Interdisziplinäres Expertentreffen zum Diabetischen Fuß in Berlin
Amputationen verhindern – Lebensqualität fördern
Berlin – Menschen mit Diabetes mellitus haben ein 30-fach höheres Risiko für Amputationen. Kommt es zu einem Verlust großer Gliedmaßen, liegt die Fünf-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit der Betroffenen bei nur etwa 50 Prozent – vergleichbar mit einigen bösartigen Tumorerkrankungen. Umso wichtiger ist es, Amputationen bei einem so genannten Diabetischen Fußsyndrom (DFS) zu vermeiden, die Mobilität der Betroffenen zu erhalten und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Am 13. und 14. März 2020 diskutieren auf der 28. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft „Diabetischer Fuß“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Berlin verschiedene medizinische Berufsgruppen, wie bewährte interdisziplinäre Versorgungsstrukturen flächendeckend etabliert werden können.
Das DFS ist eine häufige Folgeerkrankung des Diabetes mellitus. Die Ursachen sind meist Schädigungen der Nerven, die zum Verlust des Warnsignals Schmerz führen. Es entstehen Weichteil- aber auch Knochenschädigungen, die der Patient selbst aufgrund des fehlenden Schmerzempfindens nicht wahrnimmt. Wenn dann noch zusätzlich Durchblutungsstörungen der Beine vorliegen, ist die Prognose besonders ernst. „Viele kommen zu spät zum Arzt. Häufig drohen dann Amputationen, die bei rechtzeitiger Behandlung vermeidbar wären“, mahnt Dr. med. Sybille Wunderlich, Vorstandmitglied der AG „Diabetischer Fuß“. „Eine amputationsvermeidende Behandlung ist aufwändig, kompliziert und erfordert eine fachübergreifende Zusammenarbeit. Noch komplexer wird es, wenn weitere Folgeerkrankungen hinzukommen“, gibt die Diabetologin zu Bedenken. Denn bei etwa der Hälfte aller Patienten mit Diabetes und einem DFS liegt zusätzlich eine koronare Herzerkrankung und eine diabetische Nierenerkrankung vor.
„Im Fokus der Veranstaltung steht daher die Interdisziplinarität und kooperative Zusammenarbeit auf Augenhöhe – sowohl der verschiedenen Fachdisziplinen als auch der verschiedenen Berufsgruppen“, betont Wunderlich. Als Chefärztin an der Klinik für Innere Medizin an den DRK Kliniken Berlin Mitte richtet sie die diesjährige Jahrestagung der AG in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin aus. Sie rechnet mit etwa 270 Teilnehmern aus ganz Deutschland, darunter Ärztinnen und Ärzte verschiedener Disziplinen, Diabetesberaterinnen, Podologen, Wundexperten und Orthopädieschuhmachern und -technikern. Die Spezialistinnen und Spezialisten können in einem besonderen Vortragsformat aus ihrer jeweiligen Perspektive heraus ein Schwerpunktthema darstellen und gemeinsam diskutieren. Dies soll die alltägliche interdisziplinäre Arbeit widerspiegeln – eine wesentliche Voraussetzung für den Behandlungserfolg.
Bereits seit 30 Jahren setzen sich die nunmehr 800 Mitglieder der AG „Diabetischer Fuß“ dafür ein, den Verlust von Gliedmaßen beim DFS zu verhindern. Hierfür entwickelten sie Standards in Prävention, Diagnostik und Therapie und etablierten ein Zertifizierungsverfahren für ambulante und stationäre Einrichtungen. „Derzeit arbeiten wir an der flächendeckenden Etablierung eines Zweitmeinungsverfahrens vor Amputationen großer Gliedmaßen – auch per Telemedizin in ländlichen Regionen. Besteht keine akute lebensbedrohliche Situation, ist es sinnvoll, eine externe Zweitmeinung vor diesen sogenannten Majoramputationen durch einen weiteren Arzt einzuholen. Dieser sollte über alle aktuellen Möglichkeiten der Durchblutungsverbesserung sowie über fußerhaltende operative Ansätze verfügen“, führt AG-Vorsitzender Professor Dr. med. Ralf Lobmann aus. „Denn moderne, in der Fläche häufig noch unbekannte, chirurgische revaskularisierende Verfahren können die Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten verbessern. Auch amputationsbedingte Komplikationen und Folgeerkrankungen können so verhindert werden." Darüber hinaus fordert Lobmann, dass eine Amputation nur dann vergütet werden sollte, wenn diese externe Zweitmeinung vorliegt.
Untersuchungen zeigen, dass eine gut vernetzte stationäre und ambulante Versorgung dieser hochkritischen Patienten die Zahl der Majoramputationen um fast die Hälfte senken kann1,2. „Solche Ergebnisse sprechen für sich. Umso wichtiger ist es, ambulante Einrichtungen endlich flächendeckend zu finanzieren, was bisher nicht gegeben ist“, fordert Lobmann, Ärztlicher Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie am Klinikum Stuttgart.
Die Jahrestagung bietet daher auch Raum für einen gesundheitspolitischen Dialog zwischen ambulanten und stationären Leistungsanbietern, mit den Krankenversicherungen als Kostenträger und mit der Politik. „In einer Podiumsdiskussion legen wir den Finger in die Wunden der Versorgungsrealität von Menschen mit DFS und diskutieren mögliche Lösungen“, so Wunderlich. Im Fokus stehe vor allem die Schnittstellenproblematik zwischen ambulanter und stationärer Versorgung und der frühzeitige Zugang der Patienten zu einer fachärztlichen Behandlung, um Amputationen und Rezidivläsionen zu vermeiden. „Wir benötigen für die dauerhafte Betreuung der Menschen mit DFS spezialisierte und verlässliche Versorgungsstrukturen, denn das Risiko bleibt ein Leben lang bestehen.“
Zur Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der DDG e.V.
Die Arbeitsgemeinschaft "Diabetischer Fuß in der DDG" zählt gegenwärtig 800 Mitglieder: Ärzte (Diabetologen, Allgemeinmediziner, Internisten, Chirurgen, Orthopäden, Gefäßchirurgen, Dermatologen), Podologinnen, Orthopädieschuhmacher/ -techniker, Diabetesberaterinnen, Diabetesassistentinnen und Pflegepersonal. Aufgabe und Ziel der AG ist die Verbesserung des Verständnisses, der Behandlung und der Versorgungsstrukturen für Menschen mit Diabetes mellitus und der diabetischen Fußerkrankung in Deutschland. Seit 2003 zertifiziert sie ambulante und stationäre Einrichtungen. Die Zertifizierung ist bundesweit etabliert und anerkannt. Aktuell sind überregional und bundeseinheitlich 233 ambulante und 80 stationäre Fußbehandlungseinrichtungen zertifiziert.
Weitere Informationen hier: https://ag-fuss-ddg.de/