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Mit smarter Technik gegen Hypo & Co.

Geht es um Diabetes und technische Hilfsmittel, ist Medizinerin Julia Mader in ihrem Element. Ihr aktuelles Herzensprojekt: Ein neues digitales System, das Diabetesmanagement deutlich einfacher und sicherer macht.

Von Elisabeth Schneyder

Mit Diabetes hatte die heute 37jährige Grazerin bereits zu tun, bevor sie wusste, was er ist: „Meine Mutter hat als medizinisch-technische Assistentin bei einem Internisten gearbeitet. Als Kind fand ich es toll, wenn ich sie dort besuchen durfte. Ich war so fasziniert, dass ich jedes Mal darauf bestand, dass sie auch mir Blut abnimmt!“, erinnert sich Prof. Julia Mader heiter. Lösungsidee der nachsichtigen Mutter sei stets ein kleiner Stich in den Finger und ein Zuckertest gewesen. Und nicht einmal die damals noch recht mächtigen Lanzetten konnten die Begeisterung des kleinen Mädchens schmälern.

 

Ein späterer und in der Tat dramatischer Berührungspunkt mit Diabetes hat die Berufswahl der engagierten Ärztin wohl mit beeinflusst, wie sie heute meint: „Mein Onkel starb an den Folgen von Typ-2-Diabetes, als ich grade 22 Jahre alt war. Wie viele andere Diabetiker, nahm er die Probleme mit den Füßen nicht so ernst und sprach nie darüber. Diabetische Füße spürt man nicht. Als meine Mutter eines Tages Blut am Boden entdeckte und der Sache nachging, war die Krankheit bereits sehr fortgeschritten. Mein Onkel starb mit nur 58 Jahren im Spital“.

 

Inzwischen ist die damalige Medizinstudentin Professorin an der klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie der Med-Uni Graz. Dass sie für ihre Arbeit brennt, beweisen zahlreiche Auszeichnungen, Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Gesellschaften, Gutachter-Tätigkeiten und – nicht zuletzt – innovative Projekte, an denen Mader maßgeblich beteiligt ist. Denn die Apothekertochter hat sich der Forschung und Entwicklung neuer technischer Hilfsmittel verschrieben, die Diabetikern mehr Sicherheit und ein leichteres Leben bescheren. „60 Prozent Klinik, 40 Prozent Forschung“, definiert sie ihr Arbeitsleben: „Mein Interesse liegt vor allem im Technologiebereich“. Und was Julia Mader hier leistet, kann sich wahrhaft sehen lassen.

 

Da wäre etwa ein im Rahmen eines EU-Projektes entwickeltes Entscheidungsunterstützungssystem. Ursprünglich für Typ-2 Diabetiker mit Basis-Bolus-Therapie im Krankenhaus gedacht, gibt es hierzu auch inzwischen bereits ein Spin-Off einer kleinen Grazer Firma, das sich in verschiedenen Spitälern in der Steiermark als sehr erfolgreich erweist. Mader: „Damit kann man Diabetes sehr gut dokumentieren. Und schaltet man die Entscheidungsunterstützungsfunktion ein, kann man die Zuckereinstellung im Krankenhaus deutlich verbessern – ohne dass die Patienten vermehrt Hypos erleiden. Das System schafft es, den mittleren Blutzucker zu senken, und trotzdem Hypoglykämien, die sonst die große Sorge sind, zu vermeiden“.

Landen Diabetiker wegen anderer Erkrankungen, Unfällen oder Operationen im Spital, wird die Zuckereinstellung oft zum Problem

Warum das neue, „GlucoTab“ genannte System so wichtig ist, ist leicht erklärt: Landen Diabetiker wegen anderer Erkrankungen, Unfällen oder Operationen im Spital, wird die Zuckereinstellung oft zum Problem. Schließlich ist nicht in jeder Station allzeit ein Diabetesspezialist verfügbar. Höhere Blutzuckerwerte werden deshalb angestrebt und toleriert, um die gefürchteten Hypos zu vermeiden. Diese dauerhaft zu hohen Blutzuckerwerte kommen auch oft zustande, weil Ärzte und Pflegekräfte keine zeitnahe Abfolge von Zuckermessung, Verordnung und Medikation bieten können.

 

Mit dem neuen Softwaresystem „GlucoTab“ lässt sich dieses Problem lösen, wie Mader erklärt: „Die Ärzte erhalten automatisch Dosierungsvorschläge für initiale Dosisfindung und die tägliche Insulindosisanpassung. Pflegekräfte können die Insulingabe mit GlucoTab Unterstützung selbstständig durchführen. Die passende Insulindosis wird individuell berechnet, sobald aktueller Blutzuckerwert und geplante Mahlzeit dokumentiert sind. Läuft die Therapie zufriedenstellend, kann die tägliche Dosisanpassung mit GlucoTab auch von Pflegekräften selbständig durchgeführt werden. Kommt es zu Komplikationen oder Krisen, wird die Aufgabe vom System wieder an den zuständigen Facharzt übergeben“.  

 

Es gibt eine „freie“ Variante, in die der Arzt alle Daten selbst eingibt, die im individuellen Fall wichtig sind. Damit können etwa auch schwangere Diabetikerinnen oder Typ-1 Diabetiker behandelt werden. Das Herzstück, nämlich die Entscheidungsunterstützung, basiert auf einem Algorithmus, der je nach Alter, Körpergewicht und Nierenfunktion des Patienten einen Vorschlag zur Dosierung errechnet. Dieser kann angenommen oder durch die selbst festgelegten Werte ersetzt werden.

Doch zeige die Erfahrung, dass das digitale Helferlein meist richtig liegt, weiß Julia Mader aus der Praxis: „Ist die Dosis, die das System vorschlägt, höher als die Dosis, die der Patient zu Hause verwendet, übernehmen wir meist die höhere Dosis, weil die Patienten leider oft untertherapiert sind. Dies erkennen wir auch an den mitgebrachten Tagebüchern bzw. HbA1c-Werten. Für die weitere Zeit errechnet das System auf Basis der vorangegangenen 24 Stunden die Dosierungsvorschläge für den jeweils nächsten Tag – unter Einbeziehung aktueller Messwerte und Mahlzeiten, und ergänzt um nötige Kurzzeitinsulingaben.“

Pflegepersonal und Ärzte sind eingeloggt und somit allzeit aktiv mit „im Spiel“. Der Patient ist im System eingetragen – so kommt die korrekte Dosis beim richtigen Patienten an. Mit Hilfe von „GlucoTab“ können etwa auch Pflegekräfte die Therapie anpassen, ohne vorab einen Arzt erreichen zu müssen. Eine große Erleichterung – vor allem auf Stationen, in denen (wie z.B. Chirurgie) nicht ständig ein Diabetesspezialist anwesend ist.

Oft haben Patienten im Spital Angst, weil sie schlimme Berg- und Talfahrten erleben, wenn ihnen das Zuckermanagement aus der Hand genommen wird

Dass „GlucoTab“ bestens funktioniert, zeigen auch die Reaktionen der Patienten, freut sich Mader: „Oft haben Patienten im Spital Angst, weil sie schlimme Berg- und Talfahrten erleben, wenn ihnen das Zuckermanagement aus der Hand genommen wird. Mit dem neuen System eingestellt, fragen sie nachher häufig, mit welchem tollen neuen Insulin sie behandelt wurden – und sich völlig überrascht, wenn sie hören, dass es zwei ganz herkömmliche Präparate waren, die durch GlucoTab nur eben effektiver eingesetzt wurden“.

 

Gearbeitet werde derzeit auch an einer neuen App für selbständige Patienten, die nach Eingabe ihrer Werte auf die digitale Entscheidungsunterstützung zurückgreifen können sollen. Eine Studie in der Hauskrankenpflege wurde dazu bereits durchgeführt. In einem weiteren Entwicklungsschritt soll es dann möglich werden, via Smartphone nicht nur Dosierungsvorschläge zu bekommen, sondern sich im Fall des Falles auch auf ärztliche Unterstützung spezialisierter Ambulanzen verlassen zu können.

 

Noch läuft der Algorithmus über die jeweils eingebundene Pflegekraft. Doch in ungefähr einem Jahr soll das erweiterte Pilotprojekt starten – mit der App, die nicht nur unter Einbindung von Spital und Fachambulanzen, sondern auch selbständig und abseits davon funktioniert. Ein ambitioniertes Projekt, für das noch Sponsoren gesucht werden.