"Dinner in the Dark" with diabetes
Kaum zu glauben, dass es einem Spaß machen kann in eine finstere Zukunft zu schauen. Die meisten Menschen mit Diabetes wissen „Diabetes kann ins Auge gehen, zu Erblindung führen“. Und trotzdem haben sich Magdalena, Renate und ich – drei alteingesessene „Pumpis“ – auf das Experiment „Dinner in the Dark“ eingelassen.
Von Bettina Blanc
Ein Freund von mir hatte sich im Vorfeld absichtlich gegen dieses Vorhaben entschieden, weil die Veranstalter telefonisch auch leuchtende Insulinpumpen als No-Go erklärten. Damit war mein Geburtstagsgeschenk scheinbar verloren - dachte ich. Gleichzeitig wunderte es mich, dass Menschen mit Behinderung anderen Menschen mit Behinderung Erlebnisse nicht ermöglichen wollen.
So war es dann gar nicht!
Mit entsprechender Aufregung fanden wir drei uns vor dem Lokal ein, machten ein paar Selfies, um danach Kleidung, Tasche und Handy zu verstauen und unseren Blutzucker zu vergleichen. Gar nicht schlecht: Renate startete mit 90 mg/dl, Tendenz fallend, mit YpsoPump und Dexcom G6 Sensor im Closed loop-System. Magdalena mit der Medtronic 780G mit dem Guardian 4 Sensor begann mit 150 mg/dl und Orangensaft. Ich selbst startete mit 80 mg/dl, Orangensaft und einem Pumpenauslaufmodell - der Accu-Check-Spirit Pumpe - und dem FreeStyle Libre. Obwohl ich etwas jünger bin als Renate und Magdalena, benutze ich die älteste Pumpe - und ich liebe sie!
„Sekt? Oder lieber Sekt Orange?“ wurden wir gefragt.
Unsere im Vorfeld angekündigte Gegenfrage: „Wie viele Gänge und wie viele Kohlehydrate?“ wurde rasch beantwortet. Insgesamt würden uns 34 Gramm KH erwarten, die wir gleichzeitig mit: „Ahhhh, eh okay - 3 BE!“ freudig kommentierten.
So, nun vier Stunden lang keine sichtbaren Zuckerwerte, keine Überprüfung mit den Augen - ein Wagnis - auch wegen der möglichen Fadesse, die sich entwickeln könnte. Aber da habe ich die beiden Mädels, die Veranstalter UND unser G`spür sehr unterschätzt.
Wir wurden von unserer blinden Kellnerin in die Lichtschleuse geführt, und dann in vollständiger Dunkelheit zu unserem Tisch gebracht. Dort wurde uns das am Tisch befindliche Equipment erklärt: Brotkorb, Wasserflasche und Reinigungs-Schüsserl finden, Besteck und Gläser orten, einschenken, einander etwas reichen, Stimmen zu hören - die der anderen Gäste im Raum zu ignorieren – all das war eigentlich schon eine grandiose Leistung meiner Memorierfähigkeit.
Anschließend kam es zu den vier einzelnen Gängen, mit Anweisungen für die Handhabung. Ovaler Teller mit einer Schüssel darauf. Man soll den Inhalt des oberen Gefäßes in das untere leeren. Bitte die Vorspeisengabel nehmen.
So viel habe ich mit Freundinnen noch nie über Beschaffenheit, die Mühe, das Auspatzen und die Geschmacksrichtung gesprochen und gelacht, wie die ganzen Speisefolge lang.
Erster Gang war ein Salat, den man ja schon sehend kaum „elegant“ essen kann, geschweige denn blind. Vom Rucolasalatmit Tomaten, Mozarella und Pinienkernen fand ich am Ende noch etliche Bestandteile am - hoffentlich sauberen - Tisch, als ich mit den Fingern darüberwischte. Trotzdem landete Vieles vom Salat auch in meinem Mund.
Manchmal beschwerte sich Magdalena darüber, dass sie einige Zutaten in ihrem Essen nicht findet, die wir beschrieben haben. Letztendlich fand sie dann doch alles!
Nach Suppe im Kaffeehäferl und Huhn mit Gemüse und Kartoffel wurde ein Gruß aus der Küche gesandt. Aus einem eiskalten Keramik-Ei löffelten wir alle ein Zitronensorbet mit Knisterbrause drauf. Ich sag euch, es fühlte sich nicht nur auf der Zunge und im Gaumen lustig an! Die Geräuschkulisse im etwa 80m2 großen Raum mit 27 Gästen war ein kleines akustisches Feuerwerk. Sooooo spannend!
Vor der Nachspeise bekamen wir noch Knetmasse, mit der wir etwas modellieren konnten. Außerdem wurden Zeichnungen gefertigt und Briefe geschrieben, denn es gab auch noch Papier und Stifte dafür. Der Fisch, die Figur ohne Arme und Beine sowie eine nackte Römerin war unser Beitrag vor der Mousse au chocolat.
Um 22.00 Uhr war dann alles vorbei!
Wie war das mit dem „Zucker“? Als eine von uns mit dem Display Licht verstreute, gab es sofort laute Beschwerden der anderen Gäste! Unsere ebenso laute: “Das ist eine Insulinpumpe!“-Antwort ließ den Tumult sofort wieder enden.
Die Blutzuckerwerte im Anschluss waren fast ident, obwohl jede von uns nach ihrem Wissen und ihrer Ess-Laune gehandelt hatte. Rund 280mg/dl machte es aus und einige Gäste interessierten sich auch fröhliche dafür.
Wir drei Mädels waren hochzufrieden, justierten nach und freuten uns sehr über dieses gelungene Event!
Blind essen ist jedenfalls halb so wild!!!!
Eure Bettina Blanc
Fotos: zVg