Jung, übergewichtig, zuckerkrank
Patienten mit Typ-2-Diabetes werden nicht nur immer zahlreicher, sondern auch immer jünger. Sogar Jugendliche sind vielfach betroffen. Einzelfälle – oder eine Epidemie?
Krankheiten des Alters beschäftigen die Medizin inzwischen immer stärker. Leiden, die auftreten, wenn der Körper die Folgen von Rauchen, Stress oder Fastfood irgendwann nicht mehr kompensieren kann. Bluthochdruck, Schlaganfälle oder Krebserkrankungen sind klassische Beispiele dafür, aber auch Diabetes mellitus Typ 2. Die Krankheit ist vielen Menschen nach wie vor als »Altersdiabetes« bekannt.
Die Diabetologin Susanna Wiegand von der Charité Berlin beschäftigt sich intensiv mit der Zuckerkrankheit. Sie leitet die Adipositas-Abteilung der Kinderklinik der Charité. Ihre Patienten und Patientinnen sind jung, Kinder und Jugendliche. Eine Kinderärztin, die sich Altersdiabetes widmet: Das klingt im ersten Moment abwegig. Doch auf Kongressen und in Fachjournalen ist das Thema längst angekommen, Wissenschaftler forschen zu »Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – eine Epidemie?« – so der Titel einer Studie von Düsseldorfer und Ulmer Epidemiologen.
Der Begriff Altersdiabetes geht auf die erste WHO-Klassifikation der Krankheit Diabetes mellitus von 1965 zurück: Die Weltgesundheitsorganisation unterschied damals unter anderem in kindlichen und jugendlichen Diabetes auf der einen und Erwachsenen- oder Altersdiabetes auf der anderen Seite. Patienten, die unter Ersterem litten, erkrankten meist im frühen Lebensalter, die Symptome setzten oft schlagartig ein. Der Grund dafür war ihr Immunsystem, das die Zellen der Bauchspeicheldrüse angreift, die das Hormon Insulin produzieren. Ohne dieses Hormon fehlt im Körper das Signal, Zucker aus dem Blut in die Zellen aufzunehmen – mit der Folge, dass sich im Blut hohe Zuckerkonzentrationen ansammeln, die zu einer Reihe von Beschwerden und Folgeschäden führen können.
Davon grenzte die WHO den Erwachsenen- oder Altersdiabetes ab, der häufig stark übergewichtigen Patienten betraf und eher schleichend, meist im fortgeschrittenen Lebensalter einsetzte. Bei diesem Krankheitsbild stellt die Bauchspeicheldrüse zwar eigentlich genug Insulin her, die Zellen des Körpers können es aber nicht mehr richtig verwerten – sie entwickeln eine Insulinresistenz. Faktoren wie Übergewicht, wenig Bewegung oder eine ungesunde Ernährung begünstigen diesen Vorgang.
Das Alter ist kein geeignetes Diagnosekriterium
Soweit die damalige Theorie. Doch in den Jahren danach zeigte sich: Das Alter ist kein geeignetes Diagnosekriterium. Schon 1979 tauchte der Begriff Altersdiabetes in der überarbeiteten WHO-Klassifikation nicht mehr auf, stattdessen wurde der Fokus auf den Entstehungsmechanismus der Erkrankten gelegt und fortan nach Typ-1- und Typ-2-Diabetes unterschieden.
Trotzdem hält sich die Idee des Altersdiabetes hartnäckig. Dabei sind die Zahlen eigentlich eindeutig: War vor 40 Jahren den Daten der WHO zufolge noch etwa jeder 20. Erwachsene weltweit von Diabetes betroffenen, ist es heute schon jeder 12. Gleichzeitig wird der Durchschnittspatient immer jünger. »Heute sind viele zum Zeitpunkt der Diagnose erst Mitte 50«, sagt Norbert Stefan, Professor für klinisch-experimentelle Diabetologie am Universitätsklinikum Tübingen. Zahlreiche Patienten fallen inzwischen sogar ganz aus dem alten Diagnoseschema heraus. Bei ihnen deutet alles auf einen Typ-2-Diabetes hin – starkes Übergewicht, die entscheidenden Antikörper im Blut nicht nachweisbar, langsamer Krankheitsbeginn. Doch sie sind jung, oft gerade einmal aus der Pubertät heraus.