Österreich: Langzeitstudie zum Zuckergehalt in Getränken vorgestellt
Wissenschafter setzen sich für eine geringere Zuckeraufnahme ein
Salzburg/Wien, 27.05.2020 –Seit nunmehr einem Jahrzehnt analysiert das vorsorgemedizinische Institut SIPCAN unter der Leitung von Prim. Univ.-Prof. Dir. Dr. Friedrich Hoppichler jährlich im Rahmen einer Langzeitstudie am österreichischen Markt erhältliche Getränke in PET-Gebinden sowie Kartonverpackungen von 0,20 bis 0,75 Liter. Die gewonnenen Ergebnisse geben einen Einblick in die Entwicklung des durchschnittlichen Zuckergehalts von in Österreich erhältlichen Getränken. Nun wurden zum ersten Mal Langzeitdaten für das vergangene Jahrzehnt vorgestellt. Der durchschnittliche Zuckergehalt ist in diesem Zeitraum um 19,7 % gesunken. Der Anteil an süßstoffhaltigen Getränken reduzierte sich von 19,3 % auf 11,8 %.
Der Zuckerkonsum ist und bleibt ein großes Problem.
Die WHO empfiehlt einem durchschnittlichen Erwachsenen täglich nicht mehr als 50 g (ca. 10 Teelöffel) freien Zucker zu konsumieren. Unter freiem Zucker versteht man jenen Zucker, der Speisen und Getränken beigefügt wird. Aber auch jener Zucker, der natürlich in Honig, Sirup, Fruchtsaftkonzentraten und Fruchtsäften vorkommt, ist damit gemeint. Speziell Getränke stehen hier im Fokus, denn mit keiner anderen Produktgruppe ist es so einfach in kürzester Zeit sehr große Mengen an Zucker aufzunehmen. So reicht beispielsweise bereits ein 250 ml Glas Limonade, um die Hälfte dieses täglichen Grenzwertes zu erreichen. „Zuckergesüßte Getränke gelten laut der WHO als eine der Hauptursachen für die Entstehung von Übergewicht, Adipositas und Diabetes-Typ-2. Eine Übersichtsarbeit, bei der SIPCAN beteiligt war, zeigte, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen dem Konsum von mit Zucker gesüßten Getränken und Übergewicht gibt“, erklärt Internist Hoppichler. Laut den aktuellsten Daten des Österreichischen Getränkeverbands werden in Österreich unglaubliche 600 Millionen Liter Limonadengetränke konsumiert. Dies entspricht einem pro Kopf Konsum von 68 Liter. Werden die enthaltenen rund 17.000 Kalorien als Energieüberschuss abgespeichert, entspricht dies rund 2,4 kg Übergewicht pro Jahr. So wundert es nicht, dass aktuell 41 % der Erwachsenen übergewichtig sind. Bei Kindern und Jugendlichen sind es etwa 25 bis 31 %.
Zuckersteuer öffnet die Türen für Süßstoffe
Im Kampf gegen den krankhaften Anstieg des Körpergewichts und dem hohen Ausmaß an damit einhergehenden Folgeerkrankungen setzen verschiedene Länder auf die Implementierung einer sogenannten Zuckersteuer. Allerdings muss hinterfragt werden, ob Getränke durch eine solche Maßnahme wirklich weniger süß werden und der Lebensstil somit positiv beeinflusst wird. „Durch eine Zuckersteuer kann es sein, dass Getränkeproduzenten gezwungen sind, den Zuckergehalt sehr schnell zu senken. Da sich die Konsumenten aber an eine gewisse Süße gewöhnt haben, besteht die Gefahr, dass die entnommene Süße des Zuckers durch Süßstoffe kompensiert wird. Denn die Unternehmen wollen mit ihren Produkten ja weiterhin den Geschmack der Kunden treffen“, erklärt Hoppichler.
Dabei zeigen Studien, dass der Konsum von Süßstoffen nicht mit einer Reduktion des Körpergewichts in Verbindung steht. Gleichzeitig nimmt aber mit dem Konsum von Süßstoffen auch das Risiko zu an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes Mellitus zu erkranken.
Studie umfasst über 500 nicht alkoholische Getränke
Ganz anders ist die Situation jedoch in Österreich. Die Wissenschafter von SIPCAN bewirken seit einem Jahrzehnt, dass der durchschnittliche Zuckergehalt in Getränken kontinuierlich sinkt, ohne dass dabei auf den vermehrten Einsatz von Süßstoffen zurückgegriffen werden muss. „So haben die Österreicherinnen und Österreicher eine echte Chance sich an einen weniger süßen Geschmack in Getränken zu gewöhnen und damit auch ihren Zuckerkonsum langfristig senken zu können“, betont der Studienleiter Dr. Manuel Schätzer. In den letzten 10 Jahren ist der durchschnittliche Zuckergehalt von 7,53 g pro 100 ml auf 6,04 g pro 100 ml gesunken. Dies entspricht einer Senkung von 19,7 %. Von den über 500 erhobenen Produkten entsprechen damit 59,0 % den aktuellen Orientierungskriterien. Gleichzeitig ist aber in den letzten 10 Jahren der Anteil an süßstoffhaltigen Getränken von 19,3 % auf 11,8 % gesunken. Das bedeutet: waren 2010 noch rund 2 von 10 Getränken mit Süßstoffen versetzt, ist es jetzt nur noch 1 von 10. Wie viel Potential für eine Verbesserung besteht, zeigt die Tatsache, dass 7 % aller Getränke mit einer Zuckerreduktion von weniger als 1 g die Kriterien erreichen könnten. Weitere 6 % könnten die Vorgaben durch eine Zuckerreduktion von bis zu 2 g erreichen.
Österreich als Modellregion
Österreich ist mit dieser einzigartigen Public Health Strategie zu einem europäischen Vorzeigeland geworden. „Um die Industrie auf Basis der positiven Entwicklungen langfristig zu einer weiteren Zuckerreduktion zu motivieren, wurden im September 2019 die Orientierungskriterien durch eine Senkung um rund 10 % deutlich verschärft. In Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium gilt nun ein Orientierungswert von maximal 6,7 g Zucker pro 100 ml (inklusive natürlich enthaltenem Zucker) und keine Süßstoffe“, so Ernährungswissenschafter Schätzer.
Auch die Verpackungsgröße spielt eine Rolle
Aus verschiedenen Studien weiß man heute, dass Menschen mehr essen und trinken, wenn ihnen größere Portionen oder Packungen offeriert werden. Wer also ein großes Glas Wasser am Tisch stehen hat, wird auch insgesamt mehr trinken. Leider gilt dies auch für Limonaden und andere sehr süße Getränke. Deshalb empfiehlt das Studienteam speziell bei allen Getränken, die nicht den SIPCAN-Kriterien entsprechen, darauf zu achten, dass diese in möglichst kleinen Portionsgrößen (empfohlen wird 0,25 l oder kleiner) konsumiert werden.
Downloadmöglichkeit und praktische Getränke-APP
Die Ergebnisse der Studie werden auf www.sipcan.at kostenlos als übersichtliche „Getränkeliste“ zum Download, als online-Suche und als praktische App zur Verfügung gestellt, in der die Produkte nach Namen, aber auch nach Zuckergehalt sortiert angesehen werden können.
Über SIPCAN
SIPCAN (Special Institute for Preventive Cardiology And Nutrition) wurde als Initiative für ein gesundes Leben im Jahr 2005 gegründet. Als unabhängiges, wissenschaftliches Vorsorgeinstitut wird SIPCAN von einem nationalen, wissenschaftlichen Expertengremium aus medizinischen und angrenzenden Fachbereichen (Internisten, Kardiologen, Ernährungswissenschafter, Sozialmediziner usw.) unterstützt. Die Schwerpunkte von SIPCAN liegen in den Bereichen Gesundheitsförderung, Prävention, Forschung und Wissenschaft.