Diabetiker und Gourmet-Kritiker Florian Holzer
von Harald Frohnwieser
Seine Kindheits- und Jugenderinnerungen muss den Kids von heute wohl einen Schock versetzen. Ein Leben ganz ohne Eis! Und ohne Schokolade! Nein, Florian Holzer verbrachte seine ersten Lebensjahre nicht in der Depression der zwanziger- und dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Und auch nicht in der von Armut geprägten Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Vielmehr kam er 1966 zur Welt, als in Österreich eine Tafel Schokolade oder ein Eislutscher längst nicht mehr zum (oft unerreichten) Luxusobjekt zählten. Und trotzdem: naschen war für ihn strengstens verboten. Denn: Florian Holzer ist Diabetiker von Kindesbeinen an. Mit vier Jahren wurde bei ihm Diabetes Typ 1 festgestellt.
"Ich war schon sehr eingeschränkt", blickt der durch Zufall im niederösterreichischen Mistelbach geborene und in Wien aufgewachsene Gourmet-Kritiker zurück, "meine Eltern mussten zum Beispiel immer mit zum Schulskikurs, damit ich nur ja keinen Hypo bekomme." Und weiter: "Diabetes hat somit von früh an mein Leben stark beeinflusst. Dabei habe ich immer gerne gegessen, noch dazu ist meine Mutter eine ausgezeichnete Köchin."
Die Prozedur war immer die gleiche: Dem kleinen Florian wurde eine bestimmte Menge Insulin gespritzt, nach der sich Essensportion und Essenszeit zu richten hatten. Zu Hause kein allzu großes Problem. Schlimm wurde es für ihn später, als Jugendlicher, wenn er mal außer Haus seine Nahrung in einem Restaurant oder bei Freunden aufnahm. Florian Holzer: "Wenn es in einem Restaurant Engpässe mit dem Service gab und ich mein Essen nicht zu dem von mir ausgerechneten Zeitpunkt bekam, war ein Hypo oft unausweichlich." Nur Traubenzucker konnte ihn davor bewahren: "Ich habe in meinem Leben wohl sehr viele Kilos davon gegessen."
Wie wird jemand, der aus gesundheitlichen Gründen jahrelang jedes Essen zu einer Prozedur machen musste, ausgerechnet Gourmet-Kritiker? "Durch reinen Zufall", braucht Florian Holzer nicht lange zu überlegen. Sein Vater Konrad Holzer arbeitete beim Radio und zählt zu den Gründungsvätern von Ö3. "Nebenbei hat mein Vater für
Ö1 regelmäßig die Sendung, Kulinarium' gestaltet", erzählt Sohn Florian, „und als ich 20 Jahre alt war, habe ich, obwohl ich eigentlich politischer Journalist werden wollte, hin und wieder Beiträge für diese Radioreihe gestaltet."
1988 lernte Holzer Armin Thurnher, Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung Falter, kennen. "Diese Begegnung hatte aber nichts mit dem Essen zu tun. Der Falter hat damals einen Friedhofsführer von Wien herausgebracht, und mein Vater schickte mich in die Redaktion, um mit Thurnher ein Radio-Interview darüber zu machen. So nebenbei erwähnte ich, dass ich Radiobeiträge übers Essen mache. Und wenig später kam von ihm das Angebot, im Falter regelmäßig Gourmet-Kritiken zu verfassen", erinnert sich Holzer.
Dass er nun hauptberuflich übers Essen schreiben musste, störte ihn als Diabetiker wenig. Einschränkungen gab es freilich schon: "Den Kohlehydratbomben wie Nudeln und Desserts bin ich meist aus dem Weg gegangen." Doch die Bewertung der Speisen alleine war für ihn ohnehin nie das einzige Kriterium, wenn es darum ging, ein Lokal zu bewerten. "Ich schreibe ja nicht nur über das Essen, ich bin ganz sicher kein Erbsenzähler. Für mich ist ein Lokal dann spannend, wenn der Gastronom eine Geschichte dazu erzählen kann. Denn man geht ja kaum mehr nur deshalb in ein Restaurant, um satt zu werden. Die Leute wollen heutzutage ein Erlebnis, ein Entertainment geboten bekommen, wenn sie essen gehen."
Stand früher stets eine Briefwaage auf seinem Esstisch, um die Menge der Broteinheiten genau zu kontrollieren, so genügt heute ein Blick auf den Teller. "Ich bin - spät aber doch - im FIT-Programm (Funktionelle Insulin Therapie; Anm.), das heißt, ich spritze mir morgens meine Einheit und dazu je nach Bedarf das Humaninsulin." Mit nationaler und zumeist auch internationaler Kost gibt es beim Einschätzen kaum Probleme, aber Schwierigkeiten gibt es mitunter bei der asiatischen Küche. "Die süßen Soßen sind sehr schwer einzuschätzen, dazu kommt, dass der Reis eine direkte Insulinbombe ist", spricht Holzer, der seine Gourmetkritiken auch in der samstägigen KURIER-Beilage Freizeit verfasst, aus Erfahrung. Leichter tut er sich beim japanischen und vietnamesischen Essen. Aufpassen heißt es jedoch auch bei diversen, südländischen Brotsorten, da sie süßlicher sind als die heimischen.
Aus seinem Diabetes hat Florian Holzer nie ein Geheimnis gemacht. Seine Freunde und all jene Menschen, mit denen er regelmäßig zu tun hat, wissen darüber Bescheid. "Ich bin froh, dass meine Umgebung davon weiß, denn sollte ich einmal Hilfe brauchen, dann wissen sie, was zu tun ist", steht er zu seiner Krankheit. Die Spritze benützt er mal öffentlich, mal auf der Toilette - wie ihm gerade zumute ist. Und seine Fitness ist ihm zwar wichtig, aber übertreiben möchte er damit aber nicht. Und von diabetischem Essen hält er so gut wie gar nichts: "Ich glaube, ich habe vor 25 Jahren das letzte diabetische Produkt zu mir genommen."
Trotzdem strotzt der vor Gesundheit. Von typischen Spätschäden (Nieren, Nerven in den Beinen, Blutwerte etc.) ist er bisher verschont geblieben. "Ich bin der lebende Beweis dafür, wie belastbar ein Diabetiker sein kann", stellt er fest. Und will damit anderen Diabetikern Mut machen: "Die psychische Einstellung ist natürlich enorm wichtig. Man darf sich von der Krankheit nicht unterkriegen lassen." Dass es dabei für einem Menschen, der im Alter von vierzig oder fünfzig Jahren auf einmal mit der Diagnose Diabetes Typ 2 konfrontiert wird, nicht leicht zu verkraften ist, ist ihm freilich bewusst. "Ich hatte ja genug Zeit, mit meiner Krankheit umzugehen."
Obwohl er weiß, dass er kein normales Leben führt, hält es Florian Holzer mit dem Essen dennoch so normal wie möglich. Dass ein Diabetiker "Spaß am Essen haben soll", ist fast schon zu seinem Lebensmotto geworden. "Wir sind einfach die besseren Esser, weil wir viel bewusster mit unserer Nahrung umgehen", betont er. Und noch etwas: "Meine frühe Erkrankung hat auch seine guten Seiten - ich kann keinen
Diabetes 2 mehr bekommen", lacht er. Florian Holzer sieht eben immer das Positive im Leben...