Skip to main content

Diabetesforscher beim Krebskongress? - Kein Zufall!

Die Mehrzahl aller Menschen mit Diabetes stirbt heute nicht mehr an kardiovaskulären Erkrankungen, sondern an Tumorerkrankungen.

Woran sterben Diabetes-Patienten? Klare Sache: Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz oder an anderen kardiovaskulären Leiden! Nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig: „Die Mehrzahl aller Menschen mit Diabetes stirbt heute nicht mehr an kardiovaskulären Erkrankungen, sondern an Tumorerkrankungen“, stellt Professor Stephan Herzig, Direktor des Helmholtz Diabetes Centers (HDC) in München, klar.

Das liegt zum einen daran, dass die Sterblichkeit an kardiovaskulären Erkrankungen generell auf breiter Front sinkt, weil es hier erhebliche Behandlungsfortschritte gab. Es liegt aber auch daran, dass Patienten mit Diabetes im Schnitt ein relevant erhöhtes Krebsrisiko haben.

Jeder sechste Krebstod „metabolisch“

Herzig forscht unter anderem zum Thema Krebs als Langzeitkomplikation von Diabetes mellitus. Tatsächlich ist der Diabetes per se beim Thema Krebsrisiko nur eine Teildimension. Hinsichtlich Krebserkrankungen problematisch ist nicht nur die Diabetes-Erkrankung alleine, die auch, aber vor allem die „Typ-2-Konstellation“, also der metabolische Phänotyp mit Typ-2-Diabetes und Adipositas. Rund 15 Prozent aller Todesfälle beim Krebs seien darauf zurückzuführen, so Herzig (Lancet Diab Endocrinol. 2018; 6(6): e6–e15).

Die Mechanismen sind wie so oft komplex. Das Insulin-Signaling spielt eine Rolle, ebenso die hormonelle Aktivität des Fettgewebes mit seinen Adipokinen. Dann ist da noch die chronische Entzündung, die beim metabolischen Syndrom vorliegt und außerdem ein diabetesbedingtes Überangebot an Glukose.

Letzteres wird in der Diabetologie unter dem Stichwort „Tumor Fuelling“ diskutiert, und es hat zu Hypothesen geführt, wonach sich Tumoren durch optimale Glukosekontrolle quasi „aushungern“ ließen. Das gelte in seiner Eindimensionalität aber als widerlegt, betonte Herzig beim Deutschen Krebskongress in Berlin: „Tumore brauchen viel Zucker, aber im Kontext des gesamten Organismus ist das nicht so einfach wie in der Zellkultur. Zum einen ist die Frage, wie viel Glukose tatsächlich beim Tumor ankommt. Zum anderen können Tumore ihre Energiequelle flexibel umstellen.“

Aus Sicht des klinischen und translationalen Forschers, der Herzig ist, bieten neue Erkenntnisse zur onkologischen Bedeutung der Insulin- und Adipokin-Signalwege spannende Potenziale für „metabolisch zentrierte“ Tumortherapien. Dabei geht es weniger darum, onkologische Therapien zu ersetzen als vielmehr darum, die Tatsache, dass bestimmte Tumore für metabolischen Stress anfällig sind, gezielt zu nutzen.

Zum Beispiel könnte die Effektivität von Anti-Tumor-Therapien bei metabolischen Patienten durch metabolische Begleittherapien erhöht werden, die tumorfördernde Signalwege abschalten. Genauso ist denkbar, dass durch solche Begleittherapie die Dosis der Anti-Tumor-Therapie reduziert und so deren Toxizität gesenkt werden kann.

Neuer Ansatz: Gezielte Früherkennung

Das Wissen um den Zusammenhang zwischen Diabetes und Adipositas einerseits und Krebserkrankungen andererseits kann klinisch aber auch sehr viel unmittelbarer genutzt werden. Diabetes und Adipositas müssten als Risikomarker gesehen werden, die besondere Anstrengungen in Sachen Prävention und Früherkennung rechtfertigten, sagte bei dem Kongress Dr. Jekaterina Vasiljeva von der Gynäkologie am Vivantes Klinikum am Urban in Berlin.

Ein Beispiel ist für sie das Eierstockkarzinom, das eine enge Beziehung zu Adipositas und Diabetes mellitus aufweist. Bei diesem Tumor ist eine gynäkologische Früherkennung mittels transvaginalem Ultraschall prinzipiell möglich. Allerdings ist das Eierstockkarzinom nicht häufig genug, um ein generelles Screening zu rechtfertigen. Ein gezieltes Screening bei Frauen mit Diabetes und/oder Adipositas sei bisher nicht evidenzbasiert, aber sehr plausibel. Dies umso mehr, da die Sterblichkeit von Frauen mit Adipositas/ Diabetes beim Eierstockkarzinom – das ohnehin schon eine schlechte Prognose hat – nochmal ungünstiger sei als ohne diese Begleiterkrankungen.

Ähnlich ist die Situation bei dem häufigen Uteruskarzinom. Auch hier sei eine Früherkennung möglich, die von den Leitlinien in der Breite nicht empfohlen werde, in dieser speziellen Risikokonstellation aber Sinn machen könne. Es gebe aber ein Problem, so Vasiljeva: Der Anteil der stark übergewichtigen Frauen, die regelmäßig zum Gynäkologen oder zur Gynäkologin gingen, sei deutlich kleiner als in der Gesamtbevölkerung.

Mit anderen Worten: Viele Risikopatientinnen tauchen gar nicht erst an dem Ort auf, an dem eine risikoadaptierte Früherkennung möglich wäre. Die entsprechende Kommunikation mit der Empfehlung, gynäkologische Vorsorgetermine zu nutzen, muss deswegen an anderer Stelle stattfinden, zum Beispiel und vor allem in der diabetologischen Praxis.

Neuer Ansatz: Präventive Adipositas-Op

Nicht nur ein Diabetesforscher und eine Gynäkologin, auch ein Adipositas-Chirurg hatte sich nach Berlin zum Krebskongress verirrt. Professor Till Hasenberg vom Adipositas-Zentrum St. Elisabeth in Oberhausen beschäftigte sich mit der Frage, inwieweit sich das erhöhte Krebsrisiko bei adipösen Diabetes-Patienten „wegoperieren“ lässt.

Mittlerweile spreche viel dafür, dass die Adipositas-Chirurgie sich nicht nur günstig auf Entwicklung und/oder Verlauf eines Typ-2-Diabetes auswirke, sondern auch das erhöhte Krebsrisiko durch die Operation gesenkt werde. Pars pro toto zeigte Hasenberg eine Metaanalyse aus 21 Kohortenstudien, in der die Adipositas-Chirurgie mit einer um 44 Prozent reduzierten Inzidenz jeglicher Krebserkrankungen und einer um ebenfalls 44 Prozent reduzierten Krebssterblichkeit einherging, beides statistisch signifikant (Obes Surg. 2020; 30: 1265–72).

Ganz aktuelle Daten liefert eine Auswertung des schwedischen Adipositas-Registers. In dieser SOS-Studie betrug die Inzidenz für eine erste Krebserkrankung bei operierten adipösen Menschen 9,1 pro 1000 Personenjahre, gegenüber 14,1 bei konservativ versorgten Adipösen. Der Effekt war bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern. Und die SOS-Studie zeigt auch, dass eine Remission eines Diabetes nach Adipositas-Chirurgie prädiktiv für eine geringere Krebsinzidenz innerhalb von zehn Jahren ist (Diabetes Care. 2022; 45: 444–50).

Quelle: https://www.aerztezeitung.de/