Disziplin oder einfach nur Glück?
Man könnte ja sagen, ich hab nur Glück gehabt. Vor wenigen Tagen bin ich 65 Jahre alt geworden und im Oktober feiere ich meine 25jährige Liaison mit dem Diabetes.
Das ist Glück? Naja, immerhin hab ich nach zweieinhalb Jahrzehnten keine Spätschäden und das Faktum, das ich 65 geworden bin, obwohl meine Mama schon mit 51 Jahren an Krebs verstorben ist, könnte auch darauf hinweisen.
Ich bin ja keineswegs nur diszipliniert, obwohl das immer als das erfolgreiche Rezept gegen chronische Erkrankungen bestätigt hat. OK, ich bin schlank, betreibe Sport und ernähre mich meistens vernünftig gesund. Aber worum geht es wirklich.
Geht es darum dem Leben noch möglichst viele Jahr zu schenken? Nicht mein Ding. Mir geht es darum, meinem persönlichen Leben noch viele Inhalte, viele Begegnungen, viele Erfahrungen zu schenken. Ich bin und bleibe neugierig, solange ich schnaufen kann. Das bin ich und das macht mich und meine Persönlichkeit aus.
Immerhin: ich habe bereits ein Alter erreicht, in dem ich ziemlich genau weiß, wer und was ich bin.
Wie eingangs erwähnt: im Oktober feiere ich mein Jubiläum mit der Stoffwechselerkrankung, die wie ein ungebetener Untermieter im Herbst 1995 in mein Leben eingezogen ist. Ich habe meinen persönlichen Weg gefunden, mich mit der Diagnose zu arrangieren. Dazu zählt nicht nur der solide, ärztlich angeordnete Umgang mit der Krankheit, sondern in meinem Fall auch mit wesentlich mehr:
Ich bin in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten nicht nur Berichterstatter der Zuckerkrankheit geworden, sondern auch der Botschafter einer guten Nachricht: jedermann kann heute mit den jetzt vorhandenen Therapiemöglichkeiten beschwerdefrei auch mit der Diagnose gut alt werden.
Voraussetzung ist freilich neben einem Mediziner, der sich wirklich gut mit dem Diabetes und seinen Nebenerscheinungen auskennt, auch ein Quentchen gesunder Menschenverstand beim Patienten und die Bereitschaft, auch im fortgeschrittenen Lebensalter noch dazu zu lernen. Es ist ja interessant: beim Autofahren versteht das jeder, beim Diabetes leider nicht. Dazu kommt, dass das Schulungsangebot – nicht erst seit den Zeiten von Corona – in Österreich keineswegs flächendeckend ausgerollt ist. Wer Glück hat, lebt in einer Stadt mit einem Diabeteszentrum oder einer engagierten Arztpraxis. Wer in Storchenbach an der Umleitung lebt, hat deutlich schlechtere Karten, vor allem deshalb weil man zuerst einmal zum Schulungsort hinbewegen muss (und danach wieder retour).
Das wird und muss sich bald ändern: das österreichische Startup-Unternehmen MySugr, das heute zum Roche-Konzern gehört, war eines der ersten, das eine interaktive App für das Management des Diabetes entwickelt hat. Da es gebührenpflichtig ist, funktioniert es freilich hierzulande noch nicht so gut, wie es könnte. In Amerika lassen sich tausende Patienten von MySugr erfolgreich managen, erinnern und mit Tipps versorgen.
Hierzulande werden über kurz oder lang weitere Schulungstools den Weg zu den Patienten finden (müssen!) , wenn sich auch die ÖGK zu der Erkenntnis durchgerungen hat, dass das Investment in die Schulung von Patienten zwar kostet, aber viel höhere Kosten bei vermeidbaren Folgeerkrankungen zu erwarten sind. Immerhin: auch das schon totgesagte Desease-Management-Programm „Therapie Aktiv“ soll jetzt einen Relaunch erfahren und nicht endgültig abgedreht werden.
Wir haben in dieser Ausgabe zwei durchaus bemerkenswerte Beiträge von prominenten Experten. Univ.Prof. Dr. Bernhard Ludvik, Vorstand der Diabetologie im Krankenhaus Rudolfstiftung in Wien kritisiert die mangelhafte Diabetesbetreuung in guten wie in schlechten Zeiten.
Und Österreichs oberster Patientenanwalt Dr. Gerald Bachinger fordert mit Nachdruck das Beibehalten von – wie er es nennt – Kollateralnutzen, der in der Coronakrise entstanden ist, wie etwa die elektronische Rezeptübermittung ohne Arztbesuch.
Ich sehe den kommenden Entwicklung mit Interesse entgegen, freue mich über Kritik und/oder Anregungen, aber auch über Lob und bleibe mit den besten Wünschen für Gemüt und Gesundheit
Herzlichst Ihr
Peter P. Hopfinger
Herausgeber und Chefredakteur