Gewusst? Insulin ist nicht gleich Insulin
Insulin ist nicht gleich Insulin – so weit so gut. Doch haben Sie sich jemals gefragt wieso manche Insuline trüb sind und andere nicht? Weshalb manche geschüttelt werden müssen? Warum ihr altes Insulin mehr Unterzuckerungen hervorgerufen hat als ihr neues? Dieser Beitrag soll etwas Licht ins Dunkel bringen.
Von Mag. Christopher Waxenegger*
Historisch relevant
Fast jeder kennt Geschichten aus den Anfangszeiten des Insulins, als dieses noch aus Schweine- und Rinderbauchspeicheldrüsen gewonnen wurde. Das Endprodukt war eine mehr oder weniger verunreinigte, mehrmals täglich mit unhandlichen Spritzen zu injizierende Flüssigkeit. Wirkungsschwankungen standen genauso an der Tagesordnung wie entzündete Hautareale. Nicht gerade etwas was man heutzutage unter „Insulintherapie“ versteht.
Wissenschaftler von damals beschäftigte also unter anderem folgende Frage: Wie gelingt es den Effekt von Insulin zu verlängern? 1936, immerhin 15 Jahre nach Markteinführung des ersten Insulinpräparats, gelang mit Protamin-Zink-Insulin (PZI) schließlich der erste Erfolg. Die Zugabe des aus Fischsperma gewonnen basischen Proteins Protamin verzögerte die Insulinwirkung im Körper auf nahezu 72 Stunden. Allerdings ließ sich diese nur schlecht steuern, weshalb PZI in den 60er Jahren wieder vom Markt verschwanden. Dasselbe Schicksal ereilte übrigens auch Insulin Zink-Suspensionen („Lente Insuline“), Surfen- und Globin-Insuline. Sie alle konnten in der Praxis auf Dauer nicht überzeugen.
NPH-Insulin – der Durchbruch
Der entscheidende Fortschritt gelang mit NPH-(Neutral-Protamin-Hagedorn-)Insulin, dass 1946 eingeführt und bis heute als Standard-Basalinsulin zur Ersteinstellung verwendet wird (z.B. Insulatard®). Im Gegensatz zu PZI wird Protamin hier nicht im Überschuss, sondern in gleicher Menge zugesetzt. Durch Zugabe von Zink, Kresol und Phenol formieren sich die einzelnen Insulinmoleküle dann zu winzig kleinen Kristallen. NPH-Insuline erkennt man leicht an ihrem trüben Bodensatz, der vor der Injektion vorsichtig aufgeschüttelt werden muss. Dies stellt eine gleichmäßige Dosierung sicher. Falls Sie ein solches Insulin verwenden, werden Sie bei genauem Hinsehen feststellen, dass sich in der Insulinampulle bzw. Durchstechflasche mehrere kleine Glas- oder Metallkügelchen befinden. Diese erleichtern das Durchmischen der Suspension.
Normalinsulin
Normal bzw. Humaninsulin, teilweise auch als Altinsulin bezeichnet, ist ein kürzer wirkendes Insulinpräparat das keine Zusätze enthält (z.B. Actrapid®, Insuman®). Seine Struktur ist ident mit der des menschlichen Insulins, die Flüssigkeit klar und durchsichtig. Insofern entfällt die beim NPH-Insulin notwendige Durchmischung. Die Wirkung tritt circa 30 Minuten nach der Injektion ein, das Wirkmaximum ist nach 1–3 Stunden erreicht und die durchschnittliche Wirkdauer liegt bei 5–8 Stunden.
Kurzwirksame Insulinanaloga
Lange Zeit versuchte man lediglich die Insulinwirkung zu verlängern, um dadurch die Anzahl der täglich notwendigen Injektionen zu reduzieren. Spätestens seit Einführung der Basis-Bolus-Therapie hat sich jedoch gezeigt, dass das langsame Anfluten von Normalinsulin nicht der natürlichen Insulinausschüttung entspricht. Postprandiale Blutzuckerspitzen und darauf anschließende Unterzucker-Episoden erschweren eine gute Einstellung und schränken die Patienten in ihren Essgewohnheiten ein. Mit Einführung der kurzwirksamen Insulinanaloga Ende der 1990er Jahre, verkürzte sich der sogenannte Spritz-Ess-Abstand erheblich.
Die schnellere Wirkung wird durch eine Änderung der Aminosäureabfolge im Insulinmolekül erreicht. Während Normalinsulin üblicherweise in Hexamerform vorliegt (sechs Insulinmoleküle vereinigen sich zu einem großen Molekül) sind es bei kurzwirksamen Analoginsulinen lediglich Dimere und Monomere. Zu dieser Gruppe zählen Insulin lispro (Humalog®), Insulin aspart (NovoRapid®) und Insulin glulisin (Apidra®). Ultrakurzwirksame Insuline wirken sogar noch rascher (Fiasp® und Lyumjev®).
Mischinsuline
Mischinsuline vereinen Insuline mit verschiedener Wirkungsdauer, also kurz wirkendes Insulin (entweder Normalinsulin oder Insulinanaloga) und lang wirkendes Insulin (NPH-Insulin). Sie eignen sich primär für Patienten mit starrem Tagesrhythmus, die gleichbleibende Essenszeiten mit kaum variierender Kohlenhydratmenge einhalten. Aufgrund dessen gibt es nicht besonders viele Menschen, die für eine Mischinsulintherapie infrage kommen.
Hinweis: Novo Nordisk hat das Insulinportfolio in den letzten Jahren kontinuierlich erweitert und einige ältere Insuline werden ab Oktober 2022 in Österreich nicht mehr erhältlich sein.
Dies betrifft folgende Mischinsulin-Präparate:
• NovoMix® 70 Penfill® 3 ml
• NovoMix® 70 FlexPen® 3 ml
• NovoMix® 50 Penfill® 3 ml
• Mixtard® 50 Penfill® 3 ml
Langwirksame Insulinanaloga
Obwohl mit den 2-3x täglich zu injizierenden NPH-Insulinen grundsätzlich gute Basalinsuline zur Verfügung stehen, haben diese Insulinpräparate ihre Nachteile. Dies hat zur Entwicklung und Einführung länger wirksamer Analoginsuline geführt: Insulin glargin (Lantus®), Insulin detemir (Levemir®), Insulin glargin U300 (Toujeo®) sowie Insulin degludec (Tresiba®). Diese Insuline müssen nur 1x pro Tag gespritzt werden und senken im Vergleich zu NPH-Insulin signifikant die Rate an leichten und schweren Unterzuckerungen. Sie liegen alle als klare Lösung vor.
Insulin glargin: Das erste langwirksame Insulinanalogon. Die lange Wirkdauer wird durch eine Abänderung der Aminosäureabfolge bewerkstelligt.
Insulin detemir: War ab 2004 das zweite langwirksame Analoginsulin. An dessen Molekül ist eine Fettsäure angebracht, wodurch dieses im Blut an Albumin bindet. Die zeitlich verzögerte Freisetzung aus der Albuminbindung führt zu einem flachen Wirkprofil, dass im Gegensatz zu Insulin glargin ein kleines Wirkmaximum nach 4–14 Stunden aufweist.
Insulin glargin U300: Die dreifach höhere Konzentration bewirkt, dass sich im Unterhautfettgewebe ein Präzipitat bildet, dessen Oberfläche verglichen mit normalen Insulin glargin um die Hälfte kleiner ist. Das Ergebnis ist eine langsame Freigabe mit einem Wirkbeginn nach etwa 4–5 Stunden, einem flachen Plateau ohne Wirkgipfel und einer Gesamtwirkdauer von 36 Stunden.
Insulin degludec: Das erste von Grund auf neue Insulin seit der Markteinführung von Insulin detemir im Jahr 2004. Hier wird eine Fettsäure ans Molekül angehängt und die Aminosäureabfolge geändert. Dies führt dazu, dass Insulin degludec als Dihexamer vorliegt. Nach Injektion ins Unterhautfettgewebe bilden sich aus den Dihexamerstrukturen spontan Multihexamerketten mit zeitlich stark verzögerter Freisetzung der einzelnen Insulinmoleküle. Außerdem werden die resorbierten Partikel über den Fettsäurerest an Albumin gebunden, was die Wirkdauer ebenfalls verlängert. Dieser neuartige Mechanismus erlaubt es das Spritzintervall um ± 8 Stunden zu ändern – für mehr Flexibilität im Alltag und Urlaub.
Ausblick
Zurzeit befindet sich mit Insulin icodec (Hersteller: Novo Nordisk) ein weiteres Basalinsulin in klinischer Phase-3 Prüfung, dass nur noch 1x wöchentlich verabreicht wird. Erste Ergebnisse sind äußerst vielversprechend.
*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.