Nachhaltigkeit: Kann Diabetestechnologie „grün“ werden?
Kann Diabetestechnologie „grün“ werden? Ja, denn sie muss es! Und Projekte gibt es bereits. Ein Überblick über Auf- und Abwärtsspiralen von Diabetesprävalenz, Müllproduktion und -vermeidung – und ein Blick nach Frankreich.
(Berlin, 16.8.2023) - Die Behandlung von Menschen mit Diabetes hat Konsequenzen für die Umwelt und den ökologischen Fußabdruck, allein, wenn man an die Müllbelastung denkt. Umgekehrt wirkt der globale Klimawandel zurück auf diabeteskranke Menschen und hat Auswirkungen auf die Funktion von Medizinprodukten, die die Qualität der Blutzuckereinstellung beeinflussen könnten – Stichwort Hitze. All dies wird in Fachkreisen zunehmend diskutiert, der Druck auf Medizinproduktehersteller wächst, Veränderungen hin zu verringerten ökologischen Belastungen einzuleiten und die Verlässlichkeit technologischer Diagnose- und Behandlungslösungen nachzuweisen sowie gegebenenfalls zu verbessern.
Je mehr wir unseren Planeten vergiften, desto mehr werden die Diabetesraten steigen.
Dr. David Kerr, US-amerikanische Diabetes Technology Society
Millionen Menschen weltweit injizieren sich täglich Insulin oder andere Arten injizierbarer Arzneien, Millionen Menschen wechseln alle zwei Wochen den Sensor zur kontinuierlichen Blutzuckermessung (CGM). „In Zukunft wird wahrscheinlich der Markt für CGM bei Erwachsenen mit nicht-insulinpflichtigem Diabetes und Prädiabetes exponentiell wachsen“, erklärte Dr. David Kerr von der US-amerikanischen Diabetes Technology Society bei der ATTD (Advanced Technologies & Treatments for Diabetes)-Konferenz 2023 in Berlin. Es sei daher mit weiter zunehmenden, erheblichen Mengen teils recycelbarem, teils nicht wiederverwertbaren Technikmülls zu rechnen.
Klimaveränderung und auch Feinstaub begünstigen Diabetes
Kerr wies außerdem darauf hin, dass die raschen Klimaveränderungen mit Hitzephasen oder Feinstaubbelastung negativ auf die Diabetesprävalenz zurückwirken, verstärkt durch sozioökonomische Schieflagen, die einen ungesunden Lebensstil fördern. „Je mehr wir unseren Planeten vergiften, desto mehr werden die Diabetesraten steigen“, warnte er. Der aus Schottland stammende Diabetestechnologie-Experte zitierte König Charles III: „Plastic is very much on the menu“ (Plastik steht ganz oben auf der Speisekarte). Mit Mikroplastik kontaminierte Lebensmittel könnten zur Diabetesentstehung beitragen, so Kerr. Die darin enthaltenen Chemikalien wirken auf hormonelle Regulationsmechanismen des Körpers, der Fachbegriff lautet „endogene Disruptoren“. Dennoch werde das Problemfeld „Diabetes und Umwelt“ bislang nur selten bei Fachkongressen thematisiert, monierte er.
In dieselbe Kerbe schlägt Professor Lutz Heinemann von Science-Consulting in Diabetes in Kaarst: „Meines Wissens gibt es keine EU-weite Initiative im Bereich Diabetes.“ Es fehle an koordinierten Aktivitäten, etwa seitens der europäischen Diabetesorganisation EASD (European Association for the Study of Diabetes). Heinemann hatte kürzlich in einem Fachaufsatz darauf hingewiesen, dass Hitzewellen zu Fehlfunktionen von Glukosesensoren und in der Diabetologie verwendeten Medizinprodukten führen könnten (J Diabetes Sci Technol 2022; online 20. Dezember).
Hitzewellen beeinträchtigen Wirksamkeit von Insulin
So sei es möglich, dass in den Sensoren verwendete Enzyme denaturieren, sodass falsche Gewebeglukose-Spiegel angezeigt werden oder die Funktion ganz ausfalle. Eingebaute Batterien könnten beschleunigt an Kapazität verlieren. Ob Glukosesensoren bei erhöhter Körpertemperatur verlässlich arbeiten, scheint nach Heinemanns Angaben nicht sicher. Bei klassischen Blutzuckermessgeräten sollen die Blutzuckermessstreifen meist bei Temperaturen unter 30°C gelagert werden – dies hat mit der Realität gegenwärtiger Sommertemperaturen nicht mehr viel zu tun. Hinzu kommt: Hohe Temperaturen führen zu Dehydratation, der Hämatokrit ändert sich und dies hat Auswirkungen auf das Blutzucker-Messergebnis. Weiterhin haben hohe Umgebungstemperaturen Auswirkungen auf die Insulinresorption aus dem subkutanen Gewebe sowie auf die Stabilität des Medikaments, das in Insulinpens oder in Pumpen mit sich geführt wird.