mithilfe von Chemikalien auch die letzten Tropfen Öl gewonnen werden, kostet weniger als einen Euro in der Herstellung. Im besten Fall also ein 5000-prozentiger Gewinn.
Bei einer Untersuchung von 31 Nativ-Extra-Ölen aus deutschen Supermärkten waren ganze 30 gefälscht – nur ein einziges (!) stellte sich als wirklich echt heraus.
Das Problem Lebensmittelbetrug, ist bis heute nicht gelöst. „Menschen werden sehr ernsthaften Gesundheitsrisiken ausgesetzt, um die kriminelle Gier zu befriedigen", so ein Beamter von Interpol. Wie dieser gefährliche Betrug effektiv bekämpft werden kann, ist nicht ersichtlich. In der EU ist bislang nicht einmal juristisch geklärt, wo Produktoptimierung aufhört und Lebensmittelbetrug beginnt. Entsprechend schwer fällt es den Behörden, das Ausmaß des Problems zu benennen. Sicher sei nur, dass Olivenöl, Fisch, Bio- Lebensmittel, Milch, Kaffee, Wein und Fruchtsaft in besonderem Maße betroffen seien.
Europol und Interpol koordinieren regelmäßige Kontrollen. An der vergangenen Operation, die von Dezember 2018 bis April 2019 durchgeführt wurde, nahmen 78 Länder teil. Überprüft wurden Lebensmittel in Geschäften, an Flughäfen, auf Märkten, an Häfen und in Industriegebieten. 16.000 Tonnen und 33 Millionen Liter gefälschtes Essen und Getränke wurden dabei beschlagnahmt. Ihr Wert wird auf 100 Millionen Euro geschätzt.
Was und wie wird gefälscht
Alles. Es gibt gefälschtes Mineralwasser und falschen Kaviar. Pangasius wird als Seezunge angeboten und Haselnusserzeugnissen werden billigere Erdnüsse untergemischt, was sogar tödlich enden kann: Bei Allergikern lösen manchmal schon geringste Spuren heftige Reaktionen aus. Der Anteil gefälschter Reis-Sirup-Breie, die bei uns als Honige in den Verkaufsregalen stehen, ist ca. 37 %. Das heißt von 10 Honigen sind 4 gefälscht. Auch die Gewürzbranche ist traditionell anfällig für Trickser und Täuscher. Pfeffer wird mit Papaya-Kernen gemischt, und in gemahlenen Oregano wurden Olivenblätter gefunden.
Alter, grauer Fisch frisch rot eingefärbt
Durch den Alterungsprozess bei Fisch entsteht Histamin. Und das ist gesundheitsgefährdend. Durch Thunfisch-Tuning wird aber auch aus billigem Bonito, der sonst in der Dose landet, teurer Gelbflossenthunfisch. Gewinn pro Kilo: 10 Euro. Zwei Wochen lang schwärmten Ermittler und Lebensmittelkontrolleure in elf europäischen Staaten aus. In Deutschland nahmen sie 215 Proben, in 15 Fällen deckten sie Farbmanipulationen auf. Europaweit beschlagnahmten die Fahnder mehr als 50.000 Kilo gefälschten Fisch. Mehrere hundert Spanier mussten im Krankenhaus behandelt werden, weil sie alten, gefärbten, Thunfisch verzehrt hatten. Wieder ein Beispiel für eine Gesundheitsgefährdung durch Lebensmittelfälschung.
Verbraucher sind die Opfer
Für den Verbraucher sind Lebensmittelfälschungen kaum zu erkennen, sie sehen oft aus wie das Original und schmecken auch so. Leider lässt sich auch nicht sagen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Fälschung vom Preis abhängt. Bei einer Kontrolle verschiedener Olivenöle gab es in allen Preisklassen Fälschungen. Als Verbraucher können Sie da kaum etwas anderes tun, als dem Hersteller zu vertrauen – und Ihrem gesunden Menschenverstand: Seien Sie auf jeden Fall skeptisch bei besonders preiswerten Angeboten, besonders wenn sie über das Internet angeboten werden.
DIE AM HÄUFIGSTEN GEFÄLSCHTEN LEBENSMITTEL
Kaffee/Tee
Wird Kaffee bereits gemahlen angeboten, besteht die Möglichkeit, dass geröstete Soja- oder Weizenkörner untergemischt wurden. In einigen Fällen wurde sogar Reisig oder schlicht Erde gefunden. Auch der Inhalt von Teebeuteln wird mit billigen Zutaten gestreckt, wie beispielsweise mit gefärbten Sägemehl oder einfach mit Sand. Öfter wird aber die Herkunft des Tees gefälscht.
Wein
Wein wird bereits seit Jahrtausenden gepanscht und gestreckt. Heute besitzt selbst das FBI eine eigene Abteilung für Weinfälschungen. Im günstigsten Fall ist der Wein nur mit Wasser und Ethanol gestreckt – oder mit Zucker gesüßt. Im schlimmsten Fall können gefährliche Stoffe wie Frostschutzmittel oder Methanol zu Blindheit oder sogar zum Tode führen.
Mehl
Mehl wird mit Gips und Kreide gestreckt. Dabei gilt: Calciumsulfat, also Gips, ist ein zugelassener Zusatzstoff (E516). Es fungiert zum Beispiel in Teiglingen als Trennmittel und Festigungsmittel – darf aber nicht als Mehlersatz eingesetzt werden.
Mineralwasser
Österreicher können für 0,17 Cent pro Liter ausgezeichnete Qualität direkt aus dem Hahn haben, viele bezahlen dennoch lieber das Hundertfache für in Flaschen abgefülltes Wasser. Das machen sich Fälscher zunutze und verkaufen billiges Leitungswasser als Premium-Produkt. In Italien beschlagnahmten die Behörden im Jahr 2016 32 000 solcher Flaschen.
Reis
China und Indien sind internationale Lebensmittelfälscher-Hochburgen. Besonders dramatisch: Immer wieder wird dort echter Reis mit Kunststoffkörnern gemischt. Im besten Fall haben diese einfach keinen Nährwert, im schlimmsten Fall sind sie giftig für den Organismus.
Olivenöl
Gefärbtes Sonnenblumenöl, gewürztes Haselnussöl oder modifiziertes Rapsöl: Kein anderes Produkt wird so oft gefälscht und so stark gepanscht wie Olivenöl. Gefährlich wird es, wenn belastetes Öl zum Fälschen benutzt wird. Sehr oft wird auch die Herkunft gefälscht. Italienisches Olivenöl kann beispielsweise eine Mischung aus allen Teilen Europas sein.
Fisch
Ölfisch statt Makrele, Schwarzer statt Echter Heilbutt: Mithilfe von DANN-Vergleichen fanden Wissenschaftler heraus, dass jeder zehnte Fisch in der Untersuchung nicht dem Etikett entsprach. Sardinen aus Portugal wurden neu verpackt, um das Haltbarkeitsdatum zu fälschen – was gesundheitliche Folgen haben kann.
Haselnüsse
2016 fanden deutsche Behörden in einer 1300-Tonnen-Charge mit Haselnüssen aus Georgien acht Prozent billigere Erdnüsse, eine halbe Tonne Haselnusspaste aus Italien bestand zu 45 Prozent aus Cashews – für Allergiker u.U. lebensgefährlich. Selbst ihre Abfälle nutzen Fälscher weiter: So werden Gewürze gerne mit Mandelschalen gestreckt.
Lammfleisch
Lamm gilt als besonders hochwertige Fleischsorte, da es von sehr jungen Tieren stammt. Die britische Lebensmittelbehörde Food Standards Agency findet regelmäßig in bis zu einem Drittel der untersuchten Schnellrestaurants bei Lammgerichten minderwertiges Fleisch, überhaupt kein Lamm bzw. sogar unidentifizierbare Fleischfasern.
Bio-Lebensmittel
Ein Großteil der Bio-Lebensmittel wird heute importiert, da die heimische Produktion die Nachfrage nicht befriedigen kann. Zudem ist Bio-Ware aufwendiger in der Produktion, aber von konventionellen Artikeln kaum zu unterscheiden – all das bietet viele Betrugsmöglichkeiten. 2013 gelangten z.B. Millionen gefälschter Bio-Eier in den deutschen Einzelhandel.
Nahrungsergänzungsmittel
Nahrungsergänzungsmittel gehören genau wie Medikamente oder sonstige Präparate zu besonders häufig gefälschten Produkten, da Laien keine Chance haben, die Qualität des Produkts zu beurteilen. Unter Umständen kann vom wirkungslosen Zucker über Verunreinigungen bis zu Giftstoffen alles in den Pillen stecken.