Jeder zweite Schwangerschaftsdiabetes mündet in Typ-2-Diabetes
Daher nimmt Sandra S. an der Präventionsstudie PINGUIN teil. In diesem Forschungsprojekt testet die Forschergruppe Diabetes der TU München, ob der Wirkstoff Vildagliptin einem Schwangerschaftsdiabetes oder Diabetes Typ 2 vorbeugen kann. „Wir gehen davon aus, dass in Deutschland bislang jeder zweite Gestationsdiabetes unentdeckt bleibt“, erklärt Professor Dr. med. Anette-Gabriele Ziegler, Leiterin der Forschergruppe und Vorstandsmitglied der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).
Sandra S. macht jeden zweiten Tag Krafttraining mit dem Powerplate. Ansonsten ist die sportliche Münchnerin meist mit dem Rad unterwegs – am liebsten wäre sie wohl auch zur medizinischen Untersuchung ins Studienzentrum der Forschergruppe Diabetes geradelt. Aber wer sich bewegt, verbraucht Zucker. Radfahren hätte also Sandras Blutzuckerwerte beeinflusst, und heute steht ein oraler Glukosetoleranztest auf dem Programm. Als Teilnehmerin der PINGUIN-Studie (PINGUIN steht für: postpartale Intervention bei Gestationsdiabetikerinnen unter Insulintherapie) kommt Sandra seit dem Ende der Stillzeit halbjährlich ins Studienzentrum, um diesen zweistündigen Zuckerbelastungstest zu absolvieren.
Die Werte sind heute „normal“, also im Referenzbereich. Das war nicht immer so: Während ihrer zweiten Schwangerschaft bekam sie einen Schwangerschaftsdiabetes. Die erste Schwangerschaft war diesbezüglich unauffällig verlaufen. Auch dieses Mal hatte sie keine Heißhungerattacken, nahm auch nicht übermäßig zu, machte während der Schwangerschaft regelmäßig Muskeltraining nach Pilates – und trotzdem waren die Blutzuckerwerte erhöht. Weil sie auch mit einer Ernährungsumstellung nicht in den Griff zu bekommen waren, musste die werdende Mutter schließlich Insulin spritzen – wie jede fünfte Schwangere mit Gestationsdiabetes. „Spritzen, das war für mich ein großer Schreck! Jede Kugel Eis musste ich mir 20 Minuten vorher überlegen, dann noch mal den Blutzucker messen und dann erst essen“, erinnert sie sich. „Zuerst dachte ich, das mit der Ernährungsumstellung kriege ich hin. Ich trinke sowieso keine Säfte, esse auch nicht viel Süßes, aber Pasta essen wir eben gerne. Vieles habe ich gar nicht mehr gegessen, weil ich gedacht habe, das darf ich nicht mehr. Vielleicht habe ich es sogar übertrieben.“
Nach dem Spritzen eine Ruhepause einlegen
Auf Wunsch der Ärzte verzichtete Sandra weitgehend auf Kohlenhydrate, verzehrte mehr Fisch und Gemüse. Doch beim First-Trimester-Screening stellte sich heraus, dass der Fötus unterdurchschnittlich gewachsen war. Sie kam ins Krankenhaus, wo sie von einer Diabetologin betreut und erstmals umfassend aufgeklärt wurde. Dass sie zum Beispiel nach dem Spritzen eine Ruhepause einlegen musste, war ihr vorher nicht klar. „Ich dachte mir: Ich spritze daheim mein Insulin, dann radle ich 20 Minuten in den Biergarten und esse dann einen Steckerlfisch. So war die Planung“, erzählt sie. „Dann bin ich in den Unterzucker geraten und vom Radl gekugelt.“
Dank ihrer Schulung im Krankenhaus hatte sie ihren Gestationsdiabetes in den verbliebenen Schwangerschaftsmonaten im Griff. Während der Entbindung wurde der Blutzuckerspiegel in regelmäßigen Abständen überprüft, um eine Unterzuckerung beim Neugeborenen zu vermeiden. Sandra brachte schließlich eine gesunde Tochter mit einem Geburtsgewicht von 2.600 Gramm zur Welt. Noch im Kreißsaal wurde der Blutzucker auch bei dem Säugling gemessen. Bei Mutter und Tochter waren die Werte nach der Geburt unauffällig. Trotzdem entschied Sandra, sich für die PINGUIN-Studie zur Verfügung zu stellen.
Gestationsdiabetes als Vorstufe von Typ-2-Diabetes
Während ihres stationären Krankenhausaufenthaltes hatte die Patientin erfahren, dass Schwangerschaftsdiabetes eine Vorstufe von Typ-2-Diabetes ist. Fast zwei Drittel aller insulinpflichtigen Gestationsdiabetikerinnen entwickeln innerhalb von drei Jahren nach der Entbindung einen Typ-2-Diabetes. Daran erkrankt innerhalb von zehn Jahren immerhin noch die Hälfte aller Frauen, die einen Gestationsdiabetes hatten, auch wenn sie nicht Insulin spritzen mussten. Dabei handelt es sich um eine chronische Stoffwechselerkrankung, bei der verschiedene Störungen bei der Freisetzung des Hormons Insulin und eine verminderte Insulinempfindlichkeit eine Rolle spielen. Beides führt zu einem Insulinmangel. In manchen Fällen kann der Blutzuckerspiegel durch eine Änderung des Lebensstils oder durch Einnahme von Diabetes-Medikamenten gut eingestellt werden, in anderen muss jedoch Insulin zugeführt werden.
Dieses Wissen bewog Sandra, sich an der PINGUIN-Studie zu beteiligen. „Das gibt mir eine gewisse Sicherheit, weil die Studienärzte einen alle sechs Monate komplett auf den Kopf stellen, zig verschiedene Bluttests machen“, sagt sie. „Wenn irgendwas nicht in Ordnung wäre – die würden das schon sehen. So wie es mit dem Schwangerschaftsdiabetes war, will ich es nicht mehr haben, und wenn es dann auch noch anderen Frauen hilft – umso besser. Neun Monate lang hat mich Diabetes beeinflusst, das ist genug. Aber es ist etwas Schönes dabei herausgekommen!“
Insgesamt drei Jahre lang werden die Studienärzte die zweifache Mutter regelmäßig untersuchen. Sie weiß nicht, ob sie zu der Teilnehmergruppe gehört, die den Wirkstoff Vildagliptin einnimmt, das den Stoffwechsel verbessern soll und schon jahrelang in der Therapie von Typ-2-Diabetes erfolgreich eingesetzt wird. Dieses oral eingenommene Antidiabetikum ist ein DPP-4-Hemmer, der den Abbau des körpereigenen Hormons Glucagon-like-peptide 1 (GLP-1) hemmt und so nahrungsabhängig die körpereigene Insulinausschüttung verstärkt. Im Tierversuch hat sich außerdem gezeigt, dass Vildagliptin langfristig die verminderte Funktion der Insulin produzierenden Betazellen erhält oder sogar wiederherstellt, indem es die Anzahl der funktionierenden Betazellen vermehrt. „Auf diese Weise scheint das Studienmedikament einen vorbeugenden oder sogar anhaltenden Effekt zu haben“, sagt Anette-Gabriele Ziegler. „Von der zeitlich begrenzten Verabreichung erhoffen wir uns, das Risiko der Studienteilnehmerinnen zu senken, an Typ-2-Diabetes oder einem erneuten Schwangerschaftsdiabetes zu erkranken.“ Aus Sicht der DDG wäre dies ein großer Erfolg. „Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse der PINGUIN-Studie“, erklärt Professor Dr. med. Stephan Matthaei, Präsident der DDG. Da es sich um eine Doppelblindstudie handelt, wissen weder die Studienärzte noch die Teilnehmerinnen, ob sie den Wirkstoff oder nur ein Placebo einnehmen.