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Nachtwächter für Diabetiker

Der Freestyle LIbre 2 gibt Alarm, wenn der Zucker über oder unter den Grenzwerten liegt. Er gilt als Vorreiter einer neuen Generation von kontinuierlichen Glukose-Messungen.

 

Von Peter Illetschko

Diabetiker sollten dem Zucker-Messsystem Freestyle Libre 2 schon einen menschlichen Namen geben. Das macht es vertrauter, weil das System ja ein Tag-und-Nacht-Begleiter ist, auf den Diabetiker aufpasst, bei zu viel oder zu wenig Zucker, aber auch dann, wenn die Bluetooth-Verbindung abbricht, Alarm schlägt - und zwar so deutlich, dass man es nicht überhören kann.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass der Alarm unabhängig von einer Messung funktioniert, also starke Zuckerspiegel-Spitzen und Unterzuckerungen jederzeit registriert. Wenn das System also diese schrillen Warntöne von sich gibt, kann man den Namen sagen und in der Familie wird dieser bald zum geflügelten Wort für Über- oder Unterzucker. “Ah, hat Detlef wieder ein Problem?” “Ist Isolde eifersüchtig?” “Findet Ulf, Du hast zu wenig gegessen, ist er grantig?” “Ist Charlotta wieder beunruhigt?” Das macht die Zuckerkrankheit vielleicht charmanter, wenn das denn überhaupt möglich ist. Natürlich, viele Menschen werden sich schon wundern, wenn sie die Namensgebung des Warnsystems vernehmen, sich an den Köpfen kratzen und sich ihren Teil denken. Aber ehrlich: Wen kümmert es?

Der Libre 2 funktioniert ähnlich wie das Vorgängermodell Freestyle Libre.  Man stempelt sich zum Beispiel am hinteren linken Oberarm einen Kunststoffknopf, der etwa so groß ist wie eine zwei Euro Münze.  Nach 14 Tagen muss ein neuer Kunststoffknopf an den hinteren rechten Oberarm angebracht werden. Kurz vor dem Essen schaltet der achtsame Diabetiker sein Zuckermessgerät ein und streift damit über dieses kreisrunde Stück, das fest an seiner Haut klebt – und schon wird sein aktueller Blutzuckerspiegel angezeigt. Dank eines hauchdünnen enzymgetränkten Fadens, der vom runden Kunststoffknopf in die Haut ragt und laufend den Zuckergehalt der Gewebsflüssigkeit misst.

Wie beim Vorgängermodell kann man diese Prozedur auch über eine Handy-App abwickeln, was Charme hat, denn man braucht dann nicht an das Mobiltelefon und an das Messgerät denken, sondern hat alles in einem Endgerät.

Als der erste Libre 2014 als erstes nichtinvasives Messsystem auf den Markt kam, bedeutete die große Innovation:  Kein Fingerstechen mehr, keine Bluttropfen mehr, die man auf schmale Teststreifen auftragen muss. Heute wirkt diese Alltagserleichterung schon fast selbstverständlich. Über einen zweiten wichtigen Fortschritt wurde damals kaum berichtet: Schon die erste Generation Libre zeigte den zu erwartenden Trend der Blutzuckerentwicklung an, auch der Libre 2 kann, wenn man so will, in die Zukunft schauen:

Liegt der Pfeil waagerecht, kann man davon ausgehen, in Kürze ganz ähnliche Werte zu haben, zeigt der Pfeil senkrecht nach oben oder unten, sind deutliche Änderungen im Zuckerspiegel zu erwarten. Dadurch lassen sich extreme Spitzen oder Unterzuckerungen korrigieren, ehe sie eintreten.

Woher weiß nun der Freestyle Libre 2, ob der Blutzuckerspiegel zu hoch oder zu niedrig liegt? Man definiert im System nach Absprache mit einem Facharzt oder einer Fachärztin den Zielbereich, in dem sich der Blutzuckerspiegel im Idealfall bewegen sollte, z.b. 80-180. Das verursacht vielleicht Unterbrechungen des Schönheitsschlafs, beruhigt aber ungemein. Keine nächtlichen, möglicherweise gefährlichen Unterzuckerungen, kein im Schlaf unbemerkter, extremer Überzucker, der dann morgens nur schwer in den Griff zu bekommen ist.

Kontinuierliche Blutzucker-Messungen sind auch mit dem Eversense von Senseonics möglich. Hier wird der Sensor für sechs Monate vom Arzt in die Haut implantiert - derzeit wird das System allerdings in Österreich nicht vertrieben.  Das Glukose-Messsystem Dexcom kann genau genommen mehr als der LIbre 2, weil er wirklich kontinuierlich misst, also auch ohne aktive Nutzung des Messsystems durch den Diabetiker die Zuckerwerte regelmäßig abruft.

Abbotts nächste Entwicklung, der Freestyle LIbre 3, kann aber auch das. Er liefert automatisch Echtzeit-Glukosewerte über 14 Tage.

Zunächst kann man sicher aber über die Vorteile des Libre 2 freuen - er wird seit kurzem für Typ-1-Diabetiker bewilligt. Mit einem Anforderungsschein und einer Begründung durch den Diabetologen oder die Diabetologin sollte eine Kostenübernahme durch die ÖGK kein Problem mehr sein.

Wer die Postings diverser Selbsthilfegruppen auf Facebook liest, wird schließlich von Anwendungsproblemen erfahren: Sensoren, die nicht funktionieren, Sensoren, die Hautausschläge verursachen, Sensoren, die nicht halten - all das kann vorkommen. Der Autor dieser Zeilen hat schon kaputte Sensoren beim Kundendienst 0800 930093 beanstandet, und jedes Mal nach einem kurzen Telefonat einen neuen per Post zugeschickt bekommen - kostenlos.

Es gibt auch Tage, an denen die Bluetooth-Verbindung zwischen Sensor und Mobiltelefon relativ instabil ist, obwohl die Distanz dazwischen nach menschlichem Ermessen nicht außerhalb der Norm ist. Dann sendet das System einen Alarm, den man   ausschalten kann, ohne auf der Über- oder Unterzucker-Signaltaste in der App ebenfalls auf “Aus” zu gehen. Warum das so ist, konnte der Autor noch nicht nachvollziehen. Für die sinnvolle Nutzung des Libre 2 ergeben sich dadurch aber keine Nachteile.