Hitze – Wenn der Körper kapituliert
Wenn es dem Afrikanischen Borstenhörnchen zu heiß wird, klappt es seinen buschigen Schwanz wie einen Sonnenschirm über den Körper. Silberameisen produzieren Hitzeschutzproteine, ehe sie aus ihrem Nest in den heißen Wüstensand rennen. Katzen besitzen ein sogenanntes Wundernetz, dessen Gefäße erhitztes Blut kühlen, bevor es im Hirn Schaden anrichten kann.
Wir Menschen haben das alles nicht – wie also schützen wir uns vor Extremtemperaturen?
In Zeiten, in denen auch gemäßigte Breitengrade regelmäßig von Hitzewellen heimgesucht werden, entscheidet diese Frage nicht nur über unser Wohlbefinden, über unsere Produktivität oder die Qualität unseres Schlafs, sondern auch über Leben und Tod. Übertrieben? Leider nein.
Laut der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) sind etwa in den Jahren 2013, 2015 und 2017 in Österreich mehr Menschen durch Hitze als im Straßenverkehr gestorben.
Wie gefährlich Hitzewellen sein können, erfuhr Europa bereits im Sommer 2003. Wochenlang strahlte das Hoch „Michaela“ auf die Mitte und den Süden des Kontinents, ließ die Temperaturen von bis zu fünf Grad Celsius über dem langjährigen Durchschnitt Flüsse austrocknen und Ernten verdorren.
Millionen Menschen in Europa erlebten ein Extremszenario, das infolge des Klimawandels sehr bald normal sein wird. Statt klassischer Sommertage mit über 25 Grad gibt es schon heute mehr Hitzetage, bei denen die Temperatur mehr als 30 Grad erreichen. Häufiger werden auch Tropennächte, in den die Temperatur nicht unter 20 Grad fällt.
Vor allem Städte wärmen sich auf. In Paris pendelte sich 2003 die Temperatur im August um 40 Grad ein. Ein medizinischer Notstand war die Folge. Menschen brachen auf offener Straße zusammen. In den Krankenhäusern ging es zu „wie in einem Kriegslazarett“, berichtete ein geschockter Notfallarzt der Zeitung „Le Parisien“: „Überall auf den Fluren liegen Patienten herum, wir untersuchen sie auf allen vieren.“ Wenig später waren die Leichenhallen so voll, dass Hunderte Verstorbene in Kühllagern von Großmärkten untergebracht werden mussten.
Die Hitze raffte nicht nur die schwachen Alten dahin, tatsächlich erlagen die meisten Opfer den Folgen von Überhitzung sowie Dehydrierung. Kurz gesagt machen Hitzewellen Gesunde groggy und Kranke kränker – ganz besonders in Großstädten. Wo weder Wind noch Vegetation für Abkühlung sorgen, wird die Wärme des Tages wie in einem Backofen gespeichert. Statt 28 Grad herrschen dann in Städten 38 Grad Celsius.
Mit der Hitze steigt auch die Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid, Ozon und Feinstaub. Diese Doppelbelastung bringt viele Städter an ihre körperlichen Grenzen. Warum? Der Mensch funktioniert nur bei einer Körpertemperatur zwischen 36 und 17,5 Grad Celsius optimal. Schon ab 38,2 Grad Körpertemperatur sind wir körperlich, geistig und motorisch nicht mehr fit. Spätestens bei 43 Grad verlieren die Proteine in unserem Körper Form und Funktion. Bei Hitze sind unsere physiologischen Steuerungssysteme daher permanent damit beschäftigt, die Normaltemperatur zu halten.
Schwitzen ist dabei nur der finale Clou. Das Entscheidende passiert im Kopf, nämlich im Hypothalamus. Diese Hirnregion bildet die Schaltstelle zwischen Nervensystem und Hormonhaushalt. Wie die Zentralsteuerung einer Heizung fragt sie permanent Sensoren im Körperinneren und an der Haut ab und vergleicht Soll- und Istwert. Wird der Körper zu warm, entsendet der Hypothalamus Botenstoffe, die die Hautgefäße erweitern. Das Herz pumpt das Blut von den inneren Organen in Richtung Körperhülle, wo die Temperatur niedriger ist. Über Hals und Kopf geben wir ein Drittel unserer Wärmemenge ab. Auch die Hände spielen eine wichtige Rolle. Den Effekt kennen wir alle: Das Gesicht rötet sich, die Adern schwellen an, die Hände werden dick.
Wenn das nicht ausreicht, aktiviert der Hypothalamus die Hautporen. Sie öffnen sich und sondern Flüssigkeit ab: Schweiß. Der verdunstet und kühlt so die Haut samt den nahen Blutgefäßen ab. Bei trockenheißer Luft funktioniert das deutlich besser als bei tropischer Schwüle. Ist die Luftfeuchtigkeit zu hoch, tropft der Schweiß nur herunter, ohne zu kühlen. Außerdem braucht der Körper genügend Flüssigkeitsreserven. Funktioniert das Schwitzen nicht, etwa weil man zu wenig getrunken hat, heizt er weiter auf. Und baut ab. Wie stark, hängt von individuellen Faktoren ab: vor allem vom Alter, aber auch von der allgemeinen Fitness, möglichen Vorerkrankungen und der Herkunft – Sizilianer beispielsweise vertragen hohe Temperaturen gemeinhin besser als Finnen.
Erwachsenen wir geraten, bei Hitze pro Tag zwei bis drei Liter Flüssigkeit zu trinken, um Hitzekrämpfe oder gar einer Hitzeerschöpfung vorzubeugen. Der Begriff „Sonnenstich“ verharmlost, dass in diesem Stadium das zentrale Nervensystem bis in die Hirnhäute gereizt oder sogar entzündet ist. Kaum vermeiden lässt sich indes, dass an heißen Tagen unsere Produktivität rapide abfällt. Schließlich kann Blut, das durch die Körperhülle rauscht, um uns abzukühlen, nicht gleichzeitig die Muskeln und den Denkapparat in Schwung halten.
Vorerkrankte und Senioren sind am verwundbarsten
Bei Diabetikern etwa kann Hitze die Symptome der Begleit- und Folgeerkrankungen verschlimmern, Patienten mit Herzschwäche sind besonders schnell erschöpft. Selbst topfitte Senioren müssen vorsichtig sein. Denn im Alter funktioniert die gesamte Thermoregulierung nicht mehr richtig, inklusive Schwitzen. Die Nieren sind nicht mehr in der Lage, den Harn ausreichend zu konzentrieren, und scheiden Flüssigkeit aus, die der Körper dringend zur Kühlung bräuchte.
Hinzu kommt, dass viele Medikamente bei hohen Temperaturen angepasst werden müssten, Insulin kann schneller wirken, als sonst. Blutdrucksenker wiederum so stark, dass einem ganz schummrig wird. Bestimmte Psychopharmaka sowie Schilddrüsenhormone beeinträchtigen die Thermoregulation je nach Wirkstoff auf unterschiedliche Art und Weise, Beipackzettel weisen darauf nicht hin, Hausärztinnen und -ärzte haben das Problem bislang kaum auf dem Schirm.
Grünfläche ist Kühlfläche
Vor allem Laubbäume arbeiten wie natürliche Klimaanlagen. Ihre Kronen spenden Schatten, ihre Blätter kühlen die Umgebung. Dahinter steckt derselbe Prozess, der uns Menschen schwitzen lässt: In den Blättern öffnen sich winzige Spalten, aus denen Wasser verdunstet. Eine 150-jährige Buche kommt täglich auf eine ähnliche Kühlleistung wie zehn Haushaltsklimageräte. Begrünte Dächer können die Wohnungen darunter um bis zu vier Grad abkühlen, mit Efeu oder Wein bepflanzte Fassaden haben für Innenhöfe einen fast doppelt so starken Effekt.
Es wird Zeit, dass die Hitzevorsorge im Sommer ebenso in den Fokus rückt, wie die Kälteisolierung zur Energieeinsparung im Winter. Viele europäische Großstädte haben bereits reagiert. In Wien sind bei Neubauten über 7,5 Meter Höhe seit 2020 Fassadenbegrünungen Pflicht. Paris will bis zum Jahr 2027 rund 170 000 Stadtbäume pflanzen lassen, für jedes bis dahin erwartete Neugeborene einen. Um diese Kinder – und alle anderen Menschen – langfristig vor den Gefahren der Hitze zu bewahren, hilft indes nur eines: eine sofortige und effektive Klimaschutzpolitik.
FAKTEN - Hitze und Flüssigkeitsmangel führen zu zunehmend ernsten Symptomen
- Der Hitzekrampf tritt in der Regel nachts auf, nach zwei, drei Tagen starker Hitze, und ist ein klares Zeichen für Flüssigkeits- und Elektrolytmangel. Dann sollte man unbedingt trinken, am besten Wasser mit vielen Mineralien.
- Beim aktuellen Hitzekollaps macht der Kreislauf schlapp. Das Herz schafft es nicht mehr, das Blut mit der nötigen Kraft durch die äußeren Gefäße zu pumpen, wo es Wärme abgibt. Die Folge sind oft Schwindel und Übelkeit. Gerade Kinder müssen nun sofort abgekühlt werden.
- Die Hitze-Erschöpfung verharmlost der Volksmund gern als „Sonnenstich“. Schwere Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sind klassische Symptome und Folge davon, dass bei zu großer Hitze zu viel Sonne auf den Kopf geschienen hat. Das zentrale Nervensystem ist gereizt oder sogar entzündet. Bis der Körper sich von dieser Erkrankung erholt, können Tage vergehen.
- Beim Hitzschlag ist die Hitze-Erschöpfung so gravierend, dass die Wärmeregulierung des Hypothalamus gestört wird. Die Betroffenen schwitzen oft nicht mehr, ihre Haut ist rot und heiß. Die Körpertemperatur steigt auf über 40 Grad. Gelingt es nicht, sie schnellstens zu senken, bricht der Kreislauf zusammen, und lebenswichtige Organe versagen. Jeder Zehnte überlebt den Hitzschlag nicht.