Dr. Helmut Brath - Der bescheidene Arbeiter im Glück
Beim Abbau von Ziegelsteinen ist Dr. Helmut Brath behilflich und fleißig zu Gange – die Last schleppen Diabetiker und Raucher nämlich mit sich herum.
Geboren und aufgewachsen im kleinen Werndorf bei Graz, sieht Dr. Helmut Brath seine erste „kulturelle Heimat“ in der steirischen Hauptstadt beheimatet. Ins Gymnasium pendelte er mit der Bahn 20 Kilometer nach Graz, studierte dort nach der Matura Medizin. Die „zarten Bande“ zogen Helmut Brath schließlich nach Wien, wo er auch das letzte Semester seines Studiums absolvierte, promovierte und blieb.
Ein Turnusplatz für „mich als Nicht-Wiener“ war nicht so einfach zu finden. Doch Helmut Brath will diesen Umstand keinesfalls beklagen. Für den Mediziner ist das Glück im Leben ein essentieller Faktor. Raunzen und Beschwerden sind in seinem Leben eine zu vernachlässigende und überflüssige Größe, er pflegt die Bescheidenheit. „Im Leben ist ohnehin fast alles möglich, deshalb stelle ich Schwierigkeiten nicht in den Vordergrund. Es gilt, das Bestmögliche aus einer Situation zu machen – auch aus negative n Umständen.“ Dem Unmöglichen läuft Brath erst gar nicht nach, sondern geht „dem entgegen, was auf mich zukommt“. Denn schließlich gipfelte sein Bemühen auch in der Chance, seinen Turnus im Krankenhaus Lainz zu absolvieren.
Dem jungen Mann aus Werndorf halfen keine Beziehungen auf den Weg, noch ist er in einem Akademikerhaushalt aufgewachsen. Beide Elternteile waren Arbeiter, die Familie lebte in einfachen Verhältnissen. „Meine Eltern waren sehr fleißige Menschen, sie haben mich massiv unterstützt und ich war emotional gut aufgehoben. Zum Glück leben wir in einem Land, in dem es Möglichkeiten gibt, auch wenn man aus einfachen Verhältnissen stammt.“ Es ist die Geschichte, die gerne von einem Menschen, der es geschafft hat, erzählt wird. Denn diese Lebenswege sind selbst heute noch selten. Laut Statistik gelangen Kinder aus sozial schwächeren Schichten oder gar mit Migrationshintergrund meist nicht auf die Universität. Wer hartnäckig ist wie Helmut Brath, trotzt dem Klischee: „Mit Fleiß und gutem Willen kann es der Mensch auch ohne Beziehungen weit bringen. Ich bin mit Wenig ausgekommen, das hat mir nicht geschadet.“
Nicht mehr als ein paar Zigaretten hat der Steirer in seiner Jugend inhaliert und glücklicherweise mundeten sie ihm nicht. Präventivmedizin beschäftigte den Medizinstudenten früh und so gelangte Brath über wissenschaftliche Arbeiten in die Lungenabteilung von Lainz – mit einem breiten Feld an Präventionsmöglichkeiten. „Die beste Krankheit ist jene, die man erst gar nicht bekommt. Am besten ist es, gesund zu bleiben.“ Überzeugt, den Weg zum Lungenfacharzt einzuschlagen, hielt Glück wieder andere Pläne für Brath bereit.
Noch heute erstaunt ihn, wie dem Thema Raucherentwöhnung vor 15 Jahren keinerlei Wert beigemessen wurde – für seine Anstrengungen im Kampf gegen die Tabaksucht wurde er zu Beginn gar belächelt. „Ich durfte zwar das Programm zur Entwöhnung in der Theorie umsetzen, aber ich bekam keine Patienten.“ Zeitenwandel: „Heute bin ich ein international renommierter Experte auf dem Gebiet der Raucherentwöhnung, doch kein Prophet, der mit seinen Meinungen hausieren geht“. Rund 60 Mal im Jahr wird Dr. Helmut Brath zu Vorträgen in Österreich und im Ausland eingeladen. Spricht vor Ärzten, hilft in der Weiterbildung der Mediziner – ob in der Österreich, Deutschland oder auch der Ukraine. Nicht bloß die Kollegenschaft profitiert von Braths Wissen. „Betroffene Diabetiker hinterfragen oft am besten, sie sind kritisch und konstruktiv.“
Seinen Weg zum Expertentum verdankt Helmut Brath erneut dem Glück. Denn nicht jeder Arzt in Lainz hat den damaligen Jungmediziner in der Raucherentwöhnung gebremst. Prim. Prof. Dr. Karl Irsigler, renommierte Medizinergröße und ehemaliger Leiter der Stoffwechselabteilung im Krankenhaus Lainz, wurde auf den jungen Arzt aufmerksam. „Er hat mich für die Diabetologie abgeworben und für diese Laufbahn begeistert. Ich betrachte Professor Irsigler als meinen Mentor. Er hat früh erkannt, dass Raucherentwöhnung zumindest genauso wichtig ist wie die Zuckereinstellung.“
Das ist keine Werbeunterstützung für das Gesundheitsministerium. „Wir wissen heute, dass der Rauchstopp für Diabetiker essentiell ist. Freilich schließen sich Entwöhnung und Zuckereinstellung nicht aus – beides muss gemacht werden. Diabetes ist deshalb so unfreundlich, weil er fast alle Organe im Körper schädigen kann. Rauchen ebenso. Deswegen erhöht das Rauchen bei Diabetikern die Wahrscheinlichkeit für Spätschäden dramatisch. „Wir wissen aber auch, dass Raucher Typ 2 Diabetes mitverursachen kann – besonders bei Frauen und jüngeren Menschen.“ Brath kennt 20 bis 25-jährigen Raucher und v. a. Raucherinnen, die deswegen eine gestörte Glukosetoleranz, eine Vorstufe von Diabetes haben. „Wenn die jungen Frauen mit dem Rauchen aufhören, dann verschwindet der beginnende Zucker wieder.“ Das sind die Fälle, die dem Mediziner Brath Freude bereiten: „Wenn ich einem Patienten negative gesundheitliche Folgen durch eine gute Therapie mittels Sport, besserer Ernährung oder Medikamenten ersparen kann und damit die Gesundheit erhalte, ist das ein schöner Erfolg“.
Ja, sein Lebensglück hat Helmut Brath auch zur Wiener Gebietskrankenkasse in das Gesundheitszentrum Wien Süd geführt. „Seit ich in die Diabetologie hinein gerutscht bin, war mein Traum, in der ambulanten Therapie zu arbeiten. Ich wollte für ein ambulantes Kompetenz-Zentrum verantwortlich sein, aber nicht für eine stationäre Abteilung. Solche Arbeitsplätze sind in Österreich an einer Hand abzuzählen.“ Eine vakante Stelle als Leiter der Diabetes- und Stoffwechselambulanz im Gesundheitszentrum Süd, eine Bewerbung und das Glück. Just am 31. Jänner 2003 hatte Brath seine Facharztausbildung abgeschlossen, die Leitung der Stoffwechselabteilung übernahm er einen Tag später - am 1. Februar 2003.
Dr. Helmut Brath, der Bescheidene beharrt darauf: „Ich habe sehr viel Lebensglück erfahren.“
Um 5.30h morgens steht der Diabetologe auf, um 6.15h beginnt er sein Tagwerk im Gesundheitszentrum Süd der WGKK am Wienerberg. Regelmäßig werden dort 4000 Patienten betreut. Von international tätigen Firmenchefs über Botschafter und Politiker bis hin zu analphabetischen MigrantInnen – das Alterspotpourri umfasst 16 bis 98-jährige Patienten.
Völlig individuell – wie der Mensch ist - verläuft nicht nur die Therapie eines Diabetes, sondern auch die Raucherentwöhnung. „Das Rauchen ist wie ein Wanderrucksack mit vier Ziegelsteinen – je schwerer die Steine, desto schwerer der Aufstieg.“ Dr. Brath erklärt den steinigen Zugang folgendermaßen: „Ziegelstein eins ist die körperliche Abhängigkeit, da kann mit Medikamenten g ut geholfen werden. Der zweite Stein ist der psychologische Faktor, zum Beispiel kann Rauchen antidepressiv wirken. Ein weiterer Ziegelstein sind soziale Faktoren, z. B. ein Arbeitsplatz, wo es Rauchpausen gibt, aber keine Nichtraucherpausen. Der vierte Stein sind Gewohnheiten und Rituale. Wenn ein Teil des Rituals geändert wird, ist das ganze Ritual zerstört – so kommt es beispielsweise dazu, dass die Kaffeepause nicht mehr so erholsam wirkt, weil das gleichzeitige Rauchen wegfällt“.
In der Therapie erweist Helmut Brath seinen Patienten gegenüber vor allem Respekt, überfahren will er sie nicht. Keinerlei negative Emotionen will Brath in den Menschen aufkommen lassen – keine bedrohlichen Szenarien, keine Verbote, lieber Gespräche, die mit einfachen Beispielen überzeugen.
„Ich bin kein Kämpfer, aber ich bin ein hartnäckiger und fleißiger Mensch. Wenn ich denke, dass etwas wichtig ist, setze ich mich ein und lasse nicht locker. Das gilt auch für die Patienten – ich will die Menschen langfristig gut behandeln, das ist besonders bei chronischen Erkrankungen wichtig.“
Allein eines stört die Hartnäckigkeit und den Fleiß: der Zeitfaktor. „Ich bräuchte einen Tag mit 48 Stunden, das wäre wunderbar.“ Das Phänomen der Zeitdilatation (Zeitdehnung nach der speziellen Relativitätstheorie) kommt der Sehnsucht nahe. „Zu Weihnachten und zum Geburtstag wünsche ich mir stets einen ‚Zeitdilatator’ – bisher leider ein unerfüllbarer Traum.“
Zeit verschlingt nebst der Leitung der Stoffwechselambulanz auch die Wissenschaft, ohne die Helmut Brath nicht sein möchte. Trotz Stundendefizit betreut Brath auch bis zu 15 akademische und Phase-3-Studien. Im Gesundheitszentrum Süd sind viele Studenten und Dissertanten aktiv, dazu kommen praktische Ärzte, die sich anhand der Arbeit des Diabetes- und Raucherentwöhn-Spezialisten weiterbilden.
Mit Dr. Helmut Brath sind neun Menschen im Team der Stoffwechselabteilung: vier Schwestern und ein Pfleger, zwei Ärzte, eine Diätologin. „Alle im Team sind fachlich sehr gut – die Arbeit, die wir leisten, wäre auch sonst gar nicht möglich.“ Denn der Druck ist durch die vielen Patienten massiv. „Unsere Ambulanz ist sehr gut besucht“, schränkt Dr. Brath die Flut der Diabetiker und das Arbeitsaufkommen wieder bescheiden ein. „Die Zahl der Diabeteserkrankungen nimmt pro Jahr um fünf Prozent zu, das ist wirklich schlimm. Ein gesamtgesellschaftliches Problem, das Medizin, Politik, Schule und die Bevölkerung betrifft. Wir müssen Lust auf Bewegung machen, nicht auf das Fernsehen.“
Der Tag mit seinen 48 Stunden ist nicht erfunden, weshalb Helmut Brath auch die Zeit für den Sport fehlt. „Fürs Fernsehen will ich mir sicher keine Minuten stehlen.“ Da die Zeit aber nicht beliebig dehnbar ist und des Geistes rege Tätigkeit allein die körperliche Betätigung nicht ersetzt, greift Dr. Brath zu simpeln und wirksamen Mitteln: legt zumindest zwei bis drei Busstationen zu Fuß zurück, fährt Rad und erklimmt die Stockwerke statt den Lift zu nehmen. „Das rate ich allen, die gehetzt durchs Leben laufen – dafür ist Zeit.“ Waren Unterernährung und dünne Körper in früheren Zeiten ein Zeichen von Armut, so ist das Indiz für sozioökonomische Schwäche heute die Dickleibigkeit. „Leider finden sich die gesund ernährten und sportlich aktiven Menschen eher im gut situierten und intellektuellen Milieu – das muss sich auf andere Schichten ausweiten.“ Aber auch hier lösen Verbote nicht die Defizite. Und auch nicht die Problematik, dem Fernsehen als Ersatzbefriedigung zu huldigen. „Wir leben in einer extrem schnelllebigen Zeit. Wir konzentrieren uns allzu häufig nicht auf unsere wirklichen seelischen und körperlichen Bedürfnisse.“
Das kleine Lebenslexikon:
Meine liebsten Patienten…
…sind die Menschen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen.
Diabetiker und Raucher gewinne ich…
…nicht mit Verboten und der Aussage „Du darfst nicht!“ - das ist der falsche Ansatz. Ich versuche, ihnen Lust auf ein gesünderes und tabakfreies Leben zu machen.
Mein Ausgleich…
…ist ein gutes, nichtmedizinisches Buch in der freien Natur zu lesen. Zuletzt den Roman „Ewig“ (von Gerd Schilddorfer, David G. L. Weiss) auf einer Waldlichtung.
Meine Freizeit verbringe ich…
…in einer Runde von lieben Freunden.
Mein Fehler…
…ist, dass ich mir zu wenig Zeit für mich selbst und meine Liebsten nehme.
Ich verreise…
…in Weltregionen, die nicht zu touristisch sind und von denen nicht allzu viel bekannt ist.
Ich würde gerne…
…noch mehr Sprachen lernen.
Mein Wunsch an die Menschheit…
…ist ein harmonischer und respektvoller Umgang mit der Umwelt, mit Tieren und Pflanzen, um auch nachfolgenden Generationen eine Chance zu geben.
Für die Umwelt…
…verzichte ich komplett auf ein Auto und bin Vegetarier.
Meine größte Stärke…
…ist konsequent an einem Thema dranzubleiben, das mir am Herzen liegt.
Nach meinem Tod…
…sollte die Welt um mich herum durch mein Agieren ein wenig positiver geworden sein. Ich will ein paar positive Emotionen in die Welt gesetzt haben – sei es im privaten Bereich, bei den Patienten oder in der Umwelt.