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Doppelt wirkt besser: GIP/GLP-1-Agonisten kurz vor der Zulassung

Übergewicht und Typ-2-Diabetes beeinflussen sich gegenseitig. Neue Diabetesmedikamente unterstützen deshalb zusätzlich zur Blutzuckereinstellung die Gewichtsabnahme.

Überernährung und mangelhafte körperliche Bewegung: Rechnet man eins und eins zusammen ist es nicht überraschend, dass in den letzten Jahren die Zahl der adipösen Menschen geradezu explodiert ist. Laut WHO könnten bis zum Jahr 2030 mehr als 60% der Weltbevölkerung zu viel wiegen! Zu allem Übel ist Übergewicht ein wesentlicher Risikofaktor für Typ-2-Diabetes (T2D). Die beiden Erkrankungen beeinflussen sich gegenseitig, und leider nicht im positiven Sinn.

Von Mag. Christopher Waxenegger*

Was haben Übergewicht und Diabetes gemeinsam?

Dieser Frage ist durchaus berechtigt. Schließlich könnte man meinen, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Tatsache ist jedoch, dass der Körper sich mit zunehmenden Gewicht schwieriger tut die beim Essen aufgenommenen Kohlenhydrate abzubauen. Erhöhter Blutzucker signalisiert der Bauchspeicheldrüse mehr Insulin auszuschütten. Mehr Insulin bedeutet wiederum einen Anstieg des Körpergewichts. Ein Teufelskreislauf. Da die Kombination aus Diabetes und Adipositas mittlerweile derart häufig ist, hat sich in Fachkreisen der Begriff „Diabesity“ eingebürgert - ein Kunstwort, das den engen Zusammenhang zwischen diesen beiden Entitäten beschreibt.

Viele neue Diabetesmedikamente unterstützen deshalb zusätzlich zur Blutzuckereinstellung die Gewichtsabnahme. Besonders gut gelingt dies mit GLP-1-(Glukagon-like-Peptid-1-) Agonisten wie Liraglutid (Viktoza®) oder Semaglutid (Ozempic®). GLP-1 ist ein körpereigenes Hormon, dass für die Insulinausschüttung nach dem Essen wichtig ist. Außerdem verzögert es die Magenentleerung und reduziert das Hungergefühl. Liraglutid und Co. ahmen die Wirkung von GLP-1 nach, indem sie an dessen Rezeptor andocken. Aufgrund ihres großen Erfolgs wurden inzwischen erste Medikamente zugelassen, die auch bei Menschen ohne Diabetes zur ergänzenden Behandlung von Übergewicht eingesetzt werden (z.B. Saxenda® oder Wegovy®).

Die Reise geht weiter - Polyagonisten

Polyagonisten heißen deshalb so, weil sie an mehreren Rezeptoren im Körper gleichzeitig wirken (poly leitet sich vom griechischen Wort polýs ab, was „viel“ oder „viele“ bedeutet). Konkret aktivieren Polyagonisten neben GLP-1 auch den GIP- (Glukoseabhängiges insulinotropes Peptid) und/oder den Glukagon-Rezeptor. Dies wirkt sich bei übergewichtigen Menschen mit T2D besonders vorteilhaft aus. In bisherigen Studien konnte man folgendes beobachten:

Variante 1: Duale Glukagon- und GLP-1-Agonisten. Senken die Speicherung und fördern die Verbrennung von Fett, indem sie den Energieverbrauch erhöhen.

Variante 2: Duale GIP- und GLP-1-Agonisten. Die blutzucker- und gewichtssenkende Wirkung wird im Gegensatz zu reinen GLP-1-Agonisten verstärkt.

Variante 3: Dreifache Glukagon-, GIP- und GLP-1-Agonisten. Die oben genannten Effekte ergänzen sich gegenseitig, wobei die durch Glukagon-Agonisten ausgelöste, aber unerwünschte, gesteigerte Glukoseproduktion der Leber durch GIP-Agonisten blockiert wird.

Ein einfaches Beispiel soll dies veranschaulichen: Normalerweise kann mit GLP-1-Agonisten in der Diabetestherapie ein Gewichtsverlust von etwa fünf bis zehn Prozent, bezogen auf das Gesamtkörpergewicht, und eine Senkung des Hba1c-Wertes um im Schnitt 1,1-1,6 Prozent erreicht werden. Duale GIP-/GLP-1-Agonisten wie Tirzepatid erreichen hingegen eine dosisabhängige Senkung des Hba1c um mehr als zwei Prozent und einen Gewichtsverlust von rund zehn Kilogramm.

Tirzepatid – Erster dualer GIP/GLP-1-Agonist in den USA zugelassen

Tirzepatid wurde im SURPASS-Studienprogramm ausführlich gegen Placebo und andere Diabetesmedikamente getestet. In den USA ist das Medikament unter dem Namen Mounjaro® schon seit Mitte Mai 2022 zugelassen. Für die Europäische Union hat der Hersteller die Zulassung bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA beantragt.

SURPASS-1 untersuchte unterschiedliche Dosen von Tirzepatid (5mg, 10mg und 15mg) bei Menschen mit T2D. Dabei reduzierte sich der Hba1c dosisindividuell um bis zu 2,11%. Parallel sank das Gewicht der Patienten dosisabhängig um 6,3 bis 8,8 Kilogramm. Insgesamt erreichten 92% der Teilnehmer einen Ziel-Hba1c-Wert von unter 7,0% verglichen mit lediglich 19% unter Placebo.

SURPASS-2 verglich 1x wöchentliches Tirzepatid mit 1x wöchentlichem Semaglutid. Hier zeigte sich nach 40 Wochen Studiendauer eine Hba1c-Senkung um bis zu 2,3% unter Tirzepatid versus 1,86% unter Semaglutid. Auch der erwünschte Gewichtsverlust viel mit Tirzepatid höher aus.

SURPASS-3 konzentrierte sich auf den Vergleich von Tirzepatid mit Insulin degludec bei Menschen mit schlecht eingestelltem Diabetes trotz Metformin mit/ohne SGLT-2-Hemmer. Unter 15mg Tirzepatid betrug die Hba1c-Reduktion nach 52 Wochen 2,37% versus 1,34% in der Insulingruppe. Der Gewichtsverlust in der Tirzepatidgruppe lag zu Studienende bei 12,9 Kilogramm.

SURPASS-4 untersuchte Tirzepatid gegen Insulin glargin. Erneut zeigte sich Tirzepatid mit einer Hba1c-Senkung um 2,58% versus 1,44% der Insulin glargin-Gruppe überlegen. Das besondere an SURPASS-4 war, dass viele Patienten mit bekanntem kardiovaskulären Risiko eingeschlossen wurden. Die Eventraten waren nach einem Zeitraum von 104 Wochen in beiden Gruppen vergleichbar (5% vs. 6%). Tirzepatid dürfte sich demnach kardiovaskulär neutral verhalten – ein wichtiger Aspekt, um überhaupt als Diabetesmedikament zugelassen zu werden.

SURPASS-5 testete schließlich Tirzepatid oder Placebo bei Menschen die bereits Insulin glargin mit/ohne Metformin zur Therapie ihres Diabetes bekamen. 15mg Tirzepatid konnten den Hba1c um weitere 2,59% senken. Der Gewichtsverlust betrug in der Tirzepatidgruppe circa 10,9 Kilogramm verglichen mit 1,7 Kilogramm Gewichtszunahme unter Placebo.

Ausblick

Die Ergebnisse von SURPASS-6 und SURPASS-CVOT werden für Herbst 2022 bzw. Herbst 2024 erwartet. Im SURMOUNT-Programm liegt der Fokus auf dem Einsatz von Tirzepatid bei übergewichtigen Menschen ohne Diabetes. In SURMOUNT-1 erreichte Tirzepatid bereits den vorgegebenen Endpunkt von mindestens 5% Gewichtsverlust. SURMOUNT-2 bis -4 sollen im Laufe des nächsten Jahres abgeschlossen sein.

 

*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.