Mein Freund, der Diabetes
Der unerwünschte Untermieter Diabetes wird langsam mein Freund. Seltsam. Aber erfreulich.
Tatsächlich habe ich mehr als 20 Jahre nach der Diagnose so etwas wie ein Gefühl der Dankbarkeit für dieselbe entwickelt. Nicht falsch verstehehn: auch mich hat´s kalt erwischt und ich hab geglaubt, der Himmel stürzt ein, als mir ein Mediziner bei einem Gesundheitscheck meinen Blutzuckerwert 345 mg/del erklärte: „Willkommen im Club – lernen´S Insulin spritzen!“ Das war Anno 1995.
Ich will ja nichts beschönigen. Auch mir ging und geht die Zuckerkrankheit trotz all der modernen Therapie-Möglichkeiten wie Langzeit-Insuline, Blutzucker-Sensoren, Pumpen und anderem mehr immer wieder unsäglich auf die Nerven. Am meisten stört mich, dass es nicht einen einzigen, besch…eidenen Tag Pause, Urlaub oder Auszeit gibt. Jeden einzelnen Tag bis an mein Lebensende muss ich mich mit dem Diabetes beschäftigen.
Es geht um Messungen, Nadeln wechseln, Arztbesuche (mit langen Wartezeiten) für Rezepte oder zur Kontrolle, Kontakte mit der Sozialversicherung und vieles mehr.
Aber andererseits: seit ich mich mit der Zuckerkrankheit beschäftige, habe ich nicht nur für mein persönliches Wohlbefinden Benefits erfahren dürfen. Zuerst habe ich spannende Menschen wie Diabetes-Pionierin Prof. Kinga Howorka und Selbsthilfe-Aktivisten (darunter Helga Grillmayr und Erich Wolfrum) kennengelernt, dann habe ich gemeinsam mit meiner Freundin und Geschäftspartnerin Veronika Kub die Gunst der Stunde genutzt und das erste deutschsprachige Portal für Menschen mit Diabetes gründen dürfen.
Ab dann ging es so richtig los. Wir konnten hunderten Menschen kurz nach der Diagnose die Wege zum richtigen Arzt oder zur einer SH-Gruppe zeigen, lernten Österreichs beste Diabetesexperten kennen und schätzen. Bald entstanden erste Aktionen zugunsten von Kindern mit Diabetes; sowohl in Österreich als auch in Indien. Es entstanden im Lauf der Jahre drei Bücher (ein viertes ist gerade in Arbeit), ich wurde für meine Arbeit mit journalistischen Preisen ausgezeichnet und erfreue mich bis heute großer Wertschätzung. Ausserdem konnte ich trotz und mit Diabetes beweisen, dass ich meiner Reiseleidenschaft auf alle Kontinente bis heute nachkommen kann.
Auch ein Blick auf mein Privatleben fällt zufriedenstellend aus: ich ernähre mich wesentlich bewusster und damit auch gesünder als früher, ich mach viel mehr Bewegung und Sport und hab auch schlechte Angewohnheiten von früher mit weitgehend abgewöhnt.
Ich bin sicher: ohne meine Diabetes-Erkrankung wäre alles ganz anders gekommen. Es macht aber wenig Sinn, das „Hätti-wari“-Prinzip anzuwenden. Was wäre gewesen, wenn ich nicht erkrankt wäre, bringt mich keinen Zentimeter weiter. Klar ist, dass es wichtig war, die Erkrankung vom Start weg ernst zu nehmen und so hab ich bis heute keinerlei Folgeerkrankungen. Das wird, wenn´s nach mir geht, auch so bleiben.
Man kann jetzt verstehen, warum ich nach über 20 Jahren eine mehr als positive Bilanz meiner Beziehung zum Diabetes ziehen kann und ich wünsche mir ehrlich, dass viele Schicksalsgefährten einen ähnlich positiven Zugang zu einer unveränderlichen Tatsache finden.
Das geht, wie ich von Leuten, die mehr als doppelt so lange erkrankt sind, auch mit Folgeerkrankungen. Neuropathien, Augenprobleme und anderes halten diese positiv denkenden Patienten nicht davon ab, ihr Leben zu leben und zu genießen.
Er ist mitunter ein wenig launisch, mein seltsamer Freund Diabetes, und vor allem unglaublich anhänglich. Aber – so seltsam es klingt – er hat auch Qualität, Bewußtsein und sogar Anerkennung in mein Leben gebracht. Mit herzlichen Grüßen und Wünschen zum Osterfest
bleibe ich Ihr
Peter P. Hopfinger
Herausgeber und Chefredakteur
Lob, Kritik, Anregungen und Leserbriefe an hopfinger(at)diabetes-austria.com