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Patientengespräch: Die 5-Satz-Methode

Dr. Dirk Hochlenert hat eine Methode entwickelt, um von seinen Patienten die Informationen zu bekommen, die er braucht, um sie gut betreuen zu können.

Der Kölner Diabetologe Dr. Dirk Hochlenert betreut seit Jahrzehnten Menschen mit Diabetes und hat eine 5-Satz-Methode entwickelt, um von seinen Patienten die Informationen zu bekommen, die er braucht, um sie gut betreuen zu können. Im Folgenden lesen Sie seine Überlegungen zur Kommunikation mit Patienten, die auf Doccheck.com veröffentlicht wurden.

„Mit Lifestyle-Änderungen zu kommen, ist völlig idiotisch“

Einem Diabetiker pauschal zum Abnehmen zu raten, ist nicht immer der richtige Weg. Wie ich als Diabetologe gemeinsam mit meinen Patienten die beste Therapieform finde.

Wenn ich Patienten nicht kenne, stelle ich eine offene Frage zum Anfang, die in keine Richtung geht. Einfach nur: „Erzählen Sie mal.“ Patienten sind dann oft etwas verwirrt, was sollen sie denn sagen? Das Wichtigste zuerst, sage ich dann, danach sage ich nix mehr. Patienten können dann oft den wichtigsten Teil ihrer aktuellen Situation in 2-3 Sätzen formulieren.

Wie wichtig ist die Gesundheit in diesem Moment?

Zum Beispiel ist bei einem vielleicht gerade die Frau gestorben, einen anderen macht der Zucker fertig und so weiter. Das gibt mir die Möglichkeit, einzuschätzen, welche Bedeutung der Patient den gesundheitlichen Aspekten gerade einräumt und was er an Motivation mitbringt. Denn Motivation ist von selber da, die muss jeder mitbringen. Man kann nicht Motive streuen, die nicht von vorneherein da wären. Es ist wichtig zu wissen: Was treibt den Patienten innerlich an?

Wichtig ist aber aus meiner Sicht auch: Was für ein Gesundheitsversprechen kann ich überhaupt formulieren? Vermeiden von Komplikationen der Therapie, zum Beispiel Unterzucker oder sehr hohe Werte, das wäre mein Basis-Leistungsversprechen. Lohnt es sich, etwas zu unternehmen, um Folgeerkrankungen zu verhindern? Das ist stark von der Situation des Patienten abhängig, vom Alter und anderen Krankheiten. Wie viel Gesundheit kann überhaupt über eine Regulierung des Blutzuckers erreicht werden? Es ist eine Mischung aus der Perspektive des Patienten und dem, was wir medizinisch erreichen können, die dann entsteht.

Wann und wie setze ich Medikamente ein?

Ein Beispiel dafür ist der Grad der medikamentösen Therapie. Seit ein paar Jahren sind gezielt gewichtsreduzierende Medikamente einsetzbar, das gab es traditionell so nicht. Jede Behandlung, die den Zucker verbessert, hat bisher auch das Gewicht gesteigert, Stichwort Glukosurie. Das Essverhalten der Patienten war dann oft auf den Stand vor der Therapie eingependelt. Das gab natürlich Probleme, denn das ist wie, wenn man mit dem Rauchen aufhört und auf einmal auseinander geht – weil die Bilanz nicht mehr stimmt. Jetzt haben wir aber eben Medikamente, die eine Gewichtsreduktion erleichtern.

Man kann auch mit Schulungen gut Einfluss nehmen. Patienten sind da sehr unterschiedlich, wie sie das in ihr Leben einbauen. Jeder Mensch mit Gewichtsproblemen trägt den Wunsch nach Gewichtsverlust auf den Lippen, aber will es dann doch nicht immer. Dünner werden heißt auch Falten bekommen und auf der Straße angesprochen werden. Das kann schon mal wenig charmant sein, so in Richtung: „Wie siehst du denn aus, hast du Krebs?“ Und ja, das kommt auch von Freunden, das Umfeld ist da nicht immer nett.

Der Patient muss immer auch wollen

Wie sehr will der Patient etwas wirklich – das versuche ich, in solchen Momenten heraus zu kitzeln. Wie realistisch ist es zum Beispiel für den Patienten, Gewicht zu verlieren? Man kann auch nach Schulungen und weiteren Maßnahmen fragen. Ich will so herausfinden, ob Waffen wie Medikamente und Schulungen hier wirkungs- und sinnvoll sind. Oft ja, aber nicht immer.

Auf der Basis dieser Informationen kommen dann Therapiestrategien zusammen. Was ich aber hasse, ist der Begriff Lifestyle-Änderung. Kein Mensch will das, eine Veränderung des Lebensstils. Denn den Lebensstil hat ja kein Mensch umsonst, das hat jeder sich so zurechtgelegt und eingerichtet. 

Dort ansetzen zu wollen ist zwar gängig, aber man muss so ein Vorgehen hinterfragen. Vielleicht wurde da jemand durch die Arbeit in einen Lebensstil gedrängt, bei dem er tagsüber nix isst und abends dann viel. Vielleicht tröstet er sich mit dem Essen oder versucht, schläfriger zu werden. Auch Alkohol und Genussmomente spielen da gerade abends eine Rolle.

Dann muss der Arzt mit dem Patienten besprechen, wie so eine Situation entstanden ist – will der Betroffene das überhaupt so? Will er einfach so weitermachen und, hart gesagt, mit 60 sterben oder will er noch was vom Leben haben? Von außen hier mit Lifestyle-Änderung zu kommen, ist völlig idiotisch, das kriegt man nicht verkauft.

Im Laufe meiner Tätigkeit als Diabetologe habe ich mir einige Formulierungen zurechtgelegt. Wie ich mit fünf Sätzen eine passgenaue Therapie für meine Patienten finde.

Es kristallisiert sich also heraus, welche Medikament der Patient schon nimmt. Daraus ergibt sich im Weiteren dann, was er an Zielen schon erreicht hat und noch erreichen will, was er zusätzlich einnehmen würde und was zu seinem Lebensstil passt.

Hier fünf Sätze, die ich in diesem Zusammenhang immer sage:

„Erzählen Sie mal.“

Ich habe sehr lange für diesen blöden Satz gebraucht. Vorher habe ich immer zu viele Vorgaben gemacht, was ich von Patienten hören will und nicht offen genug gefragt. Bei einem Mann, wo die Frau gestorben ist, hat es keinen Sinn, eine riesige Zucker-Diskussion vom Zaun zu brechen. Auch bei Patienten, die ich kenne, fange ich inzwischen so an.

„Sie kennen sich, würde Ihnen dieses oder jenes helfen?“

Das braucht fast keine weitere Erklärung. Patienten kennen sich menschlich nun mal selbst am besten und können schon vor einer aufwendigen und eventuell auch kostenintensiven Behandlung oder Schulungsmaßnahme genau sagen, ob sie bei ihnen Erfolg haben wird oder nicht. Hier ist die menschliche, persönliche Ebene gemeint. Dieser Satz ist damit dringend zu trennen von Satz Nummer 3.

„Nein, so ist das mit dem Zucker nicht.“

Es stürmt von überall Desinformation auf die Patienten ein, sei es durch Zeitungen, Freunde oder Nachbarn. Diese Fehlinformationen werden alle für bare Münze genommen. Der Patient denkt, er weiß ganz viel und braucht keine Schulung, aber die braucht er dann eben doch. Ich relativiere diesen Wissenstand dann, das ist Halbwissen mit vielen Fehlern. Patienten investieren sonst mitunter Zeit und Geld in eine Richtung, die gar nichts bringt. Da braucht man eine informierte, aber neutrale Position, aus der man fragt, wie man sein Leben führen will. Das Wissen dafür ist nötig und muss unter Umständen in einer Schulung vermittelt werden.

„Wie wichtig wäre es für Sie, Gewicht zu verlieren?“

Das ist eine reine Frage des Realismus, verwandt mit Satz Nummer 2. Ist das Ziel Gewichtsverlust realistisch? Und wenn ja, muss sich die Frage anreihen, wie es mit der Bereitschaft steht, verschiedene Dinge dazu auszuprobieren. Eine der Möglichkeiten findet sich bei Punkt Nummer 5.

„Wenn es etwas gäbe, was Sie 1x am Tag oder in der Woche spritzen, was den Blutzucker senkt und Ihnen den Appetit nimmt, würde Ihnen das helfen oder nicht?“

Auch diese Frage ist nahezu selbsterklärend. Einige Patienten haben wahnsinnige Angst vor Spritzen, denen muss ich mit so einer Therapie gar nicht erst kommen. Es geht immer darum, eine lebensnahe und langfristig praktikable Lösung zu finden. Die Motivation zu einer Anpassung der aktuellen Lebenssituation kann nie von außen aufgedrückt werden, sie muss vom Patienten selbst kommen.

Dr. Dirk Hochlenert https://diabetes-koeln-nippes.de/