Moderne Diabetestherapie – ein Fussballmatch?
Von Mag. Christopher Waxenegger*
Kaum eine andere Erkrankung erfährt so viel Aufmerksamkeit wie der Typ-2-Diabetes. Die enge Verbindung zwischen erhöhtem Blutzucker, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie krankhaftem Übergewicht unterstreichen die Wichtigkeit einer effektiven und langanhaltenden Blutzuckerkontrolle. In den vergangenen zehn Jahren sind zudem sehr viele neue orale und injizierbare Medikamente gegen Typ-2-Diabetes auf den Markt gekommen. Die große Auswahl macht es den Betroffenen zunehmend schwieriger den Überblick zu behalten. Hier hilft ein Vergleich mit der Welt des Fußballs.
Tormann, Verteidiger und … wie war das noch gleich?
Prinzipiell besteht eine Fußballmannschaft aus:
- den Stürmern, die fürs Tore schießen zuständig sind.
- dem Mittelfeld, das je nach Spielverlauf offensiv oder defensiv agieren kann.
- dem Libero, der mehr oder weniger frei in seiner Bewegung ist und dort aushilft, wo gerade Not am Mann ist.
- den Verteidigern, die alles geben, damit das gegnerische Team kein Tor erzielt.
- dem Tormann, der als letzte Bastion eingreift und seiner Mannschaft in vielen Fällen buchstäblich das Leben rettet.
Hinzu kommen Wechselspieler und natürlich der Trainer, der die Mannschaft zusammenhält und unterstützt.
Metformin – Der Trainer
Die Basis der Behandlung bei Typ-2-Diabetes bildet Metformin, das als erstes Antidiabetikum zum Einsatz kommt, wenn Ernährungsumstellung und Bewegung nicht zum gewünschten Erfolg führen. Es bewirkt eine Senkung des Blutzuckers, hemmt die Freisetzung von Speicherzucker aus der Leber und kann eine Gewichtsabnahme unterstützen. Doch wie mit jedem neuen Trainer muss man sich auch mit Metformin arrangieren. Gastrointestinale Nebenwirkungen wie Blähungen, Übelkeit und Durchfall können zu Beginn der Behandlung auftreten, verschwinden im Verlauf jedoch meistens. Gewissermaßen gewöhnt sich der Körper an die Traktionen des Trainers und weiß dessen Vorzüge zu schätzen.
SGLT-2-Hemmer – Die Stürmer
Eine Mannschaft ist nur dann erfolgreich, wenn sie Tore schießt. Diesem Konzept folgend, fungieren SGLT-2-(Sodium-Dependent-Glukose-Transporter-2)-Hemmer als die Speerspitze des Antidiabetika-Fußballteams. Ihre Stärke ist die Blockierung der Wiederaufnahme von Zucker aus dem Harn, wodurch dieser vermehrt über den Urin ausgeschieden wird. Positiver Nebeneffekt dieser Blockade ist ein, meist gewünschter, Gewichtsverlust. Außerdem hat sich gezeigt, dass SGLT-2-Hemmer unabhängig von ihrer blutzuckersenkenden Wirkung, die Niere und das Herz schützen. Diese Stürmer können folglich ebenso verteidigen. Bekannte Nebenwirkung ist ein gehäuftes Auftreten von Pilzinfektionen im Intimbereich.
GLP-1-Agonisten – Das offensive Mittelfeld
GLP-1-(Glukagon-Like-Peptid-1)-Agonisten spielen den SGLT-2-Hemmern aus dem Mittelfeld die Bälle zu und bilden mit diesen eine gut aufgestellte Offensive gegen Diabetes. Sie müssen mit speziell dafür vorgesehenen Pens in die Haut injiziert werden. GLP-1-Agonisten sind künstlich hergestellte Abkömmlinge des körpereigenen Proteins GLP-1 und stimulieren die Bauchspeicheldrüse nach dem Essen mehr Insulin abzugeben. Des Weiteren verlangsamen sie den Transport der Nahrung im Magen-Darm-Trakt und verstärken das Sättigungsgefühl. Daneben kommt es zu einem Schutz des Herzens und das Körpergewicht wird verringert. Fehlpässe der GLP-1-Agonisten sind Völlegefühl und Übelkeit, allerdings bessern sich diese Beschwerden mit der Dauer der Einnahme/des Trainings.
DPP-4-Hemmer – Das defensive Mittelfeld
Es gibt Momente, in denen das Mittelfeld sich zurückziehen und verteidigend agieren muss. So oder so ähnlich kann man sich die Gabe von DPP-4-(Dipeptidyl-Peptidase-4)-Hemmer vorstellen. Diese Medikamente hemmen den Abbau des körpereigenen GLP-1, verstärken damit dessen Wirkung und senken so den erhöhten Blutzucker. Sie können als Tabletten eingenommen werden und wirken eher neutral auf das Körpergewicht, was sie zu einer guten Wahl für Menschen mit Schwierigkeiten bei der Handhabung von Pens oder Patienten mit Typ-2-Diabetes macht, bei welchen ein Gewichtsverlust unerwünscht ist. Da sie im Gegensatz zu GLP-1-Agonisten defensiver reagieren, sind Übelkeit und Völlegefühl, aber auch ihre Schutzwirkung auf das Herz-Kreislauf-System, nicht ganz so stark ausgeprägt.
Insulinsensitizer Pioglitazon – Der Libero
In einer Fußballmannschaft gibt es höchstens einen Libero und auch aus der Gruppe der Insulinsensitizer gibt es einzig Pioglitazon. Pioglitazon bewirkt, dass das Gewebe des Körpers wieder auf Insulin anspricht. Dieser Mechanismus ist einzigartig in der Antidiabetika-Mannschaft und kann mit allen anderen Medikamenten kombiniert werden, um deren Effektivität zu steigern. Bedingt durch die bessere Insulinwirkung kann es zu einer Gewichtszunahme und vermehrten Wassereinlagerungen kommen. Liberos sind heutzutage nicht fester Bestandteil jedes Fußballteams, denn die Taktik der Mannschaft muss bei einem Libero angepasst werden. So ist Pioglitazon zwar nicht in jedem Fußballteam enthalten, bei denen wo er mitspielt erfüllt er jedoch eine wichtige Funktion.
Sulfonylharnstoffe – Die Verteidigung
Ist der Gegner einmal bis in die Nähe des Strafraums vorgedrungen springt die Verteidigung in die Bresche und versucht das schlimmste zu verhindern. Sulfonylharnstoffe stimulieren aktiv die Insulinfreisetzung unabhängig von der Zufuhr einer Mahlzeit. Sie eignen sich dementsprechend wenn Feuer am Dach ist und wirken stark blutzuckersenkend. Dabei schießt die Verteidigung schon Mal übers Ziel hinaus und begeht Fouls. In der Tat verhalten sich Sulfonylharnstoffe ganz ähnlich. Als Nebenwirkungen sind länger andauernde und heftigere Unterzuckerungen möglich, die mit ausreichend vielen Kohlenhydraten behandelt werden müssen. Sicherheitshalber sollten diese immer griffbereit sein, egal ob zuhause oder unterwegs.
Insulin – Der Tormann
Wenn die letzte Verteidigungslinie durchbrochen ist, dann hilft nur noch der Tormann. In der Therapie des Typ-2-Diabetes ist dieser Punkt erreicht, wenn trotz mehrfacher Kombinationen von Medikamenten keine ausreichende Blutzuckerkontrolle erreicht werden kann. Obwohl Insulin in vielen Köpfen immer noch mit Horrorgedanken verknüpft ist, trifft dies auf moderne Formulierungen und Nadeln nicht mehr zu. Dennoch ist es wichtig, die Wirkung des Insulins und seine korrekte Verabreichung zu kennen, denn nur ein gut trainierter Tormann kann Bälle abwehren, ein schlechter wird versagen sobald es darauf ankommt. Wie im Fußball erhält der Tormann ein Spezialtraining, um gut auf seine Aufgabe vorbereitet zu werden. Gut geschulte und interessierte Menschen mit Typ-2-Diabetes können auf einen starken Tormann bauen, der ihnen dabei hilft den Blutzucker unter Kontrolle zu bekommen.
α-Glukosidasehemmer – Der Wechselspieler
α-Glukosidasehemmer, wie Acarbose, hemmen die Aufnahme von Kohlenhydraten im Darm. Diese Technik ist durchaus wirksam, allerdings nicht ganz auf dem neuesten Stand, weshalb Acarbose und Co. auf der Ersatzbank sitzen. Bei einer gut eingespielten Mannschaft wird man selten die Spieler der Ersatzbank benötigen, in manchen Fällen zahlt es sich jedoch durchaus aus, einen Spielerwechsel durchführen zu können. Übelkeit, Blähungen und Durchfall schränken ihren Einsatz ein.
Die Zusammenstellung des Anti-Diabetes-Teams findet in Absprache zwischen Patient und Arzt statt. Je mehr diese beiden „Sponsoren“ zusammenarbeiten, desto bessere Spieler können ausgewählt werden, was einen langfristigen Erfolg garantiert.
*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.
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