Feingefühl für Diabetes: Pflegerin tastet sich an den Zucker heran
Eine hochspezialisierte Pflegerin betreut Diabetes-Patienten. Ihre Arbeit wird von der öffentlichen Hand so gut wie nicht honoriert.
Von Uwe Mauch
Sie hat ein gutes Händchen – nicht zuletzt für die Füße der Patientin, die sie konzentriert und feinfühlig abtastet. Die ältere Dame liegt ruhig auf einem Behandlungstisch im großzügig eingerichteten Bewegungsraum der Katastralgemeinde Stillfried an der March.
Natürlich kann Gabriele Schreib auch den Blutzucker der Diabetes-Patientin messen. Nichts leichter als das für die diplomierte Gesundheits- und Krankheitspflegerin, die dank ihrer Zusatzausbildung Diabetiker effizient beraten und betreuen kann. „Doch mit meinen Händen und den Sensorik-Messgeräten will ich heute herausfinden, wie sehr die Patientin Temperatur und Druck in ihren Füßen spürt.“
Die erfahrene Mitarbeiterin in der Gesundheitsversorgung der Ostregion hat bereits dreißig abwechslungsreiche Berufsjahre hinter sich. Sie war OP-Schwester und „in der Anästhesie“ im Wiener AKH, Hauskrankenpflegerin, dann auch bei einem Hausarzt in der Marktgemeinde Angern als dessen Fachkraft angestellt.
„Die Augen geöffnet“
In seiner Ordination konnte sie das wahre Ausmaß einer noch immer unterschätzten Volkskrankheit erahnen: „Dort gab es Stellagen voll mit Medikamenten für Diabetes-Patienten. Das hat mir erst die Augen geöffnet.“
Gut, Zuckerkranke gab es im Krankenhaus auch. „Aber da ist jede Abteilung auf ihr Krankheitsbild fokussiert. Die sind mir nicht so aufgefallen.“
Gabriele Schreib musste in weiterer Folge feststellen, dass es für Diabetes-Patienten in Österreich viel zu wenig Beratung und Betreuung gibt. Nicht in der Vorsorge, nicht im Akutfall. Dazu passt wohl auch, dass sie ihre Zusatzausbildung an der MedUni Graz und jetzt an der Fachhochschule in Linz aus der eigenen Tasche finanziert hat, und dass sie derzeit als Freiberuflerin nicht von ihren Honoraren leben kann.
Ihr Problem teilt sie mit ihren Patienten: „Wir haben zwar eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, aber wer meine Hilfe in Anspruch nehmen möchte, muss das selbst bezahlen.“
Die 66-jährige Dame, die sie heute in Stillfried betreut, zahlt 62 Euro für die rund einstündige Einheit. Vor zehn Jahren hat ihr der Arzt mitgeteilt, dass sie einen zu hohen Blutzuckerspiegel hat.
Intuitiv hat sie bisher viel richtig gemacht: mit einer moderaten Umstellung ihrer Ernährung („nur mehr ab und zu ein Stück Torte“) und deutlich mehr Bewegung („gerne mit dem Fahrrad und mit meinen Enkerln“).
Ihre Betreuerin zeigt sich zufrieden mit ihrem Willen und der Änderung ihres Lebensstils. Die kann sie heute auch an den Füßen ermessen: „Im Augenblick spürt sie alles und hat somit keine Komplikationen zu befürchten.“
Mehr Lebensqualität
Man könnte mithilfe der Diabetesberatung messbare therapeutische Erfolge erzielen, betont Gabriele Schreib am Ende. „Wir arbeiten nach definierten Standards. Damit steigt nicht nur die Lebensqualität der Patienten, es wird auch das Gesundheitssystem entlastet, weil Akkut- und Spätkomplikationen vermieden werden können.“
FAKTEN
Das Thema Diabetes wird in Österreich trotz der dramatisch steigenden Zahlen weiterhin sträflich vernachlässigt, wie die OECD in einem Bericht festhält.
In Österreich ist die Zahl der Diabetespatienten seit 2000 um 130.000 auf 800.000 gestiegen. Österreich hat im Vergleich mit allen europäischen OECD-Ländern die höchste Amputationsrate nach Komplikationen mit Diabetes sowie die dritthöchste Hospitalisierungsrate im OECD-Vergleich.
Diabetes-Patienten unter Druck
Verbandssprecherin kritisiert eklatante Versorgungsengpässe
„Diabetes-Patienten haben nicht nur im Fall einer Corona-Infektion ein höheres Risiko für schwere Krankheitsverläufe“, warnt Barbara Semlitsch, Vorsitzende des Verbands der Österreichischen Diabetesberater (VÖD). „Sie sind auch häufiger von Herzinfarkt, Schlaganfall oder den gefürchteten Fußkomplikationen betroffen. Letzteres kann bis hin zur Amputation führen.“
Umso wichtiger ist es, so Semlitsch, sich optimal beraten und begleiten zu lassen, um die Lebensqualität zu verbessern bzw. durch präventive Maßnahmen Folgeerkrankungen zu vermeiden. Allerdings sei die Versorgung von Diabetes-Patienten in Österreich weiterhin mangelhaft, die Pandemie hat sie sogar noch verschlechtert: „Durch den Personalmangel im medizinischen Bereich bleiben Menschen mit Diabetes auf der Strecke. Es gibt zu wenig niedergelassene Ärzte, die umfassende Betreuung anbieten können.
Um Menschen mit der Diagnose Diabetes in der aktuellen Situation zu unterstützen, bietet der VÖD kostenfreie Beratung und Diabetesbetreuung an.
Nähere Infos unter: https://diabetesberater.at/coronavirus/