Skip to main content

Tabuzone Sex

Wenn’s läuft, dann läuft’s – aber was passiert, wenn sich das ändert und die Lust auf die Last des Krankseins trifft?

Wenn’s läuft, dann läuft’s – aber was passiert, wenn sich das ändert und die Lust auf die Last des Krankseins trifft? Dann sollten wir mehr denn je mutig sein – und offen darüber reden, was uns belastet.

Von Gabriele Kuhn*

Sagen wir so: Das gehört dazu. Es ist normal. Wir haben einen Anspruch darauf. So soll das sein! Was damit gemeint ist? Unsere sexuelle Gesundheit. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO ist sie untrennbar mit unserer Gesundheit insgesamt verbunden, und daher auch mit unserer Lebensqualität. Seit dem Jahr 2000 wird daher gefordert, dass die sexuelle Gesundheit als Teil der Gesamtgesundheit betrachtet werden sollte. Umso mehr gilt: Reden wir darüber.

Reden wir über Sex. Wenn’s läuft, aber speziell auch dann, wenn’s nicht so läuft. Denn gerade, wenn die Lust auf die Last einer Krankheit trifft, landen viele in der Tabuzone. Darüber wird meist geschwiegen, und das obwohl zwei Drittel der Österreicher von einer chronischen Krankheit betroffen sind. Was passiert also, wenn’s nicht mehr wie geschmiert läuft? Er ihn nicht mehr so geschmeidig hochkriegt, sie sich für ihre trockene Vagina schämt, immer irgendwas wehtut? Die meisten stecken den Kopf in den Sand, Augen zu, Mund zu, Ohren zu. Nur nicht daran rühren – ist halt so. Das hat viel mit gesellschaftlich geprägten optimierter und funktionierender Sexualität zu tun: Mit der Fähigkeit, zu performen, empfinden sich viele als Teil der Leistungsgesellschaft. Und ja, eine harte Erektion und eine geschmeidig-allzeit-bereite Vagina gehört in den Köpfen vieler Menschen da immer noch dazu. Außerdem wäre da noch die Idee gemeinsam, multipel erlebter Orgasmen: Du kommst, ich komme, wir kommen, juhu. Eine Illusion. Trotzdem wähnen wir uns mit Hilfe solcher Vorstellungen im Allzeit-sexy-Hoch, forever young, forever geil.

Umso dramatischer wird’s, wenn wir erkennen: Da hat sich etwas verändert, das geht nicht mehr so. Es holpert mit der Potenz, der Lust, der Biegsamkeit, dem Wollen und Können. Der Selbstwert sinkt, das Vertrauen in die eigene Fähigkeit als sexuelles Wesen verloren. Was viele nicht wissen: Es könnte ihnen geholfen werden. Oft braucht es nur ein ehrliches Gespräch, ein „Outing“, mit und beim richtigen Arzt, der nicht nur ein offenes Ohr, sondern auch ein offenes Herz dafür hat. Einfühlungsvermögen, Verständnis – und eine Lösung. Denn manchmal ist es nur eine kleine Schraube, die gedreht werden muss (neues Medikament, andere Technik, Hilfe zur Selbsthilfe etc), damit sich etwas zum Besseren verändert.

Das Wichtigste kann man aber selbst dazu beitragen: Raus aus dem Performancedruck. Sexualität hat so viele Facetten, und keine davon hat etwas mit Leistung zu tun oder einer Vorstellung dessen, wie es sein MUSS. Das Leben ist kein Nonstop-Porno, sondern ein langer, mäandernder Fluss. Manchmal darf man an seinen Ufern auch rasten und gut für sich selbst sorgen. Selbstliebe und Selbstfürsorge sind am Ende die besten Voraussetzungen dafür, dass Sex keine Probleme macht, wenn er Probleme macht. Auch das gehört im weitesten Sinn zur sexuellen Gesundheit. Reden wir also darüber. Offen, ehrlich und authentisch.

*Gabriele Kuhn ist seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressortleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin der Lebensart. Seit 2017 Autorin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Und damit's nicht fad wird, schreibt sie seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox - Szenen einer Redaktionsehe" gemeinsam mit ihrem Mann Michael Hufnagl, ebenfalls Journalist. Außerdem: Autorin dreier Bücher.

Für Diabetes Austria schreibt sie Kolumnen rund ums Thema Liebe, Sex und Diabetes.