Prim. Dr. Christian Schelkshorn – Ein Zuckerkranker als Diabetologe
DA: Herr Primar Dr. Schelkshorn, zunächst einmal Gratulation! Sie sind vor einem knappen Jahr Chef der I. Medizinischen Abteilung im Landesklinikum Stockerau geworden. Das trifft sich insofern gut, weil Sie ja Diabetes kennen, wie kaum ein anderer Arzt.
Prim. Dr. Christian Schelkshorn: Danke vielmals! Die Diabetes-Ambulanz ist einer der wichtigsten Schwerpunkte meiner Abteilung. Wir haben aber neben einer allgemeinen internistischen Station und einer Herzstation, mit angeschlossener Intensiv, vor allem eine sogenannte Diabetes-Station. Das ist die Station A, die sich der Hauptsache, den stationären Fragestellungen widmet, die da sind bei Insulinersteinstellung, -umstellung, oder auch Erweiterung der Einstellung. Vor allem auch für alte Menschen, die sich in ambulanten Setting manches nicht zutrauen, was sie sehr wohl aber in der Praxis, wenn sie ein bissel Erfahrung damit gesammelt haben, dann durchaus auch gut umsetzen können.
Für mich gibt’s da, sag ich jetzt einmal, altersbezogen, keine apodiktischen Grenzlinien, ab wann man was machen oder nicht mehr machen darf. Und vor allem aber auch der zunehmende Bedarf vieler Typ-1-Diabetiker der Pumpentherapie. Das sind unsere Schwerpunkte auf dieser Diabetes-Station.
DA: Ihr besonderer Zustand zum Thema Diabetes, um das noch einmal anzusprechen, besteht dadurch, dass Sie selbst seit vielen Jahren Typ-1-Diabetes haben.
Prim. Dr. Christian Schelkshorn: Ich bin jetzt 49 und habe seit meinem 14. Lebensjahr Typ-1-Diabetes, ja. Das hat sich damals ganz klassisch manifestiert. Ein dicker Pubertierender hat plötzlich Gewicht abgenommen. Alle haben gesagt „Schau, jetzt merkt er, dass das nicht so ideal ist und jetzt nimmt er ab!“. Und ich hab gesagt: „Das ist super, wenn ich abnehme, aber ich esse eigentlich nicht weniger!“ Dann hatte ich bei meinem Hausarzt meine erste Blutzuckerkontrolle, im Rahmen von „Er hat abgenommen, schauen wir mal was das Labor sagt“.
Damals hatte ich knapp über 300 mg Nüchtern-Blutzucker und dazu auch noch Aceton-positiven Harn. Und über einige Umwege bin ich so schließlich einem meiner langjährigsten und mich am intensivsten beeinflussenden diabetischen Lehrer und Wegbegleiter Dr. Karl Irsigler gelandet. Aber dann eben als Patient. Dort habe ich etwas gesehen, was von Dr. Irsigler und seinem Team kurz davor gestartet wurde. Nämlich wegzugehen von einem rein ärztlich befohlenen Management der Behandlung und hin in Richtung Schulung. Wie wichtig es ist die Betroffenen zu schulen, das Umfeld zu schulen, nämlich so wie zum Beispiel in meinem Fall damals die Eltern, oder eben auch ganz breitgefächert die Familie und wie man diese mit einbindet.
DA: Und wie kam es zur Berufswahl?
Prim. Dr. Christian Schelkshorn: Ich kann mich noch gut erinnern, das war dann so am Ende der Mittelschule, da hab ich mir gesagt: Okay, wenn ich Medizin studiere, dann möchte ich diesen Punkt zum Mittelpunkt meines beruflichen Interesses machen, das ich den Patienten nicht die Angst nehme, aber dass ich den Patienten vermittele, dass der Diabetes nebenbei mitläuft und nicht dass die Patienten mit dem Diabetes mitlaufen. Das sie sich zwar bewusst sind, dass man einige Spielregeln im Lebensalltag einhalten muss oder zumindest, dass dann so manches einfacher funktioniert.
Ich hab damals, das war Singleshot Novolente, ein Schweineinsulin bekommen. Dann kam das Actrapid dazu und was aber immer die Basis war, war eine sehr strikte Einhaltung fixer Broteinheiten und Essenszeiten. Und hab das damals selber – und das wundert mich noch heute rückblickend – ich hab das damals nicht als Drama empfunden. Das war so normal. Ich hab es völlig als normal empfunden, dass wir für das morgendliche Frühstück die Kohlenhydrate abgewogen haben. Auch das ich vor allem am Anfang oft dazwischen eine kleine Jause essen musste. Dann Mittagessen. Dann Nachmittagsjause. Dann Abendessen. Dann eine Spätmahlzeit. Das war völlig normal für mich.
Für eines ist damals sicherlich auch die Basis gesetzt worden. Einen Punkt, der mich nicht nur beruflich, sondern auch privat begleitet. Das ist nämlich die Vorliebe für's Essen. Die Auseinandersetzung mit qualitätsvollem Essen. Und ich versuche das jetzt auch bei den heute bei mir manifestierten Typ-1-Diabetikern und auch bei denen, die ich dann nachdem sie von den pädiatrischen Kollegen entlassen werden, übernehme, die das oft als großes Handicap sehen und die sagen, „Es ist so furchtbar immer vor einem Essen überlegen zu müssen wie viele Kohlenhydrate man nimmt, wie viel Zucker man vorher hat und wie viele Kohlenhydrate man braucht, um den Blutzucker in Normalbereich zu bringen, wie viel Insulin man braucht um die BE abzudecken und das ist so lästig?“ Und da sag ich, aber ein Bewusstmachen der Annäherung, bewusst erleben was man isst. Das ist ja etwas was auch in anderen nicht-diabetischen Bereichen immer moderner wird. Dieses Ernährungsbewusstsein und auch dieses Qualitätsbewusstsein. Wo man sagt „ich möchte nicht immer dieses Industrial-Food essen und ich möchte saisonale Produkte von regionalen Zustellern“. Dieser Grundstein wurde damals sicher gelegt. Und wenn mich heutzutage Freunde fragen, ob ich das oder jenes esse, wenn wir wo eingeladen sind. Und da gibt es einen der sagt immer „Was fragt's ihn denn? Essen ist seine Lieblingsspeise!“
Natürlich können wir Typ-1-Diabetiker heute alles essen. Wir müssen es uns halt bewusst machen. Dieses bewusste Essen ist auch das, wo wir uns leichter tun. Es gibt ja auch einige andere Kollegen, die den Weg gegangen sind von einem Handicap. Die dieses als Startschuss nehmen für eine berufliche Idee und das man diesen Umgang an Patienten und andere betroffene Menschen weitergeben kann. Das ist etwas, das für mich persönlich ein ganz wichtiger Faktor ist. Das wir den Menschen dieses Bewusstsein vermitteln, dass sie zwar eine Krankheit haben, aber ein völlig normales, bewusstes Leben damit führen können. Die Evidenz ist ja sehr weit aufgestellt in die Richtung, dass wenn wir als Typ-1-Diabetiker überhaupt, aber auch als Typ-2-Diabetiker, wenn sie bereits in den frühen Phasen ein bewusstes Ernährungsverhalten, einen bewussten Umgang mit dem Diabetes an den Tag legen, dass sie jetzt eigentlich vom Risikoprofil nicht unbedingt schlechter aufgestellt sind, als die durchschnittliche Bevölkerung ohne Diabetes.
DA: Ich glaub halt nur, da macht es halt dann die Vorlaufzeit, wo er unerkannt herumrennt. Sieben Jahre ist da der Durchschnitt, oder?
Prim. Dr. Christian Schelkshorn: Das ist das Problem, ja. Das ist die große Problematik. Vor allem wo wir jetzt auch die neuesten Daten in dieser Richtung haben. Ja, das Problem, dieses „metabolic memory“, dass das auch etwas ist, was leider eben auch in den weiteren Jahren die Basis für ein Problem darstellt, das hier eben schon in der Vorlaufzeit die großen Schäden oder zumindest die Grundlagen dafür gelegt worden sind.
DA: Kehren wir zurück zur Arbeit hier. Sie haben angesprochen, und das würde ich auch gern nochmal besprechen, eine Achse für das Weinviertel im Bereich Diabetes, weil hier ein großer Bedarf ist.
Prim. Dr. Christian Schelkshorn: Ja. Ich mein es ist sicherlich, dadurch das wir hier in der Region Korneuburg-Stockerau eine massiv prosperierende Region sind, was die Bevölkerungsentwicklung betrifft. Das wir eben eine Zuzugsregion sind. Von der Großstadt Wien hinaus in die Peripherie. Da haben wir natürlich von der Altersstruktur der Menschen, die hier hinaus ziehen – es sind nicht die ganz Jungen, es sind aber auch nicht nur die Pensionisten – aber die Menschen die hinaus ziehen sind natürlich in der Altersgruppe der 35 bis 50jährigen, wo die Manifestion von Stoffwechselerkrankungen und insbesondere Diabetes gehäuft auftritt. Mein Entree hier in der Region und im Haus in Stockerau-Korneuburg war ja das, dass ich gesagt habe: „wir haben hier eine Diabetes-Ambulanz und es war ja auch der Wunsch der Landesvertretung des Klinikums, dass dieser Schwerpunkt weiter ausgebaut werden soll – nur wie wird er ausgebaut?“
Ich bin mir auch dessen bewusst das es sicher nicht so sein kann, dass wir alle Diabetiker hier ins Klinikum herziehen sollen. Es geht um die zwei K's: Kooperation und Kommunikation auf drei Ebenen.
Wir brauchen diese Kooperation zuerst mal innerhalb unseres Hauses. Das war mir ein ganz wichtiges Anliegen. Wenn Diabetes Patienten in das operative Haus Standort Korneuburg kommen und ich einige Zeit lang tätig war, dass es nicht mehr heißt „Ah, Sie spritzen Insulin! Naja, das machen's ihna selber!“. Das hört man immer wieder. Oder „Des können's eh selber!“. Natürlich sind die Patienten vielfach gut geschult, aber natürlich in einem operativen Setting: welche Dosierung spritz ich davor am Operationstag? Welche Spritze ich danach? Wie ist der Umgang mit einem Kostaufbau nach einer Magen-Darm-Operation? Das wir da auch im Haus echt schöne Strukturen setzen.
Es ist uns gelungen, und das war auch eines meiner Highlights der beruflichen Vergangenheit im Göttlichen Heiland mit einem sehr umfangreichen operativen Bereich, wo wir dort wirklich so etwas entwickeln konnten. Das es erstens einmal definierte Ansprechpartner gibt. Das es definierte Strukturen gibt, wie gehe ich mit solchen Patienten um und wie unterstütze ich sie. Also als erstes Kooperation und Kommunikation im Haus. Und das Zweite, was mir ganz wichtig ist und das wo wir jetzt mal ganz intensiv eingestiegen sind, mit den niedergelassenen Kollegen. Die niedergelassenen Kollegen wollen wir ganz intensiv einbinden.
Mir schwebt vor, dass wir dafür jetzt den Startschuss gegeben haben und das wir schauen, dass die Kollegen, die die Diabetiker draußen vor Ort in den großen Ordinationen betreuen. Diese Kollegen sollen die Möglichkeit haben, wenn sie sehen, dass die Patienten das Therapieziel nicht erreichen, dass sie dann den Patienten zu uns in die Ambulanz schicken. Nicht stationär. Und wir machen dann einen Vorschlag, den wir gemeinsam mit dem Patienten diskutieren. Diesen dann nach draußen tragen und der oder die niedergelassene KollegIn testet das dann mit dem Patienten gemeinsam für drei Monate, sechs Monate, neun Monate. Dann Reset. Hat es funktioniert? Haben wir uns dem Ziel angenähert? Wo muss man nachjustieren? Wenn man dann sagt, ok, das ist jetzt schon sehr breit diabetisch eingestellt, das ist jetzt für mich als niedergelassener Internist...wenn's ein niedergelassener Allgemeinmediziner ist mit Diabetes Interesse ist, dann wird der sicher das eine oder andere selbst machen können. Vielleicht auch telefonische Rückfragen. Das funktioniert auch schon sehr gut. Das ein Kollege einen zurückruft „Ich hab den...der hat das und das...was würdest du mach?“ Oder wenn der Kollege sagt: „Nein, ich bin am Ende mit meinem Latein. Das hat nicht funktioniert“, dann wieder zurück. Das wir somit in einem ständig positiven Progress sind.
DA: Bei euch hat ja der Hausarzt offensichtlich auch keine Angst, dass er den Patienten an euch verliert?
Prim. Dr. Christian Schelkshorn: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Kein Hausarzt verliert den Patienten. Wir sehen uns als Teil eines Teams. Wir sind ein Betreuungsteam. Der Hausarzt, die Ambulanz, das Klinikum. Vielleicht auch die Diabetes-BeraterInnen mit dabei. Oder auch ErnährungsberaterInnen des Settings hier. Das ist die zweite Ebene.
Und es gibt die dritte Ebene, die mir auch persönlich ganz wichtig ist, Es ist so das wir jetzt seit mittlerweile sehr vielen Jahren alle im selben Boot sitzen. Also wir sind lauter Landeskliniken. Und mir erscheint es nach wie vor so, als ob diese Landeskliniken immer noch viel zu wenig miteinander kommunizieren. Jeder beschäftigt sich noch immer nur mit seinem eigenen Bereich und dann kommt auch noch die Angst vor Patientenverlust dazu, aber das ist nicht mehr zeitgemäß.
DA: Wie stellen Sie sich das zeitgemäß vor?
Prim. Dr. Christian Schelkshorn: Für mich ist es eines der wichtigsten Anliegen ist das vorhin angesprochene Netzwerk und dass auch Printmedien und elektronische Medien aktiv an uns herantreten, weil wir natürlich auch die Bedeutung dieser Netzwerk im Netz, wie der Name schon sagt, kennen und uns freuen da mit machen zu dürfen. Ich bin der festen Überzeugung, je enger dieses Netzwerk zwischen betroffenen Patienten, niedergelassenem Hausarzt, niedergelassenem Internisten, Selbsthilfegruppen, Informationsplattformen im Netz, Krankenhaus-Ambulanzen mir ihren sehr umfangreichen Möglichkeiten, die es in österreichischen Ordinationen bis dato nicht gibt. Es gibt wenige Ordinationen mit Ernährungs- und Diabetesberatung, aber zum Beispiel keinen der Foodmanagement in einer diabetischen Praxis anbietet.
Da sind die Kollegen in Deutschland schon ein bisschen weiter. Dafür sind sie in anderen Bereichen vielleicht nicht so gut aufgestellt wie wir, aber in diesem Bereich des Auslagerns aus dem Krankenhaus, da gibt es dort bessere Strukturen. Aber die Chance, die wir jetzt haben und wo ich auch viele Signale aus dem Hauptverband und der Krankanstalten Holding in Niederösterreich hier sehe, ist dass sich zunehmend ein Bewusstsein entwickelt, wie wichtig der Diabetes ist. Auch das Diabetes wirklich Mutter/Vater vieler Krankheiten ist und das wir als Strukturverantwortliche diese Netze jetzt neu definieren müssen. Und vielleicht auch ein bisschen erweitern müssen, neu aufstellen müssen. Und das wir da eben immer mehr Leute in diese Netzwerke einbinden wollen ist mir ein großen Anliegen und ich freue mich hier und jetzt auch die Gelegenheit zu haben mich ein bisschen zu positionieren.
DA: Haben Sie einen persönlichen Neujahrsvorsatz?
Prim. Dr. Christian Schelkshorn: Mein Vorsatz ist, dass ich als - bis vor 3 Jahren noch unsportlicher Typ-1-Diabetiker...also ich hab damals begonnen regelmäßig etwas zu tun...dass ich es trotz aller Terminschwierigkeiten und -koordination, so dem Arbeitsstress schaffe, dreimal in der Woche für eine Stunde was zu tun, also einen körperlich-sportlichen Aktivitätsausgleich zu machen. Ich trainiere einmal die Woche abseits der Geräte mit einem Personal Trainer und habe da auch festgestellt, wie sinnvoll es wäre sowas strukturiert für Typ-2-Diabetiker anzubieten, da es richtig schwierig ist, wieder reinzukommen, wenn man mal 2 Wochen nichts gemacht hat. Daher ist der Vorsatz es regelmäßig einmal die Woche zu machen. Und dann vielleicht nochmal daheim selbstständig die Übungen zu wiederholen. Und außerdem gehe ich auch laufen.
Wenn ich in Wien und nicht im Waldviertel bin ist in dieser Hinsicht der Prater meine Region. Da hab ich eine fixe Route über die Jesuitenwiese und wieder zurück. Und im Waldviertel gibt es natürlich auch die eine oder andere Runde, die gut zu laufen ist. Aber das wichtigste ist, sich trotz hunderter eingeteilter Termine pro Woche die Zeit für Sport zu nehmen. Und ich bin ehrlich, ich hab vor einigen Jahren auch noch die abendlichen Läufer kopfschüttelnd beobachtet und heute, wenn ich eine Stunde nach einem anstrengenden Tag gelaufen bin, merk ich, ich bin einfach lockerer. Du fühlst dich wohler, fühlst dich gut, kannst einfach soviel nachdenken. Man weiß vorher gar nicht wie viel positives Feedback man dadurch für sich selber bekommt und daher ist es mein Vorsatz, dass mir das dreimal die Woche gelingt.
DA: Wir wünschen viel Erfolg, bei Sport und natürlich auch bei der Arbeit – danke für das Gespräch.