Kleines Tun, große Wirkung
Von Gabriele Kuhn*
Berührungen sind lebenswichtig – für junge und ältere Menschen, für kranke und gesunde. Oxytocin heißt der Stoff, der hier Wunder wirkt: Werden wir liebevoll gestreichelt, umarmt, geknutscht oder geknuddelt, schüttet das Gehirn das Bindungshormon (manche sagen auch „Kuschelhormon“ dazu) sofort aus. Die Körperspannung weicht, wir füllen uns gehalten, wohl und angenommen – und fassen Vertrauen. In diesem Moment ist alles gut, wird alles gut.
Wie Berührung wirkt, zeigt sich schon im Mutterleib, wie die Haptik-Forschung zeigt: Bereits in der sechsten Schwangerschaftswoche reagieren befruchtete Eizellen auf Berührungen, ihr Wachstum wird stimuliert. Als erwachsener Mensch verfügen wir schließlich über mehr als 900 Millionen „Empfangsantennen“, die reagieren, wenn wir jemanden berühren oder berührt werden. Die Haut als gigantisches Sinnesorgan - so verbinden wir uns mit anderen und kommunizieren nonverbal mit der Welt um uns herum.
In Zeiten des doppelten Babyelefanten und „Social Distancings“ ist es umso wichtiger, sich – wann und wo immer es möglich ist – seine Dosis „Touch“ zu holen. Dabei geht’s auch um Achtsamkeit, um ein Bewusstsein dafür, denn viel zu oft gerät der zärtliche Tast-Sinn in Vergessenheit. Bereits vor der Pandemie reduzierte sich das Berühren mitunter nur noch auf hundertfaches Wischen am Smartphone oder Tablet. Der deutsche Psychopharmakologe und Depressionsexperte Bruno Müller-Örlinghausen merkt in seinem Buch „Berührung. Warum wir sie brauchen, und wie sie uns heilt“ dazu an, dass viele Menschen ein „fast schon zärtliches Verhältnis“ zu ihrem Handy hätten. Schon erstaunlich: Manche können sich selbst beim Sex nicht ganz davon trennen. Und dennoch: Der Hauthunger bleibt, selbst wenn wir ihn noch so stark zurückdrängen und obwohl jeder Mensch ein unterschiedliches Nähebedürfnis hat. Ein bisserl was braucht’s immer, wir sind soziale Wesen.
Dieses „bisserl was“ kann sich so gut wieder jeder in sein Leben holen, auch wenn er nicht gerade frisch verliebt und im Hormonrausch durch den Alltag taumelt. Heilsamer Körperkontakt geschieht oft in Form kleiner Gesten und liebevoller, sensitiver „Zwischentöne“: ein zartes Handauflegen, eine vorsichtige Umarmung oder wenn ein Mensch dem anderen über die Wange oder den Kopf streichelt. Manchmal will man nur leicht gehalten werden.
Paare oder Menschen, die zusammenleben, sollten mehr denn je darauf achten – sich „berührend“ in den Schuhen des anderen gehen. Nachdenken – wer braucht was, wann und warum. Manchmal beginnt ein Tag viel besser, wenn man einander morgens nur eine Minute gehalten, den Atem und die Wärme des anderen gespürt hat. Manchmal endet ein Tag harmonischer, wenn man Hand in Hand einschläft. Achten Sie einmal darauf! Achten Sie darauf, wie oft Sie jemanden berühren – und umgekehrt: Wie oft Sie berührt werden, an einem einzigen Tag. Denn natürlich geht es auch darum, sich auf Berührung als Grundempfinden wieder bewusst einzulassen – viel zu oft wird darauf vergessen. Doch am Ende gilt: Wir berühren also sind wir.
Der Mensch, von dem man berührt wird, muss nicht zwingend jemand Vertrauter sein. Im Rahmen einer Massage, einer Physiotherapie oder ähnlichen Methoden können Hände, leichter oder sanfter Druck, Ziehen und Dehnen unglaublich entstressen, Schmerzen und Spannungen lindern und unendlich guttun. Das reicht tief in das menschliche Körpersystem hinein. So betrachtet machen wir uns damit selbst ein Geschenk: Wer die Gelegenheit hat, sollte es also einfach tun und sich‘s so oft wie möglich gönnen.
Übrigens:Auch Haustiere sind hier ein wichtiger Beitrag – wie tröstend, über das weiche Fell eines Hundes streicheln zu können, der sich abends auf dem Sofa an uns kuschelt (Tiertrainer bitte weiterlesen) oder das Schnurren einer Katze wahrnehmen, wenn sie um unsere Beine streicht und sich an uns „reibt“. Zu guter Letzt kann auch helfen, sich selbst achtsam zuzuwenden, indem wir uns etwa nach dem Duschen bewusst mit einem duftenden Körperöl einschmieren und die Haut mit einem Massagehandschuh, bzw. einer Bürste schrubben. Oder uns immer wieder einmal die Füße massieren, dabei auch ordentlich an den Reflexzonen der Fußsohle drücken. Das alles ist zwar kein hundertprozentiger Ersatz für die Streicheleinheiten eines anderen Menschen, doch es ist, wie bereits erwähnt: ein bisserl was. Also mehr als nix.

*Gabriele Kuhn ist seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressortleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin der Lebensart. Seit 2017 Autorin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Und damit's nicht fad wird, schreibt sie seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox - Szenen einer Redaktionsehe" gemeinsam mit ihrem Mann Michael Hufnagl, ebenfalls Journalist. Außerdem: Autorin dreier Bücher.
Für Diabetes Austria wird sie in Zukunft Kolumnen rund ums Thema Liebe, Sex und Diabetes verfassen.