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F*CK!!! - Fluchen hilft, sogar gegen Schmerzen

"Scheiße" sagt man nicht? Von wegen. Im richtigen Augenblick ist Fluchen ein Segen. Wohldosiert können Schimpfwörter Schmerzen lindern oder das Durchhaltevermögen steigern.

"Scheiße" sagt man nicht? Von wegen. Im richtigen Augenblick ist Fluchen ein Segen. Wohldosiert können Schimpfwörter Schmerzen lindern oder das Durchhaltevermögen steigern.

Als Richard Stephens seiner Frau im Kreißsaal beistand, war er sehr beeindruckt - nicht nur, weil sein Kind zur Welt kam, sondern auch weil seine Frau vor Schmerzen so heftig fluchte, wie er es noch nie erlebt hatte. Von Wehe zu Wehe legte sie stärker los. "Ihr war das sehr peinlich", erzählt Stephens. "Aber die Hebamme sagte bloß: Wir hören so etwas ständig. Fluchen ist ein ganz normaler Teil des Geburtsvorgangs." Als seine Tochter endlich auf der Welt war, dämmerte Stephens, dass auch ein neues Forschungsthema geboren worden war.

Lange beschäftigten sich eher Anthropologen oder Historiker mit dem Fluchen. Dank ihrer Studien weiß man heute zum Beispiel, dass für die alten Römer "fellator" und "cunnilingus" die heftigsten Beleidigungen waren und es im Mittelalter nichts Schlimmeres gab, als den Namen des Herrn in den Dreck zu ziehen. Aber Richard Stephens ist es zu verdanken, dass sich auch die moderne Medizin für Schimpfwörter interessiert.

Schmerzlinderung durchs Fluchen

Stephens ist Psychologe an der University of Keele in Großbritannien. Nach der eindrucksvollen Erfahrung im Kreißsaal begann er zu erforschen, ob Fluchen Schmerzen lindern kann. Er ließ Testpersonen ihre Hände in eiskaltes Wasser tauchen, was auf Dauer ganz schön weh tun kann. Dabei sollten sie entweder Schimpfwörter vor sich hersagen oder neutrale Wörter. Das Ergebnis: Wenn die Probanden "fuck", "shit" oder "bloody hell" sagen durften, hielten sie es im Schnitt 40 Sekunden länger im Eiswasser aus. Und sie empfanden auch subjektiv weniger Schmerz.

Das liegt aber nicht daran, dass Menschen beim Fluchen Dampf ablassen, wie oft vermutet wird. "Im Gegenteil: Man baut erst so richtig Dampf auf", sagt Stephens. Heftiges Schimpfen rufe eine physische Stressreaktion hervor. Wenn Menschen laut "Fotze", "Arschloch" oder "Wichser" sagen, fangen viele unweigerlich an zu schwitzen. Auch ihr Herz klopft dann schneller. Es ist, als bereite sich der Körper auf einen Kampf oder eine Flucht vor. Und dabei werden neben Adrenalin und Cortisol auch Endorphine ausgeschüttet, die das Schmerzempfinden dämpfen.

Das funktioniert, weil Schimpfwörter eng mit unseren stärksten Emotionen verknüpft sind - es sind besonders machtvolle Wörter. Das lernen wir schon von klein auf: Erwachsene fluchen, wenn sie wütend sind. Und für Kinder sind die bösen Wörter ohnehin verboten - wer flucht, wird ausgeschimpft. Solche frühen Erfahrungen wirken wie eine emotionale Konditionierung, vermuten Psychologen. Dafür spricht, dass Menschen, die als Kinder häufig fürs Fluchen bestraft wurden, später besonders heftig auf Schimpfwörter reagieren. Und dass uns Schimpfwörter in unserer Muttersprache viel stärker berühren als in einer Fremdsprache, die wir später gelernt haben. Für einen türkischen Muttersprachler kann ein "Verpiss dich" niemals ein herzhaftes "Siktir git!" ersetzen.

Wenigflucher profitieren stärker

Stephens wollte wissen, ob Fluchen auch andere Effekte im Körper auslösen kann. Er setzte Versuchspersonen auf einen Hometrainer und ließ sie strampeln. Dann erhöhte er plötzlich den Widerstand, sodass die Probanden richtig in die Pedale treten mussten. Wieder durften sie einmal fluchen, einmal lediglich neutrale Wörter benutzen. Und tatsächlich: Wenn sie schimpften, konnten die Testpersonen länger gegen den Widerstand anstrampeln. Offenbar kann Fluchen nicht nur das Schmerzempfinden mildern, sondern auch die körperliche Leistungsfähigkeit erhöhen "Bei einer Stressreaktion wird auch Adrenalin ausgeschüttet, und das setzt Kräfte frei", erklärt der Psychologe.

Doch bei manchen Probanden wirkten die Schimpfwörter überhaupt nicht. "Wir haben uns überlegt, ob sie vielleicht besonders oft fluchen, und sich der Effekt deshalb abnutzt", sagt Stephens. Er wiederholte das Experiment mit dem Eiswasser. Diesmal fragte er die Teilnehmer auch, wie häufig sie fluchten. Bis zu 60 Schimpfwörter benutzten einige der Testpersonen am Tag, andere fluchten so gut wie gar nicht. Der Psychologe hatte mit seiner Vermutung richtiggelegen: Die Wenigflucher profitierten vom Schimpfen mehr als die Vielflucher; die Zeit, die sie zusätzlich im eiskalten Wasser durchhielten, war länger. Deshalb empfiehlt Stephens vorsichtshalber: "Fluchen Sie nicht, wenn es nicht nötig ist. Aber wenn es nötig ist, kann es helfen."

Dieser Text ist ein bearbeiteter Auszug aus dem Buch "Das Alphabet des Denkens" von Stefanie Schramm und Claudia Wüstenhagen.

Fluchen ist international

Das Fluchen war schon immer Teil der menschlichen Kultur. Sehr frühe Verwünschungen finden sich beispielsweise auf Tausenden von Tonscheiben, die Archäologen am Nil ausgruben: "Möge ein Krokodil Dich fressen", wünschten ägyptische Bürger einander an den Hals oder: "Hagel möge Dein Feld zerstören."

Die alten Römer, namentlich der Philosoph Cicero, waren berühmt für ihre Lästerkultur, in der Bibel wimmelt es von Beschimpfungen wie "Otternbrut". Im deutschen Mittelalter wünschte man sich noch "Pest und Schwefel" an den Hals, verdammte aber den anderen auch immer öfter als "Arschlecker". Da half es auch nichts, dass die sächsischen Herzöge Friedrich Wilhelm I. und Johann III. im Juni 1590 den "Orden wider das Fluchen" stifteten, um per Geldstrafe üble Beschimpfungen in den guten Kreisen zu verhindern. Gut 400 Jahre später versuchten amerikanische Sprachwächter Ähnliches: Im Juni 2004 verabschiedete der US-Senat den "Defence of Decency Act", der TV-Kabelsendern saftige Bußen androhte, sollte sich das Gefluche auf ihren Kanälen nicht legen. Nach der Abstimmung allerdings geriet Vize-Präsident Dick Cheney im selben ehrwürdigen Senatsgebäude mit einem Senator der Gegenseite aneinander – und schleuderte ihm schließlich ein herzhaftes "Go fuck yourself! " entgegen. Nein, Fluchen ist nicht trivial. Es ist allgegenwärtig. Es ist sehr menschlich.

Geflucht wird auf allen Kontinenten – Fluchforscher, die Malediktologen, wollen allerdings festgestellt haben, dass es in nordamerikanischen Indianer- und einigen Südseekulturen vergleichsweise zivil zugeht. Beim Schimpfen und Fluchen gibt es regionale Unterschiede: Während US-Amerikaner oder Engländer meist sexuell fluchen ("Fuck!"), halten es die Österreicher eher mit der Fäkalsprache und brüllen "Scheiße".

Manchmal geraten Flüche auch aus der Mode: Wer heute einem Deutschen "Fahr zur Hölle" wünscht, erntet meist wohl nur ein Achselzucken. Manche Dinge aber bleiben: Im arabischen und südamerikanischen Sprachraum, aber auch in Russland und Asien wird heute noch gern auf die Ehre der Mutter geflucht, "Hurensohn" ist ein Ausdruck davon – was zeigt, dass die Beleidigung der Mutter ein nach wie vor bestehendes Tabu darstellt. Im Persischen gilt "Möge Gott in den Bart deines Vaters furzen". Dort steht also der Patriarch in hohen Ehren – und deshalb kann man ihn auch in einem Fluch benutzen. Clever verhalten sich traditionelle bayerische Flucher: Ihr Fluch "Kruzi fünferl!" ist eine Abwandlung des christlichen "Kruzifix", genauso wie "Zefix!" – so getarnt ziehen Flüche nicht automatisch den Zorn Gottes auf sich. Sehr schön und weltweit anwendbar sind jiddische Flüche: "Mögest du berühmt werden. Man soll eine Krankheit nach dir benennen."

Fluchen ist also keineswegs trivial. Es ist international.