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„Diabetes ist auch eine Epidemie“

Alle Welt redet über das neue Coronavirus. Diabetologen vermissen ähnliche Schlagzeilen zur Volkskrankheit Diabetes – und fordern mehr Engagement.

Berlin. Ärzte haben von der Bundesregierung größere Anstrengungen im Kampf gegen Diabetes gefordert. „Das ist auch eine Epidemie, wenn nicht sogar eine Pandemie“, sagte die Präsidentin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Professor Monika Kellerer, am Mittwoch in Berlin.

Anders als beim Coronavirus lese sie über Diabetes aber keine „vergleichbaren Schlagzeilen“. Offenbar hätten sich Politik und Gesellschaft an die hohen Erkrankungs- und Sterberaten gewöhnt.

An hohe Erkrankungszahlen gewöhnt?!

Laut DDG sind rund sieben Millionen Menschen in Deutschland an Diabetes erkrankt. Hinzu geselle sich eine „Dunkelziffer“ von etwa 1,3 Millionen Menschen, die erkrankt seien, bei denen aber noch keine Diagnose gestellt worden sei. Bis zum Jahr 2045 könnten sich die Diabetes-Fallzahlen auf bis zu zwölf Millionen hochschaukeln, so die Fachgesellschaft.

Schon wegen der Erkrankungshäufigkeit müsse die Politik bei der „Volkskrankheit Diabetes ebenso prompt mit durchgreifenden Maßnahmen“ reagieren wie bei der Eindämmung von SARS-CoV-2, forderte Kellerer. Das passiere leider nicht.

„Großprojekte“ wie die vor zwei Jahren im Koalitionsvertrag angekündigte „Nationale Diabetesstrategie“ würden verschleppt. Kellerer rief Union und SPD dazu auf, ihre „taktischen Scharmützel“ zu beenden. Die Diabetesstrategie dulde keinen weiteren Aufschub, so die Diabetologin.

Union und SPD streiten seit Monaten über den angekündigten Diabetes-Rahmenplan. Verzettelt haben sich beide Seiten bei der Frage der Reduktion von Zucker in Kinderlebensmitteln und der Werbung dafür.

„Keine Diabetesstrategie ohne Zuckerstrategie“

Eine um den Ernährungsteil reduzierte Diabetesstrategie mache aber keinen Sinn, betonte Kellerer. „Eine Diabetesstrategie ohne Ernährung ist keine Diabetesstrategie.“ Sollte ein Maßnahmenpaket beschlossen werden, sei dieses umzusetzen und in Gesetze zu kleiden. „Ansonsten würden wir bei Unverbindlichkeit bleiben.“

„Es geht nicht ohne Zuckerstrategie“, betonte auch die Hausärztin und Schriftführerin beim Deutschen Hausärzteverband, die Diplom-Medizinerin Ingrid Dänschel aus Sachsen. Bei Diabetes gelte es, sowohl auf Verhaltens- wie auch auf Verhältnisprävention zu setzen. Beides gehöre zusammen.

Hausärzte spielten in der Betreuung von Menschen mit Diabetes eine zentrale Rolle, betonte Dänschel. Der Hausarzt kenne den Diabetespatienten am längsten – im Schnitt gehe ein Diabetiker etwa 14 Jahre zum gleichen Hausarzt. „Das ist länger als jede deutsche Ehe.“

Hausärzte sind kontinuierliche Ansprechpartner

Um eine flächendeckende hausärztliche Versorgung bei Diabetes sicherzustellen, müsse auch die hausarztzentrierte Versorgung weiterentwickelt werden. Die HZV biete insbesondere jungen Ärzten eine wirtschaftlich sinnvolle Perspektive, sich auch in ländlichen Räumen niederzulassen, sagte Dänschel.

Auf Kritik der Hausärztin stieß, dass es noch immer kein integriertes, einheitliches Disease Management Programm (DMP) für kardiovaskuläre Erkrankungen gebe. „Es existieren weiter DMP für Diabetes und Koronare Herzkrankheiten parallel nebeneinander.“

Das führe dazu, dass Patienten nicht umfassend bezüglich aller Risikofaktoren eingeordnet werden könnten und sie überdies mit unsinnigem Bürokratieaufwand parallel in mehreren Chronikerprogrammen geführt werden müssten.

DMP stärker ausdifferenzieren

Eine Weiterentwicklung der DMP forderte auch der Leiter des Fachbereichs „Evaluation und Qualitätssicherung“ am Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Bernd Hagen.

Nach gut 20 Jahren strukturierter Diabetesversorgung lasse sich zwar ein insgesamt positives Fazit ziehen. Bundesweit seien derzeit etwa 4,3 Millionen Menschen mit Typ 2-Diabetes und rund 225.000 Menschen mit Diabetes Typ 1 in einem DMP eingeschrieben.

„Das sind etwa 75 Prozent aller Versicherten mit Diabetes mellitus.“ Zudem seien seit Einführung der Programme weniger schwerwiegende diabetische Folgekomplikationen wie Amputationen, Erblindungen oder Dialysepflicht zu beobachten. „Künftig sollten die DMP aber, stärker als heute, für die verschiedenen Patiententeilgruppen spezifische Angebote und Ziele entwickeln.“

Quelle: https://www.aerztezeitung.de/