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„Es hilft, mit anderen zu reden“

Thomas Lackner, Sozialarbeiter, Psychotherapeut und Typ-1 Diabetiker

Thomas Lackner ist Sozialarbeiter, Psychotherapeut (in Ausbildung unter Supervision) und Typ-1 Diabetiker. Wie der junge Oberösterreicher seit seiner Diagnose vor acht Jahren sein Leben meistert, was Diabetes so belastend für die Seele macht und wie man es schafft, dem lebenslangen Begleiter „Zucker“ auch Positives abzugewinnen.

Von Elisabeth Schneyder

Manchmal hilft der Beruf, mit eigenen Problemen besser fertig zu werden. Zum Beispiel, wenn man als junger, engagierter Sozialarbeiter plötzlich erfährt, dass man Typ-1 Diabetiker ist. „Ich habe meine Master-Arbeit über Diabetes und damit verbundene psychosoziale Belastungen geschrieben“, schildert der heute 32-jährige Thomas Lackner. Dafür waren natürlich Interviews mit Betroffenen nötig. Gespräche, die vor dem Hintergrund der eigenen Diagnose „auch ein bisschen zu einer Art Selbstaufarbeitungsprozess“ wurden: „Es war sehr hilfreich für mich, andere Menschen mit Diabetes und deren Umgang mit Alltagsproblemen kennenzulernen“.

Jetzt, acht Jahre später und um viele Erfahrungen reicher, arbeitet Thomas Lackner als Psychotherapeut. Noch in Supervision, aber mit Kenntnissen, die sich wiederum für andere bezahlt machen. Denn der gebürtige Oberösterreicher kennt die Herausforderungen, mit denen Diabetiker im Alltag konfrontiert sind, ganz genau: „Manchen Menschen mit Diabetes fällt es schwer, die Krankheit anzunehmen und die Probleme die diese mit sich bringt“.

Kaum verwunderlich also, dass eher zu seelischen Leiden neigt, wer mit Diabetes durchs Leben geht. „Depressionen sind hier zwei bis drei Mal häufiger. Ebenso wie Essstörungen – vor allem bei jungen Mädchen – und Angsterkrankungen“, stellt Lackner fest. Wobei Angst in einem gesunden Ausmaß mitunter auch positive Auswirkungen habe, denn: „Viele würden sonst nicht so gut auf sich achten oder keinen Sport machen, obwohl er in jedem Fall gesundheitliche Vorteile bringt“.

Von diesem kleinen „Plus“ abgesehen, sei das Leben mit Diabetes jedoch allemal belastend: „Man ist ja ständig damit beschäftigt – vom Messen der Werte in der Früh bis zur letzten Kontrolle vor dem Schlafengehen“. Mehrere Dienstjahre in der Abteilung für Kinderpsychiatrie am Wiener AKH haben dem jungen Therapeuten gezeigt, dass Diabetes gerade für Kids in der Pubertät besonders problematisch ist: „In diesem Alter will man ja dazugehören. Man will nicht anders als die Anderen sein. Deshalb wird die Krankheit oft versteckt und verschwiegen. Man will zum Beispiel nicht beim Messen der Werte gesehen werden. Und es kommt zu Verdrängung, die sehr riskant werden kann“.

Was Menschen mit Diabetes allgemein Hilfe bringt, formuliert Thomas Lackner so: „Die Krankheit annehmen und einen liebevollen Umgang mit sich lernen – weil es viel anstrengender wäre, ständig gegen etwas zu kämpfen, das man nicht bekämpfen kann. Das Belastende daran annehmen, aber auch das Positive sehen und für sich selbst herausarbeiten“. So sei es etwa durchaus ein Vorteil, dass Diabetiker mehr Selbstfürsorge üben, gesünder leben müssen als andere oder ein sehr feines Gespür für sich und den eigenen Körper entwickeln.

Allerdings: „Liegt eine diagnostizierte Essstörung vor, ist therapeutische oder psychiatrische Hilfe unbedingt erforderlich“. Dass hohe Zuckerwerte zu Gewichtsabnahme führen, verleite viele junge Frauen dazu, überhöhte Werte geradezu herauszufordern. Ein gefährliches Spiel: „Dann muss man hinterfragen, warum den Betroffenen das Dünn-Sein so wichtig ist und sich bemühen, ihren Selbstwert zu stärken“.

Auch bei Depressionen, die im Zusammenhang mit der Erkrankung gehäuft auftreten, sei therapeutische Hilfe nötig, betont Lackner. Sein Beispiel: „Macht die Erkrankung depressiv, kann es sein, dass sich Betroffene nicht mehr so gut um die Behandlung kümmern können, was wiederum die Werte noch schlechter werden lässt, was wiederum die Stimmungslage negativ beeinflusst. Das ist eine Spirale, die man durchbrechen muss“.

Er selbst sei durch seine Diabetes-Diagnose „erstaunlich neugierig und wissbegierig“ geworden, erinnert sich der junge Psychotherapeut. Die Idee zur Master-Arbeit kam schließlich nicht von ungefähr. Genauso wenig, wie die Gesunden-Untersuchung, die vor acht Jahren mit einem Schlag sein Leben änderte: „Ich hatte die klassischen Symptome wie großen Durst, häufigen Harndrang, Mattigkeit und Gewichtsverlust. Ich bin 1,87 Meter groß und hatte nur noch 65 Kilo“. Vom Arzt direkt ins Kaiser Franz Josef Spital geschickt, habe er in den folgenden 12 Tagen „viel lernen“ müssen: „Wie spritze ich? Wie messe ich? Wie handle ich ab jetzt mein Leben...?“

Ein Stimmungstief ereilte ihn erst rund eineinhalb Jahre später, schildert Lackner. Zum Glück war’s dann auch nur von kurzer Dauer: „Heute stört es mich gar nicht mehr, dass ich Diabetes habe und die Werte ab und zu nicht so sind, wie erträumt, obwohl ich überzeugt war, alles richtig gemacht zu haben“. Die vielen „psychosozialen Feinheiten“ – von „wie sage ich es, wenn ich Menschen neu kennenlerne?“ bis „wie erkläre ich es meinem Arbeitgeber?“ – meistert der seit seinem Studium im Jahr 2007 in Wien lebende Oberösterreicher ohne Schwierigkeiten. Und auch seine Zuckerwerte hat er gut im Griff.

Eine Insulin-Pumpe hat Thomas Lackner zwar bereits probiert, sich allerdings gegen diese Lösung entschieden: „Ich will nichts an mir kleben haben. Die Pens passen für mich gut. Ich hatte noch nie HbA1c-Werte über 6,4. Und einen Pen kann ich – im Gegensatz zur Pumpe – einfach weglegen. Mit Novorapid und dem Langzeit-Insulin Tresiba, das ich in Eigenregie an den Bewegungsumfang anpasse, komme ich gut zurecht“. 

Ein Protokoll führt der begeisterte Musik- und Literatur-Fan nicht, weshalb er sich selbst als „keinen angenehmen Patienten“ bezeichnet: „Natürlich muss man quartalsmäßig zum Diabetologen. Aber so lange warte ich nicht, wenn sich in der Einstellung etwas ändert“. Sein Credo: „Kennt man sich aus, kann man in Eigenregie darauf reagieren“. Dies setze allerdings voraus, dass man vorher „sein eigener bester Arzt“ werde, der die Signale seines Körpers kennt und damit umzugehen weiß. Lackner: „Fällt das jemandem schwer, sollte er seine Therapie lieber nicht ohne ärztlichen Rat modifizieren“. Schließlich sei die Diagnose Diabetes ein ernster, gravierender Einschnitt: „Man muss sein Leben ändern, sogar quasi völlig neu erfinden. Auf einmal ist alles anders“.

In der eigenen Familie ist Thomas Lackner ein „Unikat“: „Niemand sonst ist Diabetiker“. Die vielen Gespräche im Zuge seiner Master-Arbeit haben ihm geholfen, sein Leben so zu gestalten, dass Diabetes keine Hürden baut. Jetzt hilft er selbst, wenn auch nicht vorwiegend Menschen mit Diabetes: In seiner Praxis (www.psychotherapie-lackner.com) und im Kinderschutzzentrum „ die MÖWE“ (www.die-moewe.at) in Mödling betreut er Kinder, Jugendliche und deren Familien, die körperliche oder sexuelle Gewalt erleben mussten. Auch sie ringen mit psychosozialen Problemen. Und dass es hilft, mit jemandem über das zu sprechen, was die Seele quält, weiß Thomas Lackner aus eigener Erfahrung – wenn auch in völlig anderer Sache.