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Diabetes Management – neu denken!

Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) engagiert sich für einen flächendeckenden Ausbau eines Leitlinien-konformen Disease Management Programms (DMP) für Menschen mit Diabetes Mellitus Typ 2

Ein Diabetes-Tsunami überrollt die Welt und auch Österreich. Die Betroffenen selbst können ihr Schicksal positiv beeinflussen. Dafür benötigen sie ab dem ersten Tag der Diagnose und dann kontinuierlich in ihrem weiteren täglichen Leben Beratung und Betreuung in einer strukturierten Form, die dem Stand der Wissenschaft entspricht. In Österreich ist mit dem „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff!“-Programm ein DMP installiert, das sehr gute Ergebnisse bringt. Leider werden dabei bei weitem nicht alle Betroffenen erreicht, nicht alle wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse zeitnah und automatisch umgesetzt und nicht alle Ebenen und Stadien der Gesundheitsversorgung entsprechend berücksichtigt.

„Die ÖDG, als wissenschaftliche Fachgesellschaft, warnt seit Jahren vor dem Diabetes-Tsunami der ungebremst auf uns einstürzt“, betont Univ.-Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer, Endokrinologin an der Med Uni Wien und Präsidentin der ÖDG: „Die allgemeine Prävalenz des Diabetes in Österreich liegt inklusive Dunkelziffer bereits bei 700.000 Menschen. Jeder Elfte ist somit hierzulande von dieser Massenerkrankung betroffen und davon weiß es ein Teil nicht einmal. 90 Prozent der Betroffenen leiden an Diabetes mellitus Typ 2 (DM2), einer meist vermeidbaren und gefährlichen aber auch gut behandelbaren Krankheit. Die Behandlungserfolge hängen ganz stark davon ab, ob die PatientInnen ihre Krankheit verstehen und dieses Verständnis im täglichen und lebenslangen Selbstmanagement umsetzen können. Dies kann und sollte durch Disease Management Programme erreicht werden. Aber gerade mal gut zehn Prozent der PatientInnen sind im einzigen österreichischen Disease Management Programm betreut“.

Was Diabetes bedeutet
„Diabetes bedeutet noch immer einen Verlust an Lebensjahren und eine Minderung der Lebensqualität in dieser verkürzten Zeit. Diabetes ist die Hauptursache für Herzkrankheit, Schlaganfall, Blindheit, Nierenversagen und Bein-Amputationen. Dank der medizinischen Forschung und der ärztlichen Kunst ist die Mortalität durch kardiovaskuläre Folgen für Menschen mit Diabetes zwar stark zurückgegangen, aber immer noch doppelt so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Studien aus den USA zeigen sogar, dass die Lebenserwartung wieder sinkt, die Diabetesprävalenz bereits bei 15 Prozent liegt, jüngere Menschen betroffen sind und die Amputationen steigen“, erklärt Kautzky-Willer.

Diabetes ist vermeidbar
Diabetes ist eine sogenannte NCD (‚non communicable disease‘ – englisch für: ‚nicht übertragbare Krankheit‘). Diabetes mellitus Typ 2 ist also nicht ansteckend. Leider werden aber in unserer Gesellschaft viel zu viele mit einem ungesunden Lebensstil infiziert, der als Hauptauslöser gesehen werden muss. Auch wenn es genetische Dispositionen gibt, die die Krankheitsfolgen eines ungesunden Lebenswandels wahrscheinlicher machen, kann mit einer Lebensstiländerung dagegen gearbeitet werden. 80 Prozent der Typ 2 Diabetes-Erkrankungen wären durch einen gesunden Lebensstil vermeidbar.

Kautzky-Willer fordert: „Wir kennen die Risikofaktoren. Wir könnten bereits klar bei der Prävention ansetzen, wenn bereits diese konsequent behandelt und betreut würde. Insofern sollte ein alle Phasen berücksichtigendes Disease Management bereits hier beginnen. Dies könnte zum Beispiel bei Frauen umgesetzt werden. Denn der Schwangerschaftsdiabetes ist bei ihnen der Risikofaktor schlechthin. Eine zusätzliche Zeile im Mutter-Kind-Pass rettet Leben“. Der größte Risikofaktor für Frauen, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, ist der Schwangerschaftsdiabetes. 50 bis 70 Prozent der Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes erkranken in den folgenden 10 bis 15 Jahren daran und auch das Risiko für Herzinfarkt, Bluthochdruck und Schlaganfall ist ca. zweimal so hoch verglichen mit Frauen mit normaler Glukosetoleranz in der Schwangerschaft. Besonders wichtig für die weitere Risikoabschätzung ist der orale Glukosetoleranztest vier bis zehn Wochen nach der Geburt, der auch zur Neubeurteilung der Glukosetoleranz basierend auf Studien und internationalen Guidelines notwendig ist. Diese Nachbeobachtung ist im Mutter-Kind-Pass noch nicht geregelt.

Diabetesfolgen sind auch vermeidbar
Auch die rechtzeitige Diagnose ist trotz der Häufigkeit der Erkrankung noch nicht Standard. 15 bis 20 Prozent haben bereits bei der Diagnose Spätkomplikationen und mit Folgeschäden zu kämpfen. Kautzky-Willer beruhigt: „Gut eingestellte Typ 2 DiabetikerInnen haben ein vergleichbares Risiko für Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall wie die Allgemeinbevölkerung. Fünf Risikofaktoren machen dabei den Unterschied. Wenn der HbA1c, das LDL-Cholesterin, die Harn-Eiweißausscheidung und der Blutdruck im Zielbereich liegen und das Rauchen gestoppt werden kann, muss sich auch ein mit Diabetes Typ 2 diagnostizierter Mensch keine zusätzlichen Sorgen um die Folgeerkrankungen machen. Zentral zur Erreichung der Zielwerte ist eine umfassende Diabetesschulung und ein kontinuierlich unterstütztes, informiertes Selbstmanagement.“

Empowerment ist der Schlüssel – DMP funktioniert
Strukturierte, ergebnisorientierte Schulungsprogramme können den HbA1c-Wert, den Blutdruck und das Gewicht positiv beeinflussen und dazu beitragen Lebensstiländerungen bei der Ernährung, bei der Bewegung und beim Rauchen zu bewirken. Dies ist international und national bewiesen. Internationale Studien zur strukturierten Schulung weisen innerhalb von zwölf Monaten eine Senkung des HbA1c-Wertes (-0,8) aus, dasselbe gilt für Gewicht (-1.6 kg) und Blutdruck (-2.6mmHg). Auch die nationalen Auswertungen zum DMP „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff!“ sprechen eine deutliche Sprache: Eine 30-prozentige Senkung der Mortalität bei weniger Kosten und geringeren und kürzeren stationären Krankenhausaufenthalten konnte nachgewiesen werden.

Neue Leitlinie der ÖDG zum Patienten Management
Die ÖDG hat sich intensiv mit dem Thema Patienten Management auseinandergesetzt: „Wir brauchen einen Disease Management Kreis, der sich um den individuellen Patienten im Zentrum dreht. Individuelle und spezifische Faktoren müssen berücksichtigt werden. Das beginnt bei Fragestellungen wie: Aus welcher Kultur stammt die Person? Wie ist seine/ihre psychosoziale Situation? Wie weit kann er oder sie die Komplexität der Erkrankung erfassen und dementsprechend ein erfolgreiches Selbstmanagement etablieren? Ganz wichtig dabei ist, die gemeinsame Entscheidungsfindung bei der Erstellung des Behandlungsplans, in dem auch persönliche Vorlieben berücksichtigt werden. Nach dieser Einigung mit Zielvereinbarung sollte die Umsetzung, kontinuierlich überprüft und mit dem regelmäßigen Abfragen der weiteren Zustimmung die Implementierung ins tägliche Leben begleitet werden. Dies erfordert viele Gespräche über Bewältigungsstrategien im Alltag, die entsprechend abgegolten werden müssen“.

Paradigmenwechsel in der Medikation
In der medikamentösen Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 konnte gerade in den letzten Jahren viel erreicht werden. Dies hat direkten Einfluss auf die Neugestaltung der Behandlungsleitlinien. Kautzky-Willer beschreibt diesen Paradigmenwechsel: „Wir bewegen uns weg von einem glukozentrischen Behandlungsansatz, der ausschließlich auf die Blutzuckerwerte fokussiert. Mit dem Ziel mögliche Komplikationen zu vermeiden, müssen weitere Laborwerte und Faktoren einbezogen werden. Das KHK-Risiko und die Nierenfunktion sind genauso zu berücksichtigen wie die Vermeidung von Hypoglykämien und die Gewichtsreduktion. Dadurch können Folgeschäden verhindert und die Mortalität gesenkt werden“.

Leitlinien konform behandeln
Harte Kritik äußert die ÖDG-Präsidentin, wenn es um die Erstattung von Arzneimitteln geht: „Manche moderne Medikamente werden nur unter Einschränkungen erstattet. Dies entspricht nicht dem Stand des diabetologischen Wissens. Die Erstattung sollte hier klar den Leitlinien folgen, da genügend Evidenz besteht, dass ein rechtzeitiger Einsatz der Präparate Leid vermeiden hilft. Das Disease Management ist immer dann gut, wenn es auch wissenschaftlich auf dem neuesten Stand ist. Darum fordert die ÖDG eine kontinuierliche und automatische Anpassung der Behandlungsrichtlinien des DMP an die Leitlinien der ÖDG. 

Angebote der ÖDG für den niedergelassenen Bereich
„Leider sind noch viel zu wenige niedergelassene AllgemeinmedizinerInnen und InternistInnen im DMP eingeschrieben. Wenn die Ärztin beziehungsweise der Arzt nicht angemeldet ist, haben ihre/seine PatientInnen auch keine Chance in das Programm aufgenommen zu werden. Die ÖDG bietet vielfältige Möglichkeiten der Fortbildung für die Ärzteschaft, um die evidenzbasierte Diabetes-Betreuung in Österreich sicherzustellen. Zum Beispiel veranstaltet die ÖDG jährlich die Fortbildungsveranstaltung ‚Diabetes unplugged‘. Diese Fortbildungen sind auch mit dem Basiskurs für das DMP verknüpft, der Grundlage für die ärztliche Teilnahme an ‚Therapie Aktiv‘ ist. Ich rufe daher alle Kolleginnen und Kollegen auf, sich fortzubilden und in das DMP einzusteigen“, appelliert Kautzky-Willer.

Die zweite und dritte Ebene hat Handlungsbedarf
Was passiert mit den Menschen, die trotz der niedergelassenen Betreuung im DMP nicht die Zielwerte erreichen oder Komplikationen entwickeln? Der Weg in die Diabeteszentren und der Weg zurück ist noch nicht strukturiert aufbereitet – also die Verknüpfung des stationären Bereichs mit dem DMP: „Deshalb sind die Spezialambulanzen in den Krankenhäusern überfüllt“, warnt Kautzky-Willer, „Wir brauchen dringend Lösungen, wenn die erste Ebene des DMP nicht ausreicht. Die ambulante Ebene muss für Spezialfälle freigespielt werden. Erfahrene niedergelassene Diabetologen mit kleinen Teams aus Diabetesberatern könnten als zweite Ebene Entgleisungen abfangen, und so die Ambulanzen entlasten. Weiters müssen die Teams in den Krankenhäusern personell und von den unterschiedlichen Professionen her entsprechend ausgestattet werden. Wir brauchen genügend ExpertInnen mit dem Sonderfach Endokrinologie und Diabetologie“.

Digitalisierung hilft
Neue Apps, Devices und Technologien verändern laufend das Diabetes-Management. Ein kontinuierlicher Austausch mit dem niedergelassenen Bereich muss ebenfalls gewährleistet werden. Dazu können die digitalen Lösungen der Telemedizin einen wichtigen Beitrag leisten, wenn sie konsequent in das DMP implementiert werden. Denn durch die Vernetzung aller Beteiligten kann die Qualität und Kontinuität der Betreuung über alle Ebenen sichergestellt werden.

Abschließend erinnert Kautzky-Willer noch an die Diabetesstrategie: „Was können wir noch dazu beitragen, um Folgeschäden zu verhindern und eine gute Lebensqualität zu sichern? Die Antworten dazu sind in der österreichischen Diabetesstrategie bereits festgeschrieben. Leider ruht diese wichtige Strategie und wartet auf ihre Umsetzung. Die ÖDG wird sich engagiert darum kümmern, dass sie rasch zum Leben erweckt wird.“