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Mein erstes Viertel Jahrhundert mit Diabetes

Wie aus meiner Schock-Diagnose ein sinnvoller Lebensgefährte wurde. Ein Editorial von Peter P. Hopfinger

Oktober 1995: ich habe mich wieder einmal für eine Gesundheitsüberprüfung im Evangelischen Spital in Währing eingecheckt. Zu groß ist meine Sorge, eine Krebserkrankung zu bekommen. (Meine Mutter ist mit nur 51 Jahren an einem Darmkrebs verstorben und ich bin zu dem Zeitpunkt schon 40 Jahre alt).

Die Diagnose knallt wie eine kräftige Ohrfeige in mein Leben: „Sie haben Diabetes, einen seltenen Typ LADA, müssen ab sofort für den Rest Ihres Lebens Insulin spritzen“, so die lakonischen Auskünfte der Mediziner. Irrtum? Verwechslung? Kaputtes Analysegerät? Strohhalme, die sehr schnell umknicken. Aber immerhin: kein Krebs.

Meine Frage: Was passiert, wenn ich nichts mache? Die trockene Antwort: Dann werden sie sehr bald tot sein. Und? Will ich wissen: Sterben müssen wir alle irgendwann. Schon, aber früher oder eben erst später und bis dahin können Sie noch Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall erleben. Oder Sie werden blind.

Da hat´s mich gerissen. Ein blinder schreibender und natürlich auch viel lesender Journalist? Das geht gar nicht.

Der Rest ist Geschichte: ich fand in Prof. Dr. Kinga Howorka die netteste, schrulligste und unpünktlichste Medizinerin, die dennoch jede Minute, die man mit ihr verbringen darf, wert ist. Mit der von ihr entwickelten Funktionellen Insulin Therapie (mehr dazu auf www.diabetesfit.org ), die ich in Howorkas Schulungssystem gelernt habe, bin ich heute in Sachen Selbständigkeit wie ein VW-Käfer: es läuft und läuft und läuft. Ohne Spätschäden und gröbere Unterzuckerungen, mit dem Langzeitwert HbA1c zwischen 6,2 und 6,9 Prozent.

Aber nicht nur das zählt. Ich ernähre mich vernünftiger, gehe viel mehr als früher und habe es sogar in Lockdown-Zeiten geschafft, mehr als 2.000 Kilometer mit dem Rad zu fahren. Ergebnis: mein Gewicht liegt um zehn Kilo niedriger als bei der Diagnose und mein Blutdruck ist (mittlerweile von Pulvern unterstützt) im Schnitt bei 125/80.

Parallel dazu verordnete ich mir den proaktiven Umgang mit dem Diabetes und hatte nach der negativen Krebsdiagnose noch einmal Glück: denn 1995 waren erst rund 300.000 Österreicher im WorldWideWeb und ich erkannte sehr bald, dass viele Schicksalsgenossen auch im rasch wachsenden Internet nach seriösen Webseiten und Informationen zum Thema suchten.

Was folgte, ist eine für Österreich ungewöhnliche Erfolgsgeschichte, die nicht nur mehrere Bücher, sondern auch journalistische Ehrungen, Preise und Auszeichnungen zur Folge hatte.

Dazu kamen und kommt es noch immer zu spannenden Begegnungen mit interessanten, oft sehr klugen Personen, die das Herz am rechten Fleck haben und sich für die Problematik Diabetes oft weit über ihr beruflichen Anspruch engagieren. Auch nationale und internationale Kongresse standen in der Vergangenheit oft auf meinem Terminkalender. Beim letzten ATTD-Kongress in Madrid Anfang des Jahres hatte ich allerdings Riesenglück, denn in Spanien war die erste Welle des Corona-Virus bereits ausgebrochen.

Sie sehen: mir hat die Diabetes-Erkrankung – wenn man bilanziert – mehr gebracht, als sie mir genommen hat. Bewussteres und gesünderes Leben, jede Menge neuer Freunde und Mitstreiter und eine Menge Wissen über das Leben mit der Zuckerkrankheit sowie – last but not least – die Reisen in einige mir bis dahin unbekannten Metropolen wie Rio de Janeiro oder zuletzt Madrid.

Mir ist natürlich bewusst, dass ich als Journalist bevorteilt bin.  Ich darf zu Kongressen, die normalen Patienten verschlossen sind. Ich darf mit Kapazitäten aus dem medizinischen Bereich sprechen, die nicht für jeden Patienten auf Knopfdruck erreichbar sind. Und ich werde auch oft von Entwicklungen oder neuen Produkten lange vor dem regulären Publikum informiert. Das gehört dann zu unseren Aufgaben.

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Einerseits, weil ich durchaus stolz bin auf die in zweieinhalb Jahrzehnten entwickelte Beziehung zu meinem Diabetes, aber andererseits weil ich jedem Einzelnen von Ihnen Mut machen will.

Drehen Sie Ihren Diabetes ins Positive. Schließen Sie sich einer Selbsthilfegruppe an oder gründen Sie selbst eine. Organisieren Sie eine WhatsApp-Gruppe mit Freunden oder schließen Sie sich einer bereits existierenden Facebook-, WhatsApp- oder anderen Gruppe an. Hier lernen Sie neue Menschen mit gleichen oder ähnlichen Problemstellungen kennen. Hier kann man sich austauschen und vom Schwarmwissen vieler tausender Patienten profitieren.

Tun Sie was für sich, Ihre Familie und Ihre Freunde.

Ach ja und eins noch: wenn Sie offen und selbstbewusst mit Ihrer Erkrankung umgehen, können Sie auch vorbeugend was für Ihre Familie und Freunde tun.

Machen Sie´s wie ich und aus dem ungeliebten Untermieter Diabetes einen positiv besetzten Lebensbegleiter, der nicht nur Ihnen selbst, sondern auch Ihren Lieben einen positiven Input geben kann. Und dazu muss man selbst noch nicht einmal Diabetes haben.

Ich freue mich wie immer über Zuschriften, Anregungen und Kritik über die Emailadresse hopfinger(at)diabetes-austria.com und bleibe mit besten Wünschen

Ihr

Peter P. Hopfinger

Herausgeber, Chefredakteur und

Gründer der Initiative Soforthilfe für Menschen mit Diabetes