Gibraltar – Stein des Anstoßes
Von Spanien nach Großbritannien sind es 500 Schritte. 80 vom spanischen Grenzposten zum britischen Kollegen. Und weitere 420 Schritte, mit denen man den einzigen Airstrip des Internationalen Flughafens von Gibraltar überquert. Durch den Brexit kam der geschichtsträchtige Felsen an der Südküste Spaniens wieder einmal in die weltweiten Schlagzeilen. Einen Besuch ist er mit und ohne Brexit wert.
Von Peter P. Hopfinger
Die sehr britisch uniformierte Lady, die am Grenzübergang von La Linea kommend, Touristen empfängt, prüft meinen Pass und antwortet kopfschüttelnd in bestem Oxford-Englisch: „Nein, wir wissen es nicht. Wir haben keine Ahnung, wie es nach dem Brexit weitergeht. Aber wir hoffen natürlich auf vernünftige Lösungen.“
Der meist frequentierte Zugang zur City ist vermutlich der knapp 500 Jahre alte Landport-Tunnel, der lange den einzigen Zugang über den Landweg darstellte und der im Lauf der Jahrhunderte auch mehrfach erneuert wurde.
Insgesamt ging es auf der heutigen Steueroase lange um Krieg, Vormachtstellung und Einfluss im Mittelmeer. Denn durch die exponierte Lage und den nur etwa 14 Kilometer langen Seeweg bis zur Küste Afrikas konnten spätestens ab dem vergangenen Jahrhundert die Passage vom Mittelmeer zum Atlantik flächendeckend beschossen werden.
In Gibraltar wohnen knapp 35.000 britische Staatsbürger, rund 15.000 Spanier kommen täglich legal zur Arbeit, weitere 5.000 sind illegal auf dem Felsen werktätig und eine runde Million Touristen kommen alljährlich auf den nur 6,5 Quadratkilometer großen Felsen.
Gründe dafür gibt es reichlich. Einer der kommerziell wichtigsten ist die Tatsache, dass Alkohol und Tabak, aber auch Diamanten und Electronic hier taxfree oder zumindest steuerreduziert angeboten werden, weshalb sich in der Mainstreet ein Laden an den anderen reiht und Massen von Besuchern hier günstig einkaufen wollen.
Auffällig sind natürlich die typisch britischen roten Telefonhäuschen und die ebensolchen Doppeldeckerbusse, die den Eindruck des „very british“ ebenso verstärken, wie die Fish & Chips-Shops, -Buden und –Restaurants, die den traditionellen Imbiss anbieten. Auch englische Bobbies – also Polizisten – patrouillieren mitunter auch gerne mit Sturmgewehr ausgerüstet durch die teilweise jahrhunderte alten Straßen.
Alternativen zum Kaufrausch gibt es auch. Bereits kurz nach dem Grenzübertritt werden geführte Touren auf „den Felsen“ angeboten. Die kosten zwar pro Person 31 britische Pfund, aber dafür wird man bequem im Minibus zu den wesentlichen Sehenswürdigkeiten der Enklave gebracht. Die sind allesamt im oder auf dem Felsen zu finden. Da sind die legendären Rhesusaffen, die den Felsen bevölkern und die – einer Legende nach – garantieren, dass Gibraltar britisch bleibt. Als im 2. Weltkrieg die Affen auszusterben drohten, soll sich Winston Churchill persönlich für einen Import weiterer Tiere eingesetzt haben.
Die Affen sind possierlich bis aggressiv, oft hängt das von den Besuchern ab. Manche glauben, die Tiere necken zu müssen, andere gehen zu sorglos mit Taschen oder mitgebrachtem Essen um. Blitzschnell erkennen die schlauen Primaten, wo es was zu holen gibt, ebenso rasch klauen sie es frech aus Handtaschen oder Mantelsäcken, um dann die Beute genussvoll vor den Augen der handyfilmenden Besucher zu vernaschen.
Ein anderes Highlight ist die größte Höhle des Felsens, in der sich in Millionen Jahren Stalaktiten und Stalagmiten zu oft bizarren Figuren gebildet haben. Heutzutage wird der Hauptraum für Konzerte aller Art genutzt und selbst wenn man keinen Event besucht, erstrahlt die riesige Höhle in bunt beleuchteten, wechselnden bunten Lichtern unterlegt von klassischen Melodien und sphärischen Klängen.
Im 2. Weltkrieg wurde die Bevölkerung evakuiert und britische Soldaten besetzten den strategisch so wichtigen Punkt. Damals war ein Lazarett im Berg eingerichtet und die schon vor mehreren hundert Jahren eingerichteten Kanonen-Schießscharten wurden mit modernen Waffen bestückt. Tatsächlich gab es sogar eine „Operation Felix“, mit der Deutschland Gibraltar erobern wollte. Doch dazu kam es zum Glück nicht mehr.
Kriegerische Auseinandersetzungen, Belagerungen und Eroberungen sind das Hauptthema der Sehenswürdigkeiten. Puppen in historischen Kostümen illustrieren ebenso wie große schwarze Kanonen die geschichtlichen Ereignisse seit dem 16. Jahrhundert.
Rund zwei Stunden dauert die Rundreise und wer geglaubt hat, der Einkaufsmeile auf der Mainstreet zu entkommen, irrt. Denn genau dort endet die Busfahrt. Und dann kann man sich noch immer entscheiden, ob man beim Kaufrausch dabei ist oder sich nur den obligaten Imbiss – Fish and Chips – zu sich nimmt, bevor man diese letzte europäische britische Enklave wieder verlässt.
Was nach dem Brexit passiert, weiß niemand. Aber die Gibraltaer sind optimistisch, dass ihr Stein des Anstoßes auch nach dem März 2019 ein attraktives Ausflugsziel für Spanienurlauber bleibt.
Gibraltar auf einen Blick
- Gibraltar mit der gleichnamigen Hauptstadt ist britisches Überseegebiet, gehört also zum Vereinigten Königreich, liegt aber an der Südspitze der Iberischen Halbinsel.
- Der Grenzverlauf zu Spanien ist stolze 1,2 Kilometer lang.
- 40 Prozent der Fläche von Gibraltar stehen unter Naturschutz – das ist immerhin der gesamte Felsen.
- Gibraltar hat eine eigene Regierung, die die Aufgaben der Selbstverwaltung erfüllt. Sie umfasst alle Bereiche außer Verteidigung, Außenpolitik und innere Sicherheit, die vom Vereinigten Königreich übernommen werden.
- Natürliche Höhlen im Felsen von Gibraltar gelten als die letzten Rückzugsgebiete der Neandertaler in Europa. Gesicherte Spuren weisen auf eine Besiedlung der Gorham-Höhle noch vor etwa 28.000 Jahren hin.
- Der Flughafen Gibraltar ist weltweit der einzige internationale Flughafen, dessen Startbahn von einer vierspurigen Straße gekreuzt wird. Wie bei einem Bahnübergang wird diese Straße für jeden Start und jede Landung gesperrt.
- Apotheken werden nach britischem Standard geführt. Wie allerdings die Medikamenten-Situation bzw. Abrechnung nach dem Brexit funktioniert und ob alle Medikamente in Großbritannien erhältlich sind, kann derzeit niemand sagen. Zum Glück ist es ins EU-Land Spanien nicht weit.
Fotos: © Veronika Kub