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Medizin in Österreich - Präzise und personalisiert statt passend für alle

Eine Veranstaltung widmete sich der spannenden Fragestellung, wie es um die personalisierte Medizin in Österreich im Moment steht und wohin die Reise gehen wird.

Die virtuelle Veranstaltung „Potenziale und Probleme der Personalisierten Medizin in Österreich“ fand am 23. März 2022 unter der Federführung der Innovation Hub Austria statt und widmete sich der spannenden Fragestellung, wie es um die personalisierte Medizin in Österreich im Moment steht und wohin die Reise gehen wird. Passend zum innovativen Thema diente das Wiener Leopoldsmuseum - berühmt für seine außergewöhnliche Schiele- und Klimt-Sammlung - als passendes Ambiente.

Ein Seminarbericht von Von Mag. Christopher Waxenegger*

Hintergrund

Der Innovation Hub Austria ist ein gemeinsames Projekt des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) mit dem Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (PHARMIG). Die Veranstaltungsreihe wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen Rahmenbedingungen für Forschungsexzellenz in Österreich zu verbessern und diese als Leistung an der Gesellschaft sichtbar zu machen. Im Zuge dessen blicken Expertinnen und Experten verschiedenster Fachrichtungen über den Tellerrand, zeigen neue Wege auf und werfen gemeinsam einen Blick auf Österreich als internationales Innovationsland.

Die Moderation lag wie gewohnt in der Hand von Dr. Michael Stampfer, Geschäftsführer der WWTF, welcher sich dieses Mal mit Dr. Franziska Michor, Professorin für Computational Biology an der Harvard T.H. Chan School of Public Health, Oberarzt Dr. Maximilian J. Hochmair, Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie am Karl Landsteiner Institut für Lungenforschung und pneumologische Onkologie, Univ.-Prof. Dr. Markus Müller, Rektor der medizinischen Universität Wien und Univ.-Prof. Dr. Barbara Prainsack, Professorin für Vergleichende Politikfeldanalyse und Leiterin der Forschungsplattform Governance of digital practices, austauschte.

Prof. Dr. Franziska Michor

Die virtuell aus Boston, USA, zugeschaltete Dr. Michor beschäftigt sich beruflich vornehmlich mit der Analyse, Auswertung und Interpretation von Datensätzen aus dem Gesundheitssektor. Im Gespräch konnte man einen kurzen, aber umso spannenderen Einblick, in die elektronische Welt der Daten gewinnen. Zurzeit analysiert Dr. Michor die Ergebnisse von Immunsystem-Studien. Ziel ist es, potenzielle Signale ausfindig zu machen, anhand derer man neue Therapien entwickeln oder ein Therapieversagen noch vor Behandlungsbeginn vorhersagen kann. Besonders standardisierte Datensätze sind von großem Wert, da mit ihrer Hilfe ein direkter Vergleich, etwa mit anderen Studien, die sich einer ähnlichen Fragestellung widmen, möglich ist. Dabei ist sowohl die Qualität als auch die Interoperabilität der Daten (Verwendung von unterschiedlichen Organisationen) essenziell. Gleichzeitig weist Dr. Michor aber auch auf die Probleme der Datengewinnung hin. So fordern beispielsweise die Verarbeitung und Aufbewahrung dieser Datensätze enormen Speicherplatz.

Univ.-Prof. Dr. Markus Müller

Als Rektor der medizinischen Universität Wien bezeichnet Prof. Müller die Entwicklung der Präzisionsmedizin als „neu und faszinierend“ und zugleich „auch wieder nicht“. Schon lange Zeit vor Computern und Technologie zerbrachen sich intelligente Persönlichkeiten wie der Grieche Hippokrates oder der Franzose Julien Offray de La Mettrie ihre Köpfe, dass es nicht nur möglich, sondern wichtig sei Krankheiten zu verstehen („Mythos zum Logos“). Letzterer vertrat die Ansicht, dass man den Menschen wie eine Maschine betrachten sollte: Von groß nach klein, also gewissermaßen vom Organ zur Zelle usw. Genau dieser Idee folgt die personalisierte Medizin. Dank enormer Kostenrestriktionen, man denke an die horrenden Investitionen die einst nötig waren, um das Humangenom zu entschlüsseln, ist die Erstellung genetischer Profile mittlerweile gang und gebe.

Zurzeit tobt ein extremer internationaler Wettbewerb zur Nutzbarmachung all dieser Erkenntnisse. Damit Österreich in Zukunft nicht vom Rand aus zusehen muss, sind einiges mehr an Anstrengung und Investition vonnöten. Der Bogen spannt sich von der Modernisierung der vorhandenen Infrastruktur bis hin zur Etablierung Österreichs als innovativer Forschungsstandort. Der sprichwörtliche Schritt von der Reparaturmedizin hin zu einer Präventionsmedizin ist laut Prof. Müller ebenso Teil der Präzisionsmedizin wie Gentherapien und chirurgische Roboter.

Univ.-Prof. Dr. Barbara Prainsack

Die Anpassung von Diagnose, Monitoring und Therapie an individuelle Patientencharakteristika ist in der Praxis sehr alt, als Konzept hingegen neu. Als Geburtsstunde der Präzisionsmedizin sieht Prof. Prainsack die Zeit nach dem Human-Genome-Projekt. Gleichwohl verweist sie auf die elementaren Unterschiede in den Begrifflichkeiten zwischen den USA und Europa. Während Übersee stets von „precision medicine“ (dt.: Präzisionsmedizin) die Rede ist, spricht man in der alten Welt von „personalized medicine“ (dt.: personalisierter Medizin). Die Briten formulieren die Angelegenheit mit „stratified medicine“ (dt.: stratifizierte Medizin) sogar noch vorsichtiger. Unabhängig davon gehe eine personalisierte Medizin mit einer datenreichen Charakterisierung immer Hand in Hand. Die kontinuierliche Erfassung von Informationen zum Gesundheitszustands eines einzelnen Menschen zum Zeitpunkt der Krankheit und Gesundheit erlaubt einen Vergleich und damit ein frühzeitiges Eingreifen (Präventions- vs. Reparaturmedizin).

Damit diese Vision Wirklichkeit wird braucht es Real-World-Daten – das sind Daten, die im alltäglichen Leben und nicht in kontrollierten Studien gewonnen werden. Ihre Herkunft lässt erahnen, dass es sich dabei um eine sehr uneinheitliche Datenqualität handelt. Prof. Prainsack warnt in dieser Hinsicht vor einem übereilten Handeln. Uneinheitliche Daten können nämlich gemäß dem „Garbage in – Garbage out“ -Prinzip schnell als „Müll“ gelten. Ebenso wichtig sei die menschliche Expertise. Hierfür müssen komplett neue, womöglich bisher undenkbare Ausbildungen und Arbeitsstätten geschaffen werden. Der menschliche Faktor ist demnach kein Hindernis, sondern der Schlüssel zum Erfolg.

Oberarzt Dr. Maximilian J. Hochmair

Als Leiter der onkologischen Tagesambulanz und Tagesklinik der Pneumologie im Krankenhaus Nord kommt Dr. Hochmaier tagtäglich mit Präzisionsmedizin in Berührung. Erhielten früher alle infrage kommenden Patientinnen und Patienten mit Lungenkrebs eine Chemotherapie, hat sich im vergangenen Jahrzehnt das Blatt gewendet. Heute spielen Biomarker aus dem Gewebe eine große Rolle und erlauben die genauen Bestimmung der Tumorart. Mithilfe der Marker RET, RAF, ALT etc. können zwischenzeitlich 50 bis 60 verschiedene Lungenkrebsarten klassifiziert werden. Anhand der genetischen Information des Patienten wird im Anschluss, zusätzlich zu einer eventuellen Chemo- oder Strahlentherapie, eine zielgerichtete Therapie (Rezeptor spezifische Therapie) oder Immuntherapie (Reaktivierung des Immunsystems) gestartet. Immerhin 60 Prozent der kaukasischen und bis zu 80 Prozent der asiatischen Bevölkerung verfügen über derartig positive Targets. Darüber hinaus lassen sich Aussagen treffen welcher Patient welche Therapie nicht bekommen soll. Dies alles fließt in die individuelle Behandlungsplanung mit ein, an deren Ende vor allem einer profitieren soll – der Patient.

 

*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.