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Die Geheimnisse unseres Essverhaltens: Was den Hunger schürt

Warum essen wir oft mehr, als uns guttut? Und wie kommt es, dass manche schneller satt sind als andere? Was die Forschung über unser Essverhalten weiß.

Rund ein Viertel der Männer und Frauen in Österreich gelten als stark übergewichtig. Viele von ihnen spüren nicht mehr, wann sie satt sind.  Warum essen wir oft mehr, als uns guttut? Und wie kommt es, dass manche schneller satt sind als andere? Was die Forschung über unser Essverhalten weiß.

Das Hungergefühl ist etwas zutiefst Vertrautes, mehrmals am Tag erleben wir es. Und in der Regel versuchen wir, ihm möglichst schnell ein Ende zu bereiten. Denn Hunger ist ein Warnsignal des Körpers: Dessen Kraftreserven drohen zur Neige zu gehen, die Organe brauchen Energie, um weiterhin optimal arbeiten zu können. Essen wir längere Zeit nichts, beginnt sich der Körper gleichsam selbst zu verzehren: Reserven im Fettgewebe werden aufgebraucht, Muskelzellen erschlaffen.

Doch wenn uns Hunger so zusetzt – wieso essen wir nicht ständig? Warum signalisiert der Körper, wenn er keine Nahrung mehr benötigt? Und warum können manche Menschen dem Hunger eine Zeit lang ohne Schwierigkeiten widerstehen – während andere schon dem zartesten Appetit nachgibt?

Fest steht: Unser Körper misst stetig die Menge an Nahrung, die in den Magen gelangt. Denn in dessen Wand verbergen sich Detektoren, die registrieren, wie stark sich das flexible Organ dehnt, wie weit es also gefüllt ist. Die Messfühler schicken Signale an eine Region in unserem Gehirn, den Hypothalamus. Dieses etwa daumengroße Areal ist gewissermaßen der oberste Wächter über die Empfindungen Hunger und Sättigung.

Empfängt der Hypothalamus Dehnungssignale aus dem Magen – füllt der sich also – werden im Hirn bestimmte Botenstoffe ausgeschüttet, die das Gefühl der Sättigung hervorrufen. Forschende haben herausgefunden: Die Sensoren in der Magenwand senden erstmals Sättigungssignale an den Hypothalamus, wenn Speisen mit einem Volumen von 300 bis 400 Kubikzentimetern das Verdauungsorgan füllen – das entspricht einer kleinen bis mittelgroßen Portion Nudeln.

Zwar dehnen auch Getränke den Magen, auch sie können ein Völlegefühl erzeugen, doch meist nur kurzfristig: Flüssigkeit entlässt der Magen rasch in den Darm, binnen zehn Minuten gut 250 Milliliter. Daher tragen Säfte und Softdrinks kaum zu längerer Sättigung bei. Wie wichtig die Rolle des Magens bei unserem Verlangen nach Essen ist, zeigt sich bei Menschen, denen das Organ entfernt wurde: Sie empfinden beides nicht mehr, weder Hunger noch Sättigung.

Das liegt vermutlich unter anderem daran, dass bestimmte Zellen in der Magenschleimhaut das Hormon Ghrelin produzieren – einen Botenstoff, der appetitsteigernd wirkt (damit wir nicht vergessen, unseren Körper zu stärken) und dessen Prodiktion über den Tag schwankt.

So fällt rund 60 bis 90 Minutennach dem Verzehr einer Mahlzeit die Ghrelin-Menge auf ein Minimum; in der Regel haben wir keinen Hunger mehr. Später dann fahren die Schleimhautzellen die Hormonproduktion langsam wieder hoch, allmählich bekommen wir wieder Appetit.

Starke Schwankungen im Blutzuckerspiegel können Hunger auslösen

Zwar kann der Magen nicht die spezifische Zusammensetzung einer Speise erkennen, doch die Ingredienzen des Essens bleiben unserem Körper nicht verborgen – ob wir viel Zucker, Eiweiß oder Fett zu uns genommen haben, ob eine Mahlzeit reich oder arm an Energie ist.

Denn sobald die aus einer Speise gewonnenen Nährstoffe die Darmwand passieren und in den Blutstrom gelangen, treffen sie an mehreren Stellen im Körper – etwa in der Leber – auf weitere Messfühler, die Auf komplexe Weise die Menge der im Blut zirkulierenden Substanzen detektieren. Und die geben dem Hirn anschließend wahrscheinlich Auskunft darüber, ob unser Körper einen bestimmten Stoff besonders dringend benötigt.

So erklären sich manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, weshalb uns gelegentlich der Hunger nach einem ganz spezifischen Lebensmittel überkommt, etwa das Verlangen nach einem herzhaften Steak, einem Glas Milch, einer Banane.

Aber auch starke Schwankungen im Blutzuckerspiegel können Hunger auslösen: Wer viel Süßes isst, treibt diesen Spiegel oft schnell in ungesunde Höhen. Um ihn zu regulieren, schüttet der Körper das Hormon Insulin aus, das den Zucker aus dem Blut in die Körperzellen führt – und den Spiegel so sinken lässt, dass wir bald nach einer süßen Zwischenmahlzeit erneut Hunger verspüren.

Wissenschaftler haben mittlerweile eine Vielzahl von Hormonen entdeckt, die in die Regulation von Hunger und Sättigung eingreifen. Doch noch immer verstehen sie nicht genau, wie die Stoffe zusammenspielen, einander verstärken oder ihre Wirkung gegenseitig aufheben. Selbst unser Fettgewebe, lange Zeit passives Energiedepot angesehen, ist ein Hormonproduzent, der aktiv in den Stoffwechsel eingreift und unsere Lust auf Essen beeinflusst.

Eines der wichtigsten Hormone, die die Fettzellen freisetzen, heißt Leptin (von griechisch „leptos“, dünn). Es zeigt den Füllstand der Fettzellen an. Ein hoher Leptinspiegel im Blut signalisiert: Die Reserven sind voll.

Dann stimuliert Leptin den Hypothalamus zur Freisetzung von Stoffen, die den Appetit unterdrücken. Damit trägt das Hormon zum natürlichen Kontrollsystem für das Körpergewicht bei: Sobald der Organismus genügend Fettdepots angelegt hat, wird der Appetit eine Zeit lang abgeschwächt. So bleibt auf Dauer die Körpermasse mehr oder weniger konstant.

Doch die in Millionen Jahren gereifte Biologie des Menschen ist nicht vorbereitet auf Zeiten des Überflusses: So scheint die Wirkung von Leptin gerade bei fettleibigen Menschen offenbar völlig zu versagen. Obwohl die meisten adipösen Personen hohe Konzentrationen von Leptin im Blut haben, entfaltet das Hormon keine hungerstillende Wirkung.

Ohnehin kann ungezügelter Appetit vielfältige Ursachen haben. Denn ob wir mehr essen, als uns guttut, ob wir eine Mahlzeit genießen oder nur rasch eine Kleinigkeit hinunterschlingen, hängt keineswegs allein von Magendehnung, Blutzuckerspiegel, Fettdepots und Hormonen ab.

Mindestens ebenso machtvoll wirkt sich unsere psychische Verfassung auf unser Essverhalten aus, ebenso das soziale Umfeld, die Situation, in der wir uns befinden, sowie die Präsentation der Speisen: Die Lust auf Essen nimmt in der Gesellschaft von Freunden und Familie zu: Hunger und Sättigung werden manipuliert durch Packungsgrößen, leuchtende Lebensmittelfarben, betörende Aromen – und nicht zuletzt dadurch, wie vielfältig die Speisen auf unserem Teller sind. Die Auswahl beeinflusst entscheidend, wann wir uns satt fühlen. Je eintöniger eine Mahlzeit, desto rascher schwindet der Appetit. Womöglich stellt der Körper damit sicher, dass wir uns vielfältig ernähren. Und so von allen notwendigen Nährstoffen stets genug verzehren.

Dieser Effekt führt jedoch nicht selten dazu, dass Menschen weit über den gesunden Hunger hinaus schlemmen. Nach einer üppigen Hauptmahlzeit zum Beispiel fühlen sich die meisten von uns in der Regel ausreichend gesättigt. Doch wenn ein schmackhaftes Dessert in Aussicht steht, bekommen viele wieder Appetit. Der simple Grund: Der Nachtisch verspricht meist eine andere geschmackliche Note als der Hauptgang, bietet neuen Genuss.

Leuchtende Farben steuern unseren Appetit

Selbst die Farbenvielfalt kann unsere Esslust anstacheln. So zeigen Untersuchungen, dass Menschen mehr Bonbons essen, wenn die Naschereien unterschiedlich eingefärbt sind. Unser Appetit lässt sich also täuschen. Auch die Packungsgröße hat einen gewaltigen Einfluss. In einem Versuch sollten Probanden einen Videofilm anschauen. Während der Vorführung wurde ihnen jeweils eine Tüte Schokolinsen angeboten. Manche Teilnehmer erhielten 250 Gramm, die anderen 500 Gramm schwere Packungen. Das Ergebnis war frappierend: Die Probanden mit der kleineren Tüte verzehrten durchschnittlich 71 Schokolinsen, die mit der größeren 137, also fast die doppelte Menge.

Forschende führen den Effekt darauf zurück, dass Packungsgrößen eine Norm suggerieren, an der wir uns unbewusst orientieren. Je größer die Portion, desto eher scheint uns angemessen, mehr zu essen, desto später fühlen wir uns gesättigt.

Einen überaus wichtigen Einfluss auf Hunger und Sättigung hat zudem unsere Gemütslage. Wer zum Beispiel euphorisch oder hoch konzentriert ist, den plagt meist kein Hunger. Langeweile führt bei vielen Menschen dagegen dazu, dass sie mehr essen. Angst schlägt den einen auf den Magen, sein Appetit schwindet, ein anderer beruhigt sich, indem er gegen die Furcht anisst.

Ähnliches zeigt sich bei Menschen, die an einer Depression erkranken. Viele von ihnen haben deutlich weniger Appetit als zuvor, sie nehmen ab. Andere Betroffene verspüren dagegen geradezu übermäßigen Hunger und setzen „Kummerspeck“ an.

Bleibt das Essen jedoch längere Zeit gänzlich aus, verändert der Hunger den Menschen grundlegend. Schon nach einer einzigen ausgelassenen Mahlzeit werden viele Menschen nervös und unruhig. Wissenschaftler nennen das „hungerinduzierte Überaktivität“. Und mit jeder weiteren fehlenden Mahlzeit trachten wir immer energischer danach, endlich etwas zu essen. Langfristig kann kaum ein Mensch einem derart drängenden Hungergefühl widerstehen.

Doch ganz gleich, ob derjenige gerade Diät hält oder nicht: Ernährungsexperten raten davon ab, jeden aufkommenden Hunger sofort mit Snacks oder Zwischenmahlzeiten zu stillen. Über kürzere Zeiträume ist ein knurrender Magen meist leicht zu ertragen. Wer aber ständig Hunger und Entbehrung verspürt, wird das auf Dauer nicht durchhalten.

Umso wichtiger ist es daher, die eigene Ernährung so zu gestalten, dass die verzehrten Speisen möglichst gut und lange sättigen. Eine gute Wahl sind ballaststoffreihe Speisen, wie Vollkornprodukte oder Hülsenfrüchte, die unser Körper langsam verdaut und die das Hungergefühl länger stillen. Auch proteinreiche Speisen wie Eier oder mageres Fleisch sättigen gut. Pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse können aufgrund ihres hohen Wassergehalts auch in großen Mengen verzehrt werden, ohne das Kalorienkonto zu sehr zu belasten: Durch ihr Volumen tragen sie ebenfalls zu einer langfristigen Sättigung bei.

So garantiert eine kluge Auswahl der Speisen und Getränke, dass der Körper auch in Phasen geringerer Nahrungsaufnahme nicht allzu sehr nach mehr Energie verlangt. Und die Motivation im Kampf gegen ein drängendes Hungergefühl nicht immer wieder verloren geht.