Skip to main content

Menschen mit Diabetes sind den Regierenden offensichtlich egal!

„wir sind diabetes“: Dachverband der Diabetes-Selbsthilfe Österreich fordert eine klare Perspektive für die COVID-19-Impfung.

Wien – Vertreter von „wir sind diabetes – Dachverband der Diabetes-Selbsthilfe Österreich“ machen auf schwere Versäumnisse der politisch Verantwortlichen beim Schutz von Menschen mit Diabetes vor COVID-19-Infektionen aufmerksam. „Der wissenschaftliche Erkenntnisstand wird bei der Verteilung der Impfdosen nicht berücksichtigt, man weicht dem Dialog mit der Community aus und vor allem: Es gibt keine klare Perspektive, was Menschen mit Diabetes von der Gesundheitsversorgung in diesem Land konkret erwarten können“ so Wundchirurg und „wir sind diabetes“-Präsident Adalbert Strasser in einer Aussendung. „Mag sein, dass man COVID-19-Impfstoffe nicht herbeizaubern kann. Worauf die Menschen aber ein Anrecht haben, sind klare und nachvollziehbare Planungen und ein halbwegs professionelles Management bei der Verteilung der Impfstoffe.“

Impfpriorisierung ohne wissenschaftliche Grundlage

Entsprechend der Empfehlung des Nationalen Impfgremiums vom 12. Jänner 2021 (1) fallen Menschen mit Diabetes mellitus, unabhängig vom Diabetestyp, in die „Prioritätskategorie 3“. Eine Ausnahme besteht für Menschen mit schlecht eingestelltem Diabetes (HbA1c > 7,5 % bei Typ-1-Diabetes; HbA1c > 8,5 % bei Typ-2-Diabetes) oder wenn diabetesbedingte „Endorganschäden“, z. B: des Herzens, der Niere oder der Blutgefäße vorliegen. „Diese Regelung, die schon bei der COVID-19-Risikogruppen-Verordnung im Sommer 2020 verwendet wurde, hat keine medizinische Grundlage und dient ausschließlich dazu, die Zahl der Menschen mit höherer Priorisierung zu reduzieren“, sagt Strasser. Er verweist auf die Einschätzung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG), die seit Monaten die COVID-19-Verläufe von Menschen mit Diabetes in Österreich erfasst (2):

„Studien zeigen, dass mehr als die Hälfte der Intensivmedizinisch versorgten COVID-19-Patienten Diabetes hatten und noch dazu ein Drittel an der Vorstufe Prädiabetes litten. In großen epidemiologischen Studien ebenso wie im Diabetes-Covid-19 Register der ÖDG erwies sich der HbA1c nicht als Risikofaktor für einen schweren Verlauf, konsistent in allen Studien zeigen sich neben einem höheren Alter (> 65 Jahre) begleitende kardiale, renale oder pulmonale Erkrankungen als wesentliche Risikofaktoren für einen schweren Verlauf.“

Österreichischen Diabetes Gesellschaft, Information zur COVID-19-Impfung

ÖDG-Präsidentin Susanne Kaser, Internistin und Vizedirektorin der Universitätsklinik für Innere Medizin I in Innsbruck, macht auf die Gefahren dieser Vorgehensweise aufmerksam: „Alleine an unsere Ambulanz kommen jeden Tag 50 bis 60 Patientinnen und Patienten, viele davon mit Diabetes, und keiner davon ist geimpft. Wir wissen aus vielen Studien, dass genau die Personen ein sehr hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben. Trotzdem fällt nur ein geringer Teil dieser Menschen in die Prioritätskategorie 2“.

Worthülsen aus dem Ministerium

„Bis zu den Verantwortlichen im Gesundheitsministerium ist das offensichtlich noch nicht durchgedrungen“, sagt Karin Duderstadt, Geschäftsführerin von „wir sind diabetes“. „Auf unsere Forderung, Menschen mit Diabetes ihrem Risiko entsprechend zu priorisieren (3), antwortete die Kommunikationsabteilung des Gesundheitsministeriums, man kann es nicht anders sagen, mit Worthülsen (4):

„Menschen mit Diabetes sind natürlich berücksichtigt, vor allem jene mit dem größten Risiko, weil sie eine schwere Form haben (hoher HbA1c-Wert) analog der COVID-Risikogruppen-Verordnung vom Frühjahr 2020.“

Team Kommunikation Corona-Schutzimpfung, Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

Als geradezu herablassend empfindet man bei „wir sind diabetes“ die weiteren Ausführungen des Ministeriums: „Zusätzlich können gerade auch im niedergelassenen Bereich die impfenden Ärzte das Gesamtrisiko berücksichtigen und entsprechend priorisieren“, heißt es da und: „Die Vormerkung zu einem Termin für eine Corona-Schutzimpfung ist in den Bundesländern über eigene Anmeldesysteme möglich. In vielen Fällen können Sie darüber auch angeben, dass Sie zu einer Risikogruppe gehören sowie Ihre Vorerkrankungen anführen.“ (4)

„Die Menschen sind doch nicht blöd!“ so Duderstadt. „Uns erreichen tagtäglich E-Mails von Menschen, die keine Möglichkeit haben sich anzumelden, und daran scheitern, konkrete Auskünfte darüber zu erhalten, wann oder ob für sie die Möglichkeit besteht, eine COVID-19-Impfung zu erhalten.“

Bloße Verwaltung der Corona-Krise reicht nicht!

Das Resümee von „wir sind diabetes“ Präsident Strasser: „Es verfestigt sich der Eindruck, dass die verantwortlichen Stellen überfordert sind. Man sagt den Leuten, sie sollen zuhause bleiben und vertröstet sie damit, dass irgendwann alles wieder besser wird. Viele Menschen mit Diabetes brauchen aber jetzt und kontinuierlich Hilfe. Dass es zum Beispiel Corona-bedingt keine medizinischen Fußpflege-Angebote gibt, wie uns aktuell aus der Steiermark berichtet wurde, führt geradewegs in die Katastrophe – wir verlieren Extremitäten und wir verlieren Menschenleben! Ich glaube nicht, dass das den Menschen, die Verordnungstexte schreiben, immer bewusst ist.“

 

Über „wir sind diabetes“

„wir sind diabetes - Dachorganisation der Diabetes Selbsthilfe Österreich“ wurde im Sommer 2019 von den drei wichtigsten Diabetes-Selbsthilfevereinen des Landes, der Österreichische Diabetikervereinigung (ÖDV), den Aktiven Diabetikern Austria (ADA) und dem Verein DIABÄR gegründet. Weiteres Gründungsmitglied ist die Internetplattform Diabetes Austria – Initiative Soforthilfe für Menschen mit Diabetes.

„wir sind diabetes“ ist selber keine Selbsthilfeorganisation, sondern Interessenvertretung aller Menschen mit Diabetes in Österreich, ihrer Angehörigen und aller Personen, denen Menschen mit Diabetes und ihre Versorgung ein Anliegen sind. Zu den Aufgaben der Dachorganisation gehört es, das öffentliche Bewusstsein für die Rechte und Anliegen von Menschen mit Diabetes zu stärken und im Dialog mit der Politik und den Gesundheitspartnern Defizite in der Gesundheitsversorgung dieser Menschen zu benennen und auf die Probleme und Benachteiligungen im Alltag hinzuweisen.

Referenzen

(1) Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, COVID-19 Impfplan (11.02.2021), https://www.sozialministerium.at/dam/jcr:18101f10-25e2-4e27-9fa23cb54a4bf9bb/20210211_COVID-19 Impfplan.pdf  

(2) Österreichischen Diabetes Gesellschaft, Information zur COVID-19-Impfung, https://www.oedg.at/2021-01-info-zu-covid-19-impfung.html

(3) Stellungnahme von „wir sind diabetes“ vom 26. Jänner 2021, https://www.wirsinddiabetes.at/diabetesernst-nehmen/

(4) Brief der Abteilung Kommunikation Corona-Schutzimpfung, Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz am 28. Jänner 2021, https://www.wirsinddiabetes.at/was-muss-man-alsmensch-mit-diabetes-noch-tun-um-ernst-genommen-zu-werden/