Skip to main content

Glukose-Tracker: Wie eine Milliarden-Industrie neue Zielgruppen erschließt

Schritte zählen war gestern – jetzt geht es an den Blutzucker

Ein neuer Trend erobert die Wellness-Community: Den Blutzucker zu tracken und „zu balancen“ scheint der neue Goldstandard für die eigene Gesundheit zu sein. Es geht dabei um einen Milliarden-Markt, um große Marketing-Versprechen und um reichlich mediale Aufmerksamkeit. OMR erklärt, wie der Hype entstanden ist und wer daran verdient.

2,5 Millionen Follower für Blutzucker-Tipps

„Je öfter der Blutzucker in die Höhe schnellt, desto früher stirbt man“. Mit diesem Satz schockte die Biochemikerin Jessie Inchauspé kürzlich im reichweitenstarken Interview-Podcast „Diary of a CEO“. Ihren bürgerlichen Namen werden die wenigsten kennen, denn sie ist vor allem unter ihrem Internet-Pseudonym „Glucose Goddess” bekannt. Mit dieser Marke erreicht sie im Internet ein enormes Publikum: Über 2,5 Millionen Follower zählt sie auf Instagram, ihre Website wurde laut Similarweb allein im Juni knapp 200 Tausend Mal aufgerufen. Dort drehen sich ihre Inhalte um ein scheinbar triviales Thema: Das Managen des eigenen Blutzucker-Levels. Bereits zwei Bücher hat sie darüber geschrieben – beide internationale Bestseller und in über 40 Sprachen erhältlich. Daneben ist sie gern gesehener Gast in zahlreichen Podcasts, Fernsehshows und ziert die Titelseiten internationaler Magazine.

Die junge Französin, die ihre Karriere einst beim Genanalyse-Biotech 23andme begann, ist auf einer Mission: Die ganze Welt soll erfahren, wie wichtig ein ausgeglichener Blutzucker ist – auch für Nicht-Diabetiker. Dazu erzeugt sie über ihre Kanäle eine enorme Dringlichkeit: Heißhunger, Müdigkeit, koronare Herzerkrankungen, sogar Depressionen und Alzheimer – das sollen nur einige der Folgen von hohen Blutzucker-Ausschlägen sein, sagt sie. Ein Markenzeichen ihres Contents sind ihre „Blutzucker-Graphen“. Sie skizziert darauf, wie stark bestimmte Lebensmittel den Blutzucker steigen und fallen lassen. So vergleicht sie zum Beispiel den Blutzucker-Effekt von Sauerteig- und Toastbrot (Spoiler: Das Toastbrot schneidet wider Erwarten nicht so gut ab). Diese vereinfachten Schaubilder kommen auf Social Media extrem gut an und werden regelmäßig tausendfach geteilt.

Bislang sind Inchauspés Inhalte werbefrei. Ihre Einnahmequellen scheinen vor allem aus Buchverkäufen und ihrem „Recipe Club“ zu kommen: Für $4,99 schickt sie ihren Abonnenten monatlich zehn Rezepte zu, die den Blutzucker besonders stabil halten sollen – keine „Glukose-Spikes” mehr, wie sie es nennt. Allein diese Vermarktung dürfte für sie sehr lukrativ sein: Sollten sich nur ein Prozent ihrer Follower für das Abo anmelden, würde sie das bereits zur Einkommensmillionärin machen.

Diese Chance wittern auch andere Creator*innen. Auf Tiktok und Instagram gibt es zahlreiche Fitness- und Wellness-Influencer*innen, die mit Blutzucker- und Ernährungstipps große Reichweiten generieren. Die meisten davon haben Werbe-Deals mit Anbietern für Nahrungsergänzungsmittel, Fitnessprodukte und Blutzucker-Sensoren. Das Momentum für das Thema ist riesig.

Kleine Geräte, gigantische Umsätze

Auch Health-Tech-Anbietern dürfte der mediale Hype sehr gelegen kommen. Denn das erhöhte Bewusstsein über den eigenen Blutzucker hat auch die Nachfrage nach einem Produkt gesteigert, das eigentlich aus der Diabetes-Behandlung stammt: Sogenannte „Continuous Glucose Monitors“ (kurz: CGM) sind kleine münzgroße Sensoren, die über einen dünnen Metallfaden den Blutzuckerwert im Gewebe messen. Man trägt sie unter einem Pflaster, wie einen Knopf am Arm, und muss sie alle zehn bis 14 Tage wechseln. Den Blutzuckerwert erhält man dann per Bluetooth rund um die Uhr aufs Handy.

In der Diabetes-Behandlung machen Pharmafirmen mit den Sensoren bereits ein Milliardengeschäft. Die beiden Platzhirsche Abbott und Dexcom machten in 2022 zusammen über sieben Milliarden Dollar Umsatz mit CGMs – in den nächsten Jahren wird sich dieser wohl noch vervielfachen. Zum einen, weil sich die Zahl der globalen Diabetiker*innen bis 2050 mehr als verdoppeln soll. Doch daneben schielen Health-Tech-Firmen schon längst auf eine neue Zielgruppe von Gesundheits-Enthusiasten – und vermarkten die kleinen Sensoren seit neuestem auch an Nicht-Diabetiker*innen.

HIER weiterlesen…