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Seine Gegner und sein Diabetes können Alexander Piel nicht stoppen

Blitze zucken, ein heftiger Sturm zaust an Bäumen und Sträuchern, Donner erfüllt den Ort. Doch während die Regentropfen an die hohen Fenster der Usinger Stadthalle prasseln, herrscht drinnen fast meditative Ruhe. Fünf Männer und zwei Frauen, barfuß und in weißen Leinenanzügen, stehen schweigend vor ihrem ebenso gekleideten Trainer.

Blitze zucken, ein heftiger Sturm zaust an Bäumen und Sträuchern, Donner erfüllt den Ort. Doch während die Regentropfen an die hohen Fenster der Usinger Stadthalle prasseln, herrscht drinnen fast meditative Ruhe. Fünf Männer und zwei Frauen, barfuß und in weißen Leinenanzügen, stehen schweigend vor ihrem ebenso gekleideten Trainer. Hochkonzentriert verbeugen sie sich voreinander, setzen sich auf den hellen Boden und beginnen ihr Training mit dem im Karatesport üblichen japanischen Begrüßungsritual.

Einer von ihnen trägt, kaum sichtbar an seinem schwarzen Gürtel, eine flache Box – den Empfänger eines Gerätes zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM). Es ist Alexander Piel, mehrfacher hessischer und deutscher Karatemeister und Bundeskadermitglied im Deutschen Karateverband. Das CGM-Gerät, dessen Sensor unter der Bauchhaut liegt, erleichtert dem Typ-1-Diabetiker seinen Alltag. Es überwacht fortlaufend den Glukose­gehalt im Gewebe und meldet, wenn dieser zu tief sinkt. „Meinen Blutzucker messe ich nur noch zweimal täglich, ansonsten lese ich meine Werte ab“, sagt Piel. Zwar „hinkt“ der im Gewebe gemessene Zuckerwert dem im Blut gewöhnlich etwas hinterher – bei ihm sind das allerdings nur wenige Minuten. So kann er auch drohende Unterzuckerungen rechtzeitig erkennen.

Bananen gegen Unterzucker

Vor dem Karatetraining absolviert das Team eine Reihe von Koordinations­­übungen. Als Trainer Jürgen Fritzsche dazu eine schwarz-gelbe Strickleiter auf dem Boden ausrollt, wirft Alexander Piel einen schnellen Blick auf das Display: „Alles im grünen Bereich.“ Vorwärts, rückwärts und seitwärts trippeln sie rhythmisch und mit hoch erhobenen Knien über die Sprossen, rasend schnell und doch kaum hörbar. Was leicht und beschwingt aussieht, ist in Wirklichkeit höchst anstrengend und erhöht bei Diabetiker Piel das Risiko für eine Unterzuckerung. „Deshalb habe ich immer zwei Bananen, eine Flasche Apfelschorle und etwas Traubenzucker dabei“, sagt er. 
Ernste Unterzuckerungen passieren ihm aber nur selten. „Inzwischen hat sogar mein Trainer ein Gespür dafür entwickelt. Dann fordert er mich auf, meinen Wert zu kontrollieren oder etwas zu essen.“  In der Regel hat der 27-Jährige seinen Diabetes gut im Griff, „nicht zuletzt, weil ich ein Leben ohne Dia­betes gar nicht kenne“. Zwei Jahre war Alexander Piel alt, als er plötzlich abmagerte und immer schlapper wurde. Der Arzt stellte schnell fest: Diabetes vom Typ 1.

Mit 20 Jahren im Bundeskader

Der konventionellen Insulintherapie folgend, bekam der Junge von da an zwei- bis dreimal täglich von seiner Mutter oder seinem Vater ein Mischinsulin  gespritzt. „Das hat mich nie groß gestört, ich bin ja damit aufgewachsen“, sagt er.

Mit acht Jahren trat  Alexander, der sich ebenso wie sein jüngerer Bruder Andreas liebend gern bewegte, kämpfte und rangelte, dem Karateverein seiner hessischen Heimatstadt Limburg bei. Und merkte bald, dass ihm diese japanische Sportart auf den Leib geschrieben ist. „Nicht mal so sehr wegen des Kämpfens. Sondern weil sie für einen Lebensstil steht, der mit Selbstbeherrschung zu tun hat, mit Konzentration und respektvollem Miteinander. Das hat mir schon als Kind gefallen.“ Als Jugendlicher trainiert Piel mindestens dreimal pro Woche und macht dabei außergewöhnliche Fortschritte; als Zwanzigjähriger wird er vom Deutschen Karateverein erstmals in den Bundeskader aufgenommen und zu europäischen Wettkämpfen geschickt.

Insulinmenge an die Wettkämpfe angepasst 

Nicht zuletzt deshalb verzichtet Piel, der erst vor vier Jahren vom Mischinsulin auf die intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT) umgestellt hat, auf eine Insulinpumpe und spritzt sich lieber selbst: „Bei Wettkämpfen arbeite ich oft sechs Stunden und länger am Stück – so lange könnte ich die Pumpe nicht ablegen. Spritzen kann ich dagegen jederzeit.“ 

Am Tag benötigt Piel normalerweise 24 Einheiten lang wirkendes Basalinsulin und zwischen 22 und 32 Einheiten kurz wirkendes Bolusinsulin.  „Je nachdem, wie viel ich trainiere: Meine Basalrate lasse ich in der Regel konstant, die Bolusrate ist für mich die variable Größe an Trainings- und Wettkampftagen.“ 

Vor allem nachts, nach intensiven Trainingseinheiten, hilft ihm sein CGM-Gerät mit Alarmfunktion, Hypoglykämien rasch zu erkennen und darauf zu reagieren. „In den nächsten Wochen stelle ich einen Antrag – und hoffe, dass die Krankenkasse die Kosten übernimmt“, sagt er.

Erst der Beruf, dann Karate 

Mit derselben Disziplin, die er als Diabetiker und Sportler an den Tag legt, betreibt der IT-Spezialist und Trainee bei einer großen Bank sein berufliches Fortkommen. Piel nimmt an nationalen und internationalen Meisterschaften teil und trainiert seit einigen Jahren selbst ehrenamtlich Jugendliche. Außerdem ist er  stellvertretender Jugendwart des Hessischen Fachverbands für Karate. Trotzdem sagt der „Master of Science/Infor­matik“: „Meine Priorität waren immer meine Ausbildung und mein Beruf. Auch, weil Karatesportler von den Summen, die Fußballer verdienen, nur träumen können.“ 

Welche Bewegungsfreude und welches Selbstbewusstsein die Karatekunst neben der Grundlektion in Disziplin Kindern vermitteln kann, zeigt Alexander Piel immer wieder im Rahmen von Freizeiten und Veranstaltungen des Deutschen Dia­betiker Bundes. „Es ist toll, den Jungen und Mädchen den Zugang zu diesem wunderbaren Sport zu öffnen und sie daran wachsen zu sehen.“ Die Freude, die der Kampfsportler dabei empfindet, teilt er mit seiner Freundin Katharina, die er, wie soll’s auch anders sein, beim Karate kennengelernt hat. 

© Alexander Piel


Alexander Piel im Interview: „Sportliche Aktivität ist sehr wichtig“ 

Alexander Piel (28) hat es bis in die Nationalmannschaft geschafft. Betroffenen macht der Typ-1-Diabetiker in diesem Interview Mut. 

Ob nun im 1:1-Wettkampf oder Formenlauf „Kata“ – die kurzen und schnellen Bewegungen im Sport Karate steigern die Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin und erhöhen somit den Blutzuckerspiegel. Wie halten Sie Ihren Blutzuckerwert vor Wettkämpfen im Zaum?

Bei mir kommt es selten zu einem solchen Anstieg. Dies kann ich sehr gut mit meinem CGM-System beobachten, das einen 24-Stunden-Überblick über den täglichen Blutzuckerverlauf ermöglicht. Das Kontrollsystem hilft mir während Trainingseinheiten und Wettkämpfen. So kann ich frühzeitig gegensteuern, wenn sich eine Unterzuckerung ankündigt. 

Welchen Blutzuckerwert streben Sie zum Wettkampf an? Wirken sich Abweichungen auf Ihre Leistungsfähigkeit aus und wenn ja, wie genau? 

Vor einem Wettkampf strebe ich einen Blutzuckerwert um 160 an. Somit komme ich dann meist nach der Meisterschaft bei einem Normalwert um die 100 raus, wobei ich zwischendurch – wie bereits erwähnt – immer wieder kontrolliere und gegebenenfalls Broteinheiten (BE) nachführe. Abweichungen merke ich natürlich. Bei zu niedrigen Werten lässt meist die Konzentration nach, bei zu hohen Werten fehlt die Lockerheit in der Muskulatur, was gerade in der Kata fatal sein kann.

Gibt es eine Möglichkeit, einen zu hohen Blutzuckerspiegel kurz vor dem Wettkampf zu kompensieren respektive zu regulieren? 

In Form einer Insulininjektion zum Beispiel. Allerdings würde ich nur bei sehr starken Abweichungen zu dieser Korrektur greifen, da der Blutzuckerspiegel während des Wettkampfs sowieso abfällt und eine Hypoglykämie, also Unterzuckerung unbedingt vermieden werden sollte. 

Sie unterstützen den Deutschen Diabetiker Bund regelmäßig bei öffentlichen Veranstaltungen, helfen dabei, über den Diabetes aufzuklären, Betroffene und/oder Interessierte zu informieren. Welches Feedback haben Sie bislang erhalten? 

Die Resonanz auf Veranstaltungen des DDB war zuletzt sehr positiv, deshalb freue ich mich auf die Termine 2013. Überhaupt war das Feedback, das ich bekommen habe, sehr positiv, was mich etwas überrascht hat. Ich habe das Gefühl, dass man vielen Diabetikern manchmal nur etwas Mut zusprechen muss, da sie etwas unsicher sind, wenn es um sportliche Aktivität oder gar Leistungssport geht. Diese Bedenken sind meiner Ansicht oft unbegründet. Wenn es nur irgendwie möglich ist, sollten Diabetiker unbedingt regelmäßig einer sportlichen Aktivität nachgehen – das ist sehr wichtig. 

Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit Kindern und Jugendlichen zu trainieren. Ist der Diabetes dabei immer ein zentrales Thema oder nur eine Randnotiz? 

Generell nur Randnotiz. Natürlich sehen die Trainingsteilnehmer bei mir, dass ich ab und zu mal auf mein kleines schwarzes Gerät schaue um meinen Blutzucker zu überprüfen und daraufhin auch manchmal eine Trink- oder Esspause einlege. Der Fokus liegt allerdings immer auf der Trainingseinheit. 

Welchen sportlichen Ratschlag geben Sie Eltern, bei deren Kindern ein Typ-1-Diabetes diagnostiziert wird? Gibt es für Diabetiker den „richtigen oder falschen“ Sport? 

Ich empfehle, sehr früh mit einer Sportart anzufangen. Durch diese Betätigung kann der Blutzuckerspiegel positiv beeinflusst werden. Außerdem macht es sehr großen Spaß, gemeinsam mit anderen sportlich aktiv zu sein. In diesem Zusammenhang lernt man zudem seinen Körper und seinen Kreislauf viel besser kennen und kann auf diesem Weg den Blutzucker besser wahrnehmen. Einer entsprechend häufigen Kontrolle des Blutzuckers kommt natürlich weiterhin eine große Bedeutung zu. Einen richtigen oder falschen Sport gibt es meines Erachtens nicht. Ich persönlich würde mich jedoch immer wieder für Karate entscheiden. 

(Quelle: Deutscher Diabetiker Bund www.facebook.com/diabetikerbund