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Metaflammation gefährdet Gesundheit von Übergewichtigen

Gießen – Übergewicht ist weit mehr als ein ästhetisches Problem. Anlässlich des heute in Gießen gestarteten Deutschen Kongresses für Endokrinologie wies Tagungspräsident Andreas Schäffler darauf hin, dass überschüssiges Fettgewebe vor allem ein gesund­heitliches Risiko darstelle.

„Bei Übergewicht liegt eine chronisch-unterschwellige Entzündung vor, und zwar sowohl lokal als auch systemisch“, erklärte der Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III der Justus-Liebig-Universität Gießen bei der Auftakt-Pressekonferenz.

Ausgelöst werde die schwelende Entzündung von Mediatoren und Hormonen wie IL-1, IL-6, TNF, CRP und Leptin, die vor allem vom viszeralen Fettgewebe freigesetzt würden. Vermindert ist bei Übergewichtigen dagegen der Serumspiegel des Peptidhormons Adi­ponectin, welches an der Regulierung von Hungergefühl und Nahrungsaufnahme betei­ligt ist.

In Deutschland hat mittlerweile mehr als die Hälfte der Bevölkerung einen Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 25 kg/m2 und gilt deshalb als übergewichtig. Einer von sechs ist mit einem BMI von über 30 sogar fettleibig oder adipös. „Normalgewicht ist in Deutsch­land nicht mehr der Normalfall“, sagte Schäffler.

Die durch den Metabolismus ausgelöste Entzündung wird als Metaflammation bezeich­net. Sie gilt mittlerweile nicht mehr nur als „passiver“ Begleitprozess metabolischer Er­kran­kungen, ihr wird inzwischen eine wesentliche Rolle im Krankheitsprozess zugewie­sen.

Die entzündliche Aktivierung wird getrieben durch die identischen Mechanismen und Moleküle wie bei einer Infektion. Es liegt eine chronische Stressreaktion vor, die zu einer verminderten Insulinwirkung führt und eben dadurch zu Diabetes mellitus und kardiovas­kulären Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall.

Sie könnte aber auch als Ansatzpunkt für neue Medikamente dienen. „Es gibt mittlerweile Antikörper, die gezielt die Entzündungsreaktionen im Körper angehen“, berichtete Matthi­as Weber, Leiter der Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten der Jo­hannes Gutenberg-Universität Mainz.

Ein solches Mittel ist der Antikörper Canakinumab. Er ist seit 2009 in Deutschland zuge­lassen. Einsatzgebiet sind schwere Rheuma-Erkrankungen wie die systemische juvenile idiopathische Arthritis oder eine Gichtarthritis. Schon seit Längerem ist bekannt, dass eine antientzündliche Rheumabehandlung gleichzeitig bestehende Stoffwechsel­erkran­kungen verbessert.

Canakinumab wurde in einer größeren klinischen Studie an mehr als 10.000 Patienten erprobt, die schon einmal einen Herzinfarkt erlitten hatten und bei denen das C-reaktive Protein erhöht war. Die Behandlung war jedoch nur teilweise ein Erfolg. Weber erläuterte: „Canakinumab senkte zwar die Konzentration des C-reaktiven Proteins. Es kam auch zu 15 Prozent seltener zu erneuten Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“

Keine medikamentöse Problemlösung am Horizont

Doch die Blockade der Entzündungsreaktion hatte laut Weber auch einen Anstieg von Infektionen zur Folge, von denen einige tödlich endeten. „Wir haben deshalb noch kein geeignetes Medikament gefunden, das Menschen mit Adipositas oder Typ-2-Diabetes vor den Auswirkungen der Metaflammation schützt“, sagt Weber. Für die Betroffenen bleibt allerdings die Möglichkeit, durch eine Diät das Fettgewebe abzubauen oder sich einer Operation mit Magenverkleinerung oder Darmverkürzung zu unterziehen. Beide Wege sind laut Weber vielversprechend: „Die Entzündungsreaktion im Körper geht zurück, der Patient nimmt ab und häufig verschwindet auch der Diabetes. Die Natur des Menschen führt jedoch dazu, dass die Mehrzahl der Betroffenen stattdessen lieber ein Medikament einnehmen würden.“

Quelle: https://www.aerzteblatt.de/