Die Pille bei Typ-1-Diabetes, geht das?
Von Mag. Christopher Waxenegger*
Unregelmäßigkeiten im Blutzuckerverlauf durch Typ-1-Diabetes bedingen, dass Menschen mit dieser Stoffwechselerkrankung ein etwa zwei bis viermal so hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall haben. Ebenso bekannt ist, dass hormonelle Verhütungsmittel die Wahrscheinlichkeit von Thrombosen steigern, selbst bei stoffwechselgesunden Menschen. Es stellt sich also die Frage, ob Pille und Co. bei Frauen mit Typ-1-Diabetes sicher angewendet werden können.
Gefäßschäden sind beeinflussbar
Typ-1-Diabetes (T1D) wird durch einen absoluten Insulinmangel in der Bauchspeicheldrüse verursacht, weil die dort ansässigen insulinproduzierenden Betazellen vom körpereigenen Immunsystem angegriffen und zerstört werden. Die Folge sind dauerhaft hohe Blutzuckerwerte, die zum jetzigen Zeitpunkt eine lebenslange Insulinzufuhr erfordern. Wird der Zuckergehalt im Blut nicht ausreichend kontrolliert, binden die Zuckermoleküle an diverse Proteinstrukturen (u.a. Hämoglobin a1c = Hba1c) und stören deren natürliche Funktion. Da Insulin nicht nur für den Kohlenhydrat-, sondern auch für den Eiweiß- und Fettstoffwechsel essentiell ist, werden diese Stoffwechselvorgänge ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Das Ausmaß der Gefäßschäden hängt dabei wesentlich von der Einstellung des Diabetes ab und ist umso geringer, je niedriger der Hba1c-Wert ist. Time-in-Range (>70%) und Glukosevariabilität (<36%) haben seit geraumer Zeit ergänzend im Rahmen der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) an Bedeutung gewonnen und können jederzeit vom Patienten selbst ausgewertet werden.
Hormonelle Verhütung
Der große Vorteil der hormonellen Verhütung mittels Pille, Pflaster, Vaginalring, Injektion, subkutanen Implantat oder hormonhaltiger Spirale ist deren Einfachheit und Sicherheit in der Anwendung. Werden die Empfehlungen zur Anwendung befolgt, liegt der PEARL-Index zwischen 0,1 und 1,4. Das bedeutet, dass von 100 Frauen, die ein Jahr lang mit der jeweiligen Methode verhüten, 0,1-1,4 dennoch schwanger werden. Frauen mit T1D müssen allerdings neben dem PEARL-Index zusätzlich etwaige Auswirkungen auf den Zucker-, Eiweiß- und Fettstoffwechsel berücksichtigen. Östrogene und Gestagene sind vor allem in hohen Konzentrationen in der Lage, hier negative Effekte zu verursachen. Die Auswahl der Verhütungsmethode erfolgt deswegen individuell und am besten im gemeinsamen Gespräch mit der Gynäkologin/dem Gynäkologen.
Risiko für Gefäßverschlüsse
Seit Einführung der hormonellen Verhütung vor ungefähr 60 Jahren wird rege über das potenzielle Risiko für Thrombosen und damit einhergehenden Gefäßverschlüssen (venöse Thromboembolie; VTE) diskutiert. Diesem Thema wurde in der aktuellen Leitlinie zur hormonellen Empfängnisverhütung ein besonderer Platz reserviert, um gezielte Aussagen treffen zu können. Dementsprechend ist das Risiko für eine VTE, unabhängig von der Verhütungsmethode, erhöht bei:
- zunehmenden Lebensalter
- hohen Body-Mass-Index (BMI)
- Raucherinnen
- Operationen
- positiver Familienanamnese für VTE
- Thromboseneigung (Thrombophilie)
- Schwangerschaft und Wochenbett
Die errechnete Häufigkeit (Inzidenz) für VTE bei gesunden, nichtschwangeren Frauen im gebärfähigen Alter liegt demnach bei 2 Fällen pro 10.000 Frauen pro Jahr. In Abhängigkeit des verwendeten Wirkstoffes kann die Inzidenz bei hormoneller Verhütung auf bis zu 9-12 Fälle ansteigen, wobei die Gestagene Levonorgestrel, Norgestimat und Norethisteron das niedrigste VTE-Risiko haben. Doch gilt dies auch für Frauen mit Diabetes? Eine große kalifornische Studie untersuchte insgesamt 150.000 Frauen mit Diabetes, um die sicherste hormonelle Verhütungsmethode ausfindig zu machen (doi: 10.2337/dc16-1534). Demnach sind neuere Pillenpräparate mit sehr kleinen Hormonmengen und hormonhaltige Implantate am sichersten, während Hormonpflaster eher schlecht abschnitten. Diese Ergebnisse stimmen mit den Empfehlungen der oben erwähnten Leitlinie überein. Insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit für Frauen mit Diabetes eine VTE zu entwickeln, auch mit hormonellen Verhütungsmethoden, sehr gering. Trotzdem sollte eine hormonfreie Empfängnisverhütung nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Frauen stehen heutzutage unter anderem folgende Alternativen zur Verfügung:
- Kupferspirale
- Goldspirale
- Kupferkette
- Sterilisation
- Diaphragma
Resümee
Frauen mit Diabetes haben von Haus aus ein erhöhtes Risiko für Gefäßschäden. Dieses Risiko kann wesentlich durch eine gute Einstellung der Blutzucker- und Fettwerte vermindert werden. Hormonhaltige Verhütungsmethoden sind auch bei Typ-1-Diabetes sicher und keineswegs kontraindiziert. Effektive Empfängnisverhütung bedeutet jedoch nicht automatisch Hormone zu verwenden und betroffene Frauen sollten die Vor- und Nachteile alternativer Möglichkeiten in einem Gespräch mit der Frauenärztin/dem Frauenarzt erörtern.
*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.
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