Südfrankreich: Schaulaufen an der Cote d'Azur
Jet-Setter liebten den Süden Frankreichs schon immer
Von Veronika Kub
Wer nach Saint Tropez kommt, will sehen - oder gesehen werden. Sonst wäre er nicht hier. Egal, zu welcher Jahreszeit und zu welchem Ereignis. Spätestens seit Brigitte Bardot und Curd Jürgens hier 1956 "Und ewig lockt das Weib" gedreht haben, spätestens seit Louis de Funès als hyperaktiver Gendarm abendfüllend Nudisten über die Kinoleinwände jagte, ist das so. Halb Hollywood fährt hierher auf Urlaub. Und viele, viele mehr.
Sie kommen, weil Saint Tropez diesen ganz besonderen Klang hat: nach Sonne und Meer, nach leben und leben lassen, nach gewissem Stil und völliger Ermangelung davon. Sie kommen, weil es in dem nur 5200 Einwohner starken Städtchen alles gibt - vom Edeljuwelier bis zum Fischverkäufer, vom Fachgeschäft für handgemachte Ledersandalen bis zu den Prachtboutiquen internationaler Nobelmarken in der Rue Sibili.
Und vor allem, weil Saint Tropez wirklich schön ist, mit der Altstadt mit ihren engen Gassen. Mag der Café au lait in den Hafenblick-Cafés noch so teuer sein, der Espresso ein Vermögen kosten - schon keine 100 Meter weiter beginnt der ganz normale südfranzösische Alltag. Dort kaufen Einheimische am Markt frischen Fisch und Gemüse, spielen Boule am Place des Lices Boule und gehen ihrem Leben abseits des Trubels nach.
Schicke Autos - und vor allem teure - sind jetzt im Sommer jede Menge an der Côte unterwegs, winden sich die Kurven der Küstenstraße Corniche d'Or entlang. Es ist die Zeit, wo Ferrari, Aston Martin oder Bugatti im Fünf-Minuten-Takt mal in die eine, mal in die andere Richtung durch Antibes oder über die Croisette von Cannes rollt und sich Fahrer und Begleiterin an den neugierigen Blicken der Passanten ergötzen.
Die Côte abseits des Trubels
Es geht auch anders. Die schönen Straßencafés von Antibes, die stimmungsvollen Restaurants, hier haben die Kellner sogar Zeit für ein Lächeln. Da ist ein Liebespaar, das auf der Terrasse der Grimaldi-Festung von Antibes Händchen hält, während draußen auf dem Meer die Yachten ihre Kreise ziehen. Da sind die beiden Alten, die sich ein faltbares Schachbrett mitgebracht haben und im Schatten der Kirche Notre Dame de l'Assomption auf einem Klapptischchen sitzen und spielen. In der Altstadt klingen Chansons von Patricia Kaas aus einem geöffneten Fenster. Es sind die Stunden, in denen die Côte Atem zu holen scheint.
Von Antibes kommend, erreicht man auf der Corniche d'Or, eine der schönsten Steilküstenstraßen des französischen Südens, nach 22 km Nizza. Gourmets lieben es einen Bummel über die Märkte und durch die Gassen zu machen. Der bunte, belebte und bezaubernde Cours Saleya ist einer der schönsten Märkte in ganz Frankreich. An vielen der fröhlich gestreiften Marktständen spielen Blumen die Hauptrolle, doch man findet auch typisch mediterrane Produkte wie Oliven, Fisch und Schalentiere, Tomaten, Auberginen, Zucchiniblüten und handgeflochtene Korbwaren.
Chagalls liebstes Gasthaus
Wer sich von der Côte d'Azur ins Hinterland der Provence wagt, wird reichlich belohnt! Es gibt Orte auf dieser Welt, die einem fast den Atem rauben – so schön sind sie. Saint-Paul de Vence, knapp 30 km von Nizza entfernt, auf einem Hügel mit Blick auf die französische Riviera gelegen, ist einer dieser magischen Plätze.
Das mittelalterliche, von einer Stadtmauer umgebene Städtchen, mit seinen schönen Häusern aus Stein, gepflasterten engen Gassen, kleinen Plätzen und charmanten Brunnen ist ein Schmuckstück im Herzen der Provence. Die Schönheit des Ortes, seine Lebensweise und sein außergewöhnliches Licht haben zahlreiche Künstler, Schriftsteller, Dichter und berühmte Maler inspiriert sich dort niederzulassen, so auch Marc Chagall. Er zog 1966 nach Saint-Paul und vermachte dem Dorf, in dem er rund 20 Jahre lebte, einige Werke. Der 1985 verstorbene Künstler ist auf dem Friedhof von Saint-Paul begraben.
Der größte Schatz in Saint-Paul ist jedoch das Hotel-Restaurant „La Colombe d’Or“ (die goldene Taube). Es ist eine Legende und zählt zu den berühmtesten Restaurants an der Côte d’Azur. Marc Chagall, Sophia Loren, Alain Delon, Yves Montand – sie alle haben hier geschlafen oder gegessen. So manch ein Künstler bezahlte einst seinen Aufenthalt im „La Colombe d’Or“ mit einem seiner Werke. Große Meister der Moderne, u.a. Georges Braque und Pablo Picasso, haben der Besitzerfamilie Roux eine beachtliche Kunstsammlung vermacht. Hier sitzt man unter einem Originalgemälde von Henri Matisse, Fernand Leger oder Jacques Villon, verdrückt genüsslich eine Portion Schnecken oder eine Dorade vom Grill, beobachtet das rege Treiben und reist mit der Zeitmaschine in die Vergangenheit.
Die Privatsammlung der Familie ist allgegenwärtig. Im Restaurant. Im Hotel. Im Speiseraum. In den Fluren. Drinnen und draußen. Sogar am Pool. Dort steht eine Skulptur von Alexander Calder, nicht weit davon gibt es ein Mosaik von Braque. Im Restaurantgarten prangt seit 1952 eine großformatige Keramik von Fernand Léger.
Die Künstler jedenfalls haben ihre Spuren hinterlassen. In seiner Erinnerung und darüber hinaus – denn als Kind hat sie der heutige Patron des Hauses, François Roux, Jahrgang 1953, alle erlebt. Er weiß, wie Picassos Stimme klang, er kennt den Händedruck von Marc Chagall, das Lächeln von Miró. Sie alle ließen Bilder in seinem Kopf zurück – und sie hinterließen Werke, die an den Wänden hängen: millionenschwere Schätze von Museumsrang, nicht bloß flüchtige Skizzen auf übrig gebliebenen Papier-Servietten. Keine im Spaß hingeworfenen Autogramme mit zwei, drei originellen Strichen, sondern stattliche Ölgemälde.
Es war ihr Lokal – eines, das Künstler seit der Eröffnung 1931 irgendwie anzog. Und als François Roux davon erzählt, wie sehr der Gründer, sein Großvater, Paul Roux Malerei geschätzt, wie gut er sie verstanden habe, wie wunderbar man mit ihm erst über Kunst und dann über Gott und die Welt habe reden können – da versteht man die Anziehungskraft.
Nach und nach kamen auch all die anderen Prominenten: Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, der Lyriker Jacques Prévert, Schauspieler wie Yves Montand und Simone Signoret, Alain Delon und Romy Schneider, die internationalen Kinogrößen wie Orson Welles und David Niven, Roger Moore und Tony Curtis. Der Regisseur George Henri Clouzot bezog mit seiner Frau Véra sogar ein eigens für sie errichtetes Steinhäuschen ganz hinten im Garten und beschloss, ganz einfach als Gast auf Lebenszeit zu bleiben.
All die Gäste von einst haben Nachfolger gefunden – Künstler wie Julian Schnabel und Christo, Madonna und Jack Nicholson. Und all die Stars, die nicht nur zum Festival in Cannes kommen. Dazu sind immer Leute da, die nicht erkannt werden. Wegen der Atmosphäre, auch wegen der Bilder. Und wegen der Luft, des Lichts, des Ausblicks.
Es sind Menschen, die im Sommer vier Wochen im Voraus einen Tisch für den Abend reserviert haben. Für sie werden, nachdem um 17 Uhr endlich die letzten Mittagsgäste gegangen sind, alle Tische neu eingedeckt – auch die unmittelbar vor der Léger-Keramik, wo eben noch François Roux Atem holte und in den Erinnerungen kramte. In diesem kurzen Moment, zwischen Mittag- und Abendessen, in dem Ruhe einkehrt zwischen all den Kunstwerken in der Goldenen Taube von St. Paul de Vence.
NACHTRAG: Einmal hat Großvater Paul Roux von einem reichen Amerikaner ein Kaufangebot für die "Goldene Taube" samt Kunst bekommen. Opa Roux ließ dem Interessenten einen Blumenstrauß schicken und eine Karte. Darauf stand: "Die Blumen sind für Sie, die Taube ist für meinen Sohn."