„Jahrestag“ - Der Tag der Diagnose
In Österreich gibt es ca. 2500-3000 Kinder unter 15 Jahren mit Diabetes mellitus.
Jährlich wird bei etwa 300 Kindern unter 15 Jahren die Diagnose Diabetes Typ 1 gestellt, wobei die Zahl der Neuerkrankungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Der Erkrankungsbeginn liegt meist zwischen dem ersten und 15. Lebensjahr, wobei die Kinder bei Erstmanifestation tendenziell immer jünger werden. Damit sind jedes Jahr auch ca. 600 Mütter und Väter direkt von der Diagnose betroffen, nachdem bei sehr jungen Kindern, die Eltern die Diabetesbehandlung übernehmen, bis die Kinder schrittweise selbst dazu in der Lage sind.
Der Tag der Diagnose
Der Tag an dem die Diagnose Diabetes bei einem Kind gestellt wird, trifft Kinder und Eltern meist völlig unvorbereitet. In der Regel geht beim Kinderarzt aufgrund der Symptombeschreibung der Eltern wie starker Durst, „ständiges Windel wechseln“ oder „auf´s Klo gehen“, Müdigkeit und Gewichtsabnahme des Kindes und der ersten Verdachtsdiagnose alles sehr schnell, und die Überweisung ins Krankenhaus erfolgt sofort und ohne Umwege. Die endgültige Diagnose ist für alle Eltern, deren Kind es betrifft, ein Schock. Ein Tag, der unvergessen bleibt. Am Jahrestag der erstmaligen Diagnose drängen das Erlebte und die damaligen Gefühle der Verzweiflung, Ohnmacht und Hilflosigkeit und die Frage nach dem „Warum mein Kind?“ „Warum gerade unsere Familie?“ meist wieder ins Bewusstsein. Die Diagnose und die ersten Tage im Spital stellen eine extreme Belastungssituation dar: die Fülle an Informationen und Schulungen, wenig bis kein Schlaf, die eigene emotionale Überforderung bei gleichzeitiger Anforderung dem Kind Stütze zu sein und Sicherheit und Zuversicht zu vermitteln. Doch was zu Beginn unmöglich zu meistern scheint, gelingt in kleinen Schritten und im Laufe der Zeit immer besser.
Das erste Jahr mit Diabetes
Das erste Jahr nach der Diagnose ist ähnlich einem „Trauerjahr“. Im Laufe des gesamten Jahreskreislaufes müssen viele Situationen neu organisiert und bewältigt werden, und es wird einem der Unterschied zum Leben ohne Diabetes immer wieder schmerzlich bewusst, ob eine Einladung zu einem Kindergeburtstag, das erste Mal mit Diabetes im Schwimmbad, Wandertag in der Schule, das erste Mal ein Magen-Darm-Virus, Urlaub im Ausland, … Im ersten Jahr ist der Diabetes allgegenwärtig, es ist ein Jahr der ständigen Bewältigung neuer Herausforderungen, der Sammlung von Erfahrungen und Wissen wie auch der emotionalen Höhen und Tiefen zwischen Angst, Verzweiflung und Frustration bis zu beginnender Zuversicht, Freude und Stolz.
Anregungen und Gedanken zum „Jahrestag“ für Eltern eines Kindes mit Diabetes
Der erste Jahrestag ist in der Regel nicht ganz einfach und wie man damit umgehen will, ist eine sehr persönliche und individuelle Frage. Seien Sie an diesem Tag besonders achtsam und fürsorglich mit sich. Überlegen Sie wie Sie dem Tag begegnen wollen, vielleicht wollen Sie ein Ritual einführen oder sich etwas besonders Gutes tun.
Erlauben Sie sich, anzuerkennen, dass der Jahrestag emotional belastend sein kann. Gedanken an den Tag der Diagnose und dabei aufkommende Trauer, Wut oder Ärger sind normal und in Ordnung. Die Verarbeitung der Diagnose und das Annehmen und Akzeptieren einer chronischen Erkrankung ist ein (lebens-) langer Prozess, der immer wieder eine Auseinandersetzung erfordert. Vielmehr stellt sich die Frage, wie Sie in der Folge mit diesen Gefühlen umgehen, ob Sie es zulassen, dass belastende Emotionen sie lähmen und handlungsunfähig machen oder ob es gelingt den Blick auch wieder nach vorne zu richten und wieder mit mehr Gelassenheit in die Zukunft schauen, denn diese Entscheidung und dieses Gelingen wird das weitere Leben ihres Kindes beeinflussen.
Versuchen Sie ihren Blick auch auf die positiven Erfahrungen und bereichernden Begegnungen, die Anteilnahme und Unterstützung, die Sie vielleicht aus dem Freundeskreis, der Familie, Kindergarten oder Schule erlebt haben, zu richten.
Seien Sie stolz auf sich, die Kompetenzen, die Sie erworben haben, das Wissen, das Sie sich angeeignet haben, die unvorhersehbaren Probleme, die sie gelöst haben. Wenn Sie zu Beginn dachten, das alles nicht zu schaffen, können Sie sehen, wie viel sicherer und routinierter Sie im Diabetesmanagement und bei der Unterstützung ihres Kindes geworden sind und auch ihre persönliche Entwicklung und ihr „Wachsen an der Herausforderung“, die diese „unfreiwillige Selbsterfahrung“ mit sich gebracht hat.
Ist der Jahrestag noch sehr schmerzlich, überwiegen und halten die belastenden und negativen Gefühle an, kann ein Austausch mit ebenfalls betroffenen Eltern oder ein Gespräch mit einer erfahrenen Psychologin oder einem Psychologen entlastend und hilfreich sein.
Seien Sie stolz auf ihr Kind, wie es - neben allen Schwierigkeiten, die es immer auch mit dem Diabetes gibt - mit den erforderlichen Veränderungen umgeht und was es leistet. Freuen Sie sich, dass es ihm Dank der Behandlung wieder gut geht. Wenn der Diabetes auch nicht mehr gut wird, so wird das Leben mit dem Diabetes wieder gut!
Mag. Dora Beer
Klinische und Gesundheitspsychologin,
Verkehrspsychologin und Nachschulungsleiterin §7 FSG-NV
Psychologische Praxis
Hietzinger Hauptstraße 52
1130 Wien
mobil: 0676 5583259
e-mail: dora.beer(at)praxis-beer.at
www.praxis-beer.at